GefängnisseelsorgerInnen arbeiten im Gefängnis mit Menschen, die oft manipulierend auf die Person der MitarbeiterInnen im Vollzug einwirken. Kann der seelsorgerliche Dienst von Gefangenen wie Bediensteten für andere unterschwelligen Ziele ausgenutzt werden? Welche „Fallen“ von gegenseitigen Abhängigkeiten gibt es im Dienst und wie können sich SeelsorgerInnen und Bedienstete im Umfeld des Justizsystems schützen?
Vordergründig zeigt sich die Anstaltssubkultur etwa bei illegalen Kauf- und Tauschgeschäften in den Vollzugseinrichtungen. Dabei ist das Schwarzmarktgeschehen gekennzeichnet von subkulturellen Gegenleistungen (Übermittlung von Nachrichten, sexuelle Hingabe, Einschmuggeln verbotener Gegenstände). In diesem Gefüge von offiziellen und inoffiziellen Regeln im System arbeiten GefängnisseeelsorgerInnen, AVD-Bedienstete und MitarbeiterInnen der Fachdienste. Sie alle können in die Gefahr kommen, benutzt und ausgenutzt zu werden und selbst „mit einem Bein im Knast“ zu sein. Der jeweilige Fall muss gesehen werden und doch geht es nicht alleine um Einzelfälle. Alle im Vollzug können betroffen sein. Es gibt daneben Fälle, bei denen Bedienstete und SeelsorgerInnen eindeutig Regeln verletzen, aus welchen Motiven auch immer. Da können menschliche Gründe ebenso eine Rolle spielen wie bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse.
Die Beschwerden gegen die Anordnung von Beugehaft gegen einen Gefängnisseelsorger wurde zurückgewiesen. Dieser hatte sich auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Der Gefangene wollte rückdatierte Schreiben aus der Haft schmuggeln, um die Lebensversicherung über wahre Absicht zu täuschen (= Täuschung über Tod und Ausbringung der Versicherungssumme an Al Quaeda). Der Gefängnisseelsorger war ein nicht zum Priester geweihter Gemeindereferent und zum hauptamtlichen Seelsorger in der JVA eingesetzt. Dieser wurde vom Richter befragt, ob er Versicherungsadresse im Internet ermittelt und Briefe aus JVA befördert hat. Klärung des Begriffs des „Geistlichen“ iSd § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Entscheidung des BGH, Beschluss vom 15.11.2006, Az.: StB 15/06, veröffentlicht in NStZ 2007, 275; bestätigt durch BVerfG: „Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt… Geistliche, über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist…“
Begriff „Geistlicher“
Problem der Teilbarkeit seelsorgerischer Gespräche
„Die vom Beschwerdeführer vertretene Meinung, die Gespräche eines Geistlichen können nicht in seelsorgerische und nicht seelsorgerische Teile getrennt werden, wenn dieser in seiner Eigenschaft als Seelsorger Dritten gegenübergetreten sei, läuft schlicht dem Gesetz zuwider, dem – nach seinem Wortlaut sowie seinem Sinn und Zweck, das im Zusammenhang mit Seelsorge entstandene Vertrauensverhältnis zu schützen – die Möglichkeit einer solchen Entscheidung eindeutig zu Grunde liegt.“
Unstreitig: Kein Schutz bei organisatorischen und verwaltenden Tätigkeiten des Seelsorgers (BGH: kein Zeugnisverweigerungsrecht, soweit es sich um karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende Tätigkeit des Geistlichen handelt oder der Straftäter diesen nur als Verbindungsmann einschaltet, etwa um den Taterfolg zu sichern oder die Strafvereitelung zu erreichen)
Streitig: Möglichkeit eindeutiger Grenzziehung, weil Gespräche oft „harmlos“ beginnen (BVerfG: „schutzwürdige und nicht schutzwürdige Äußerungen einer im Kernbereich ihrer Persönlichkeit zu schützenden Person“, Rahmen: Beichtgeheimnis) problematisch: „Beurteilungshoheit“ des Seelsorgers, letztlich Gewissensentscheidung, beachte auch Glaubhaftmachung, § 56 StPO. Die Internet-Recherche ist nicht dem zu schützenden Kernbereich privater Lebensführung zuzuordnen.
§§ 258 StGB – Strafvereitelung
Abs. 1: „Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft…wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
§ 13 StGB – Begehen einer Straftat durch Unterlassen
Eine solche Garantenpflicht ergibt sich zunächst nicht aus der Nähe des Tätigkeitsfeldes innerhalb der Rechtspflege; weiterhin war auch im StVollzG diesbezüglich nichts geregelt. Auch aus der Gesamtverantwortung des Anstaltsleiters für den Vollzug lässt sich diese Pflicht nicht herleiten, weil Ziele des Strafvollzuges die Resozialisierung und Sicherung der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten sind u. nicht die Mitwirkung bei der Strafverfolgung. Letztlich lässt sich auch aus den Verwaltungsvorschriften (z. B. DSVollz) keine Garantenpflicht ableiten, weil die hierin geregelten Meldepflichten nur verwaltungsinterne Wirkung haben und damit „nur“ den geordneten Dienstbetrieb gewährleisten sollen.
Aber: Dem Vollzugspersonal obliegt die Garantenpflicht, Verhaltensweisen von Gefangenen zu verhindern, durch die die Funktionsfähigkeit der Anstalt beeinträchtigt und/oder Mitgefangene gefährdet oder beeinträchtigt werden. Eine solche Garantenpflicht hat die aktuelle Rechtsprechung auch angenommen, wenn der Vollzugsbedienstete außerdienstlich Kenntnis von Straftaten erlangt, die noch während der Dienstausübung als Rechtsgutgefährdung von besonderem Gewicht fortwirken. Aber: §§ 138, 139 Abs. 2 StGB „Geistlicher“ nicht zur Anzeige geplanter Straftaten verpflichtet, was ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden ist.
Strafrechtliche Ahndung des Seelsorgers bei Mitteilung des im Kontext des Beichtschutzes Anvertrauten?
Denkbare Bestrafung wegen Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB). Geistliche selbst unterfallen als mögliche Täter aber nicht diesem Tatbestand, denn gegenüber den Geistlichen besteht gerade kein faktischer Offenbarungszwang. Das Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Schutz des Seelsorgegeheimnisses SeelGG.
Regierungsdirektor Jürgen Frank | Leiter JVA Hohenleuben. Abgeordnet an das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF)
Virtueller Vortrag am 9. Juni 2021 | Arbeitsgemeinschaft Jugendvollzug „Mit einem Bein im Knast. Wenn Bedienstete in Verdacht geraten…“