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Hygieneregeln eingehämmert und beim Impfen keine Lösung

6. Januar 2021

Das Impfen der Bevölkerung gegen die Corona-Infektion läuft holprig an. Die Ärzte schlagen Alarm und die Medien äußern Kritik. Selbst die SPD weist dem Koalitionspartner schon mal die Schuld für das Impfdesaster zu, um nicht selbst in Bedrängnis zu geraten. Schließlich sind alle Maßnahmen im „Corona-Kabinett“ diskutiert und vereinbart worden. Deutschland galt einmal als Organisationsweltmeister für die Abwicklung komplexer Prozessabläufe. Diese Zeiten scheinen allerdings vorbei zu sein.

Die Impfkampagne bietet erneut ein Beispiel dafür, dass europäische Solidarität ein eher schlechter Ratgeber für die schnelle Bewältigung einer Pandemie ist. Seit März letzten Jahres wird der Bevölkerung immer wieder eingehämmert, es sei essenziell, Kontakte zu vermeiden, Hygienevorschriften einzuhalten und Masken zu tragen. Shutdowns seien immer dann erforderlich, wenn die Infektionen exponentiell würden. Alle Maßnahmen seien notwendig, um die Zeit zu überbrücken, bis mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen die Pandemie gänzlich ausgetreten werden könne.

Komplexe Abläufe nicht mehr organisieren?

Bereits bei der Bevorratung und Beschaffung von Masken und Schutzkleidung hatte es im Frühjahr 2020 erhebliche Mängel gegeben. Man durfte aber darauf vertrauen, dass beim Impfstoff solche Defizite nicht auftreten würden, schließlich gab es Zeit zur Vorbereitung. Was wir jetzt sehen, ist das genaue Gegenteil dessen, auf was die Bevölkerung vertraut hat. Im Sommer letzten Jahres zeichnete sich ab, dass Biontech/Pfizer einen erfolgversprechenden Impfstoff entwickeln würde. Zu dieser Zeit entschied die Kanzlerin, den Impfstoff zur Stärkung des europäischen Gedankens durch die Europäische Kommission beschaffen zu lassen, um alle Mitglieder zeitgleich mit dem Impfstoff zu beliefern. An sich ein überzeugender Gedanke, wenn da nicht die europäische Praxis der Entscheidungsfindung wäre.

Improvisiertes Impfzentrum für die Impfung gegen Covid-19 in einer Lagerhalle.

Geltungsanspruch behindert Impfstoffbeschaffung

Die Osteuropäer wollten in diesem Fall sparsam sein und nicht zu viel in den Ankauf der Impfstoffe investieren, zumal man nicht sicher sein konnte, welcher Impfstoff sich als wirksam erweisen würde. Und dann waren da noch die nationalen Ansprüche Frankreichs, das es als nationale Schande angesehen hätte, wenn von einem deutschen Produzenten mehr Impfdosen bestellt worden wären als von dem französischen Pharmakonzern Sanofi. Folglich orderte man sehr spät jeweils 300 Mio. Impfdosen von Biontech und Sanofi, um die französische Ehre zu schützen. Viel zu wenig für die 450 Mio. Menschen, die in der EU leben.

Dummerweise erhielt der Impfstoff von Biontech/Pfizer als erster die Zulassung durch die USA, England und später auch durch die EU. Amerika, England und Israel hatten sich da bereits den Großteil der Produktion gesichert. Die USA hatten für ihre 300 Mio. Bürger 600 Mio. Impfdosen geordert. Ähnlich verfuhren England und Israel. Nur Deutschland, dem lediglich ein Bruchteil der 300 Mio. europäischen Impfdosen zusteht, ist wieder einmal der Dumme. Anstatt die Beschaffung auf die Europäische Kommission zu delegieren, hätte Deutschland bei allen Produzenten, die erfolgversprechend Impfstoffe entwickeln, den gesamten Bedarf für die deutsche Bevölkerung bestellen können. Man hätte dann in dem ein oder anderen Fall zwar fehlinvestiert oder aber zu viele Impfdosen beschafft, doch zu diesem Zeitpunkt hätte man sich auch solidarisch zeigen und den überschüssigen Impfstoff abgeben können. Für die eigene Bevölkerung hätte in diesem Fall immer ausreichend Impfstoff zur Verfügung gestanden. Die Bevölkerung hätte, wie es Israel gerade vorexerziert, innerhalb weniger Monate durchgeimpft sein können, Herdenimmunität wäre erreicht worden und die Pandemie wäre Geschichte gewesen.

Schutz von Menschenleben noch absoluter Vorrang?

Jetzt stehen uns harte Monate bevor, weil wir in Ermangelung ausreichenden Impfstoffs wiederholt auf die sehr teuren Shutdowns, aufs Testen und die Vernunft der Bevölkerung setzen müssen. Der wichtigste Aspekt ist allerdings, dass uns die Politik immer versichert hat, alles zu unternehmen, um Menschenleben zu schützen. Jeden Tag werden wir mit Infektionszahlen bombardiert, um unseren Durchhaltewillen ja nur nicht erlahmen zu lassen. Wie passt die verpfuschte Impfstoffbeschaffung aber zu diesem Anspruch zusammen, Menschenleben schützen zu wollen? Jeden Tag, den die Impfung verzögert angeboten wird, sterben Menschen. Dabei wäre dieser Zustand leicht vermeidbar gewesen.

Ein Rettungs- oder Fluchtweg im Vollzug?

An den Kosten kann es nicht gelegen haben. Wer Hunderte von Milliarden Euro für die Stützung von Unternehmen und für Kurzarbeitergeld zur Verfügung stellen kann, der kann auch Impfstoff über den eigentlichen Bedarf hinaus ankaufen. Schließlich hat die Regierung immer betont, ärmere Länder bei der Impfstoffbeschaffung unterstützen zu wollen. Diese beiden Ziele hätten sich prima ergänzt.

Bleibt nur der weniger wirksame Impfstoff?

Während Amerika, England und vor allem Israel Impfrekorde aufstellen, müssen sich unsere Politiker unangenehmen Fragen stellen. Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) hat jetzt zwar erklärt, ab dem zweiten Quartal allen Bürgern Impfstoff anbieten zu wollen, doch wie soll das gelingen. Möglich wird dies nur sein, wenn der Impfstoff von Astra/Zeneca zugelassen und verfügbar sein wird. Leider hat dieser Impfstoff eine geringere Wirksamkeit und soll auch noch stärkere Nebenwirkungen auslösen können. Das führt zu der widersinnigen Situation, dass der in Deutschland entwickelte, höchst wirksame Impfstoff von Biontech/Pfizer vornehmlich den Bürgern anderer Nationen verabreicht und in Deutschland voraussichtlich mit weniger wirksamen Vakzinen geimpft werden wird.

Um nicht das Vertrauen der Bevölkerung gänzlich zu verspielen, wäre es jetzt erforderlich, den deutschen Bürgerinnen und Bürger eine Wahlmöglichkeit zu offerieren, mit welchem Impfstoff sie behandelt werden wollen. Sollten die Planungen der Regierung nicht realisiert werden können und wir müssten uns in den kommenden Monaten von Shutdown zu Shutdown hangeln, dann stehen uns harte und sehr teure Monate bevor. Anschließend, das ist bereits absehbar, wird die Schuldfrage die diesjährigen Landtagswahlen und wohl auch die Bundestagswahl bestimmen. Immerhin wäre es schon ein europapolitischer Skandal, sollte es sich als zutreffend erweisen, dass für die Ehre Frankreichs deutsche Menschenleben riskiert wurden.

Konsequenzen für den Vollzug

Durch den Mangel an Impfstoff wird auch die Vollzugswirklichkeit berührt. Viele Vollzugseinrichtungen haben in der Vergangenheit Abteilungen für Lebensältere geschaffen, die in erhöhtem Maße betroffen sind. Hier kann nur mit Hygiene, Maskentragen, Tests und dem Einhalten der Abstandsregeln reagiert werden, um Infektionen zu vermeiden. Bislang ist der Vollzug gut durch die Pandemie gekommen. Allerdings ist das vollzugliche Angebot deutlich ausgedünnt worden. Und auch Platz für Quarantäneabteilungen musste geschaffen werden, deshalb wird auf die sofortige Vollstreckung kurzer Freiheitsstrafen zunächst verzichtet. Dies darf kein Dauerzustand werden, weil sonst ein erheblicher Schaden für unser Rechtssystem zu besorgen wäre.

Es bleibt zu hoffen, dass Biontech/Pfizer schnell zusätzlichen Impfstoff produzieren kann, und die Bundesregierung sich diesen sichert. Im Nachhinein kann man sicher gut und leicht kritisieren. Die Bundesregierung hatte vermutlich auch die besten Absichten. Doch das Risiko einzugehen, am Ende mit zu wenig wirksamen Impfstoff dazustehen, das durfte einfach nicht passieren. Schließlich geht es um das Leben von Menschen, die Tag für Tag sterben und von denen viele hätten gerettet werden können.

Friedhelm Sanker | BSBD NRW

 

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