Vor einigen Monaten sah ich auf einem Flohmarkt im niederländischen Maastricht einen großen Tisch voller Artikel für zehn Euro. Unter den zahlreichen Objekten befand sich eine Gipsfigur des Heiligen Josef, offensichtlich aus dem 19. Jahrhundert, die in einem völlig erbarmungswürdigen Zustand war. Unansehnlich, überall abgestoßen und farblos wie sie war, war es eigentlich ein Wunder, dass sie überhaupt noch zum Kauf angeboten und nicht längst schon zerschlagen worden war.
Ich habe eigentlich keine besondere Beziehung zum Heiligen Josef, tatsächlich war meine erster Impuls zum Kauf der Figur eher Traurigkeit und Mitleid. Hier war etwas, dass einmal schön war, dass für Menschen eine Bedeutung und einen Wert hatte, dass vielleicht Hoffnung und Zuversicht gespendet hatte, etwas, zu dem Menschen aufgeblickt hatten, völlig heruntergekommen. Ich sah jedoch nicht nur das, was einmal gewesen und nun verloren war, ich hatte gleichzeitig eine Vision von dem was da noch sein könnte.
Neus Leben einhauchen
Da ich in einer österreichischen Justizanstalt einen hervorragenden Künstler kenne, war mir klar, das ist ein Fall für Ihn, er kann es richten. Ich kaufte die Figur, zum Leidwesen meines Mannes, der nicht verstand, warum man solchen Schrott von Holland bis nach Österreich schleppen sollte, und brachte sie in die Justizanstalt Graz-Karlau mit der Bitte an die Leitung, sie den Inhaftieren zur Restaurierung zu übergeben. Dabei ließ ich dem inhaftierten Künstler völlig freie Hand in der Wahl der Farben. Mir ging es nicht darum, das Alte originalgetreu wieder herzustellen, mir ging es darum, ihm neues Leben einzuhauchen. Nun, einige Monate später, steht er vor mir der Heilige und es rührt mich sehr, was aus ihm geworden ist.
Persil-Weiß
Die weichen und sanften Pastelltöne der Bemalung machen ihn zärtlich und nahbar. Bekleidet ist er mit dem Blau des Himmels und dem Braun der Erde. Welch schöne Verbindung! Das Jesuskind an seiner Seite trägt ein angenehm ruhiges weiß. Kein perfektes „reiner als rein“ Persil-Weiß. Es ist ein Erd-Weiß, ein lebbares und lebendiges Weiß, ein Mensch gewordenes Weiß. Und was mich besonders freut: Vater und Sohn stehen auf einer Wiese, die der Künstler mit kleinen Gänseblümchen versehen hat. Kein Garten Eden! Kein Paradies! Nicht Ausuferndes! Nichts Exotisches. Es ist die Wiese hinterm Haus. Die Wiese, die jeder kennt und über die jeder gerne barfuß geht. Eben doch ein Paradies! Das hat er wunderbar gemacht, der Künstler im Knast. Sie sprechen die Farben… Sie sagen: vergiss nicht, Dich in Himmel und Erde zu kleiden. Beides brauchst Du in deinem geistlichen Leben, in deiner geistlichen Vaterschaft.
„Vater“ sein dürfen
Immer wieder nennen mich Menschen „Vater“ und bislang habe ich stets erklärt, dass ich zwar Gefängnisseelsorger, aber kein Pater oder Priester bin. Wenn ich auf den Heiligen Josef auf meinem Schreibtisch schaue, wird mir bewusst, dass ich diese Erklärung gar nicht brauche, dass ich Vater sein darf, für die, die einen solchen brauchen. Jemand, bei dem sie sich anlehnen dürfen, der zuhört und der vielleicht andere Perspektiven einnehmen kann. Jemand, der die Hand reicht. Jemand der da ist. Gleichzeit mahnt das Jesuskind an seiner Seite dazu, die Beziehung zum inneren Kind nicht zu verlieren, Spielräume zuzulassen. Kreuz und Dornenkrone wirken in seinen Händen wie Spielzeug. Keinesfalls sind sie erdrückend schwer und belastend, sondern leicht und spielerisch. Ganz so als würde Jesus sagen „ich hab das im Griff!“ Als Gefängnisseelsorger inspiriert mich diese Figur in vielfältiger Weise.
Sich ihrer Würde erinnern
Hier geht es nicht um die Frage nach Kunst oder Kitsch, denn der Wert einer Sache liegt im Auge des Betrachters. Den GefängnisseelsorgerInnen ist es aufgegeben in denen, die andere für wertlos, oder unbrauchbar halten die Würde und Größe des Menschseins zu sehen und so weit wir vermögen, dazu beizutragen, dass Menschen sich ihrer Würde erinnern und die Kraft erlangen Visionen davon zu entwickeln, was noch werden kann. Das geknickte Rohr darf nicht zerbrochen und der glimmende Docht nicht ausgelöscht werden. Die Kraft des Heiligen Geistes, sie macht alles neu. Löschen wir ihn nicht aus!
Jonathan Werner | Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt