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Heiliges Kraut? Wie Religionen zu Cannabis stehen

17. August 2023

Nach monatelangen Debatten hat das Bundeskabinett eine begrenzte Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht. Ist die Droge aus religiöser Sicht erlaubt? Was sagen die Kirchen und andere Religionen zu Marihuana? Schon im ersten Kapitel des alten Testaments (Gen 1,29) sagt die Bibel: „Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet, auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume und Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise.“

Das als christliche Rechtfertigung für den Konsum von Cannabis zu sehen, wirkt vielleicht ein wenig weit hergeholt, für die Religion der Rastafaris auf Jamaika ist dieses Zitat aber einer der Grundpfeiler ihres religiösen Lebens. Mehr noch: Der Konsum von Marihuana ist für sie Teil ihrer sakramentalen Rituale. Bezugnehmend auf diese Bibelstelle ist Cannabis für sie ein „Heiliges Kraut“, das der Meditation dienen und sie näher zu Gott bringen soll. Die Rastafaris sind eine eigene Religion, die auf den Texten des Judentums und Christentums basiert und im 20. Jahrhundert in der Karibik entstanden ist. Das ist aber nicht die einzige Religion, die sich – mehr oder minder explizit – mit dem Konsum von Cannabis befasst. Für den Hinduismus ist der Gebrauch von Cannabis seit Jahrtausenden ein selbstverständlicher Teil der Tradition, wenn auch eher als Medizin denn als Rauschmittel. Ähnlich sieht es in den Traditionen des Buddhismus aus.

Plakat zum Cannabis-Gesetz in Berlin im August 2023. Fotos: Imago

Ist Cannabis koscher?

Im Judentum finden wir teilweise sogar Gelehrte, die Cannabis als koscher bezeichnen. Wie in den meisten modernen Gesellschaften gibt es aber auch in Israel großen Streit über den Gebrauch der Pflanzen. Wird Cannabis auch konkreter in der Bibel erwähnt, als nur das „Kraut“ aus dem ersten Kapitel von Genesis? Auch da gehen die Meinungen auseinander. Die Befürworter bringen ein anderes Zitat aus dem Buch Exodus als Argument: „Nimm dir die beste Spezerei: die edelste Myrrhe, 500 Lot, und Zimt, die Hälfte davon, 250, und Kalmus, auch 250 Lot, (…) Mache daraus ein heiliges Salböl nach der Kunst des Salbenbereiters. (…) So sollst du sie weihen, dass sie hochheilig seien.“ (Exodus 30,22-29). Der aus der Lutherbibel stammende Begriff Kalmus heißt im hebräischen Originaltext „qaneh bosm“ und ist der Ursprung des modernen Begriffs Cannabis. Also ja, rein faktisch wird Cannabis in der Bibel erwähnt. Die wörtliche Übersetzung des hebräischen Begriffs heißt „Duftgrasstängel“. Ob damit genau die gleiche Pflanze gemeint ist, die wir heute kennen, ist allerdings nicht zu belegen. Bei jüdischen Gelehrten sorgen diese Zeilen damals wie heute für große Diskussionen.

Was sagt der Koran?

Obwohl er wie das Judentum im Nahen Osten entstanden ist, findet im Islam die Cannabispflanze keine Erwähnung. Zumindest nicht direkt. Das wird vor allem damit zu tun haben, dass die aus Indien stammende Pflanze zu Mohammeds Zeiten in der arabischen Welt unbekannt war und erst um das Jahr 800 wiederentdeckt wurde. Auch wenn im Koran nichts zur Pflanze an sich steht, spricht die Heilige Schrift der Muslime trotzdem davon, dass berauschende Mittel „haram“, also verboten sei. Nach direkter Interpretation würde dazu neben Alkohol, der den Muslimen verboten ist, auch Cannabis zählen.

Cannabis „Sünde“ oder „Hilfe“?

Im neuen Testament finden sich keine konkreten Verweise auf Cannabis. Einige Experten sprechen aber davon, dass im frühen Christentum eine Weihrauch-Mixtur verwendet wurde, die auch Cannabis enthalten haben soll. Auch in modernen Zeiten hielt sich lange das Gerücht, dass Weihrauch THC enthalte, den gleichen Wirkstoff, der in Cannabis zu finden ist. Wissenschaftliche Untersuchungen haben das zwar widerlegt, aber trotzdem herausgefunden, dass Weihrauchharz eine geringe psychoaktive Wirkung hat. Die meisten modernen orthodoxen, katholischen und protestantischen Gelehrten und Würdenträger sprechen sich gegen den Konsum aus, mit Verweis darauf, dass Cannabis als Suchtmittel dem Körper Schaden zufügen würde. Es gibt allerdings einige Ausnahmen, so die progressive „United Church of Christ“ in den USA, der auch Ex-Präsident Barack Obama angehört, sowohl die Episkopale Kirche in Amerika. Beide beziehen sich allerdings explizit nur auf den medizinischen Gebrauch von Marihuana. Eine große politische Diskussion auch innerhalb der katholischen Kirche löste im Jahr 2018 die Legalisierung von Cannabis in Kanada aus. Nach Uruguay war das nordamerikanische Land damit das zweite, das diesen Schritt gegangen ist.

Scharfe Worte kamen damals von der katholischen Bischofskonferenz aus Kanada, die den Marihuana-Konsum in ihrem Statement als „Sünde“ bezeichnete: „Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Bereitstellung und Verwendung eines Suchtmittels zu erleichtern, das für so viele Menschen katastrophale Folgen haben wird“, hieß es damals in einem Statement der Bischofskonferenz. Allerdings machten auch die Bischöfe hier eine Ausnahme für die medizinische Anwendung. Alles andere verstoße gegen die Tugend der Enthaltsamkeit, so Bischofskonferenz-Generalsekretär Frank Leo im Jahr 2018. Die positive Wirkung von Cannabis als Medizin bezeugte im November 2022 der inzwischen emeritierte Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der damit der erste deutsche Bischof ist, der aus eigener Erfahrung über den Wirkstoff sprach. „Ich habe nie gekifft“, so Bode, aber in der Zeit eines längeren Krankheitsausfalls habe er Cannabis zu schätzen gelernt. Den Wirkstoff habe er als Tropfen aufs Brot bekommen und war sehr dankbar dafür. „Das waren rasende Schmerzen, und die Mittel halfen schon gar nicht mehr. Und da kam ärztlich verordnetes Cannabis ins Spiel.“ Cannabis sei kein Schmerzmittel, sondern verändere das Verhältnis zum Schmerz und den Umgang damit, so Bode. „Und das war schon eine Hilfe.“

Was sagt die Moraltheologie?

Die Beurteilung von Cannabis aus der katholischen Perspektive hängt also von der großen Frage ab, ob es als Suchtmittel oder Medizin verwendet wird. Für den Moraltheologen Jochen Sautermeister ist genau das der Knackpunkt in der Debatte, wie er in einem Interview erklärte. Er mahnt zur Vorsicht bei der Frage der Legalisierung, auch aus einem ethischen Blickwinkel: „Der Schutz von besonders verletzlichen Gruppen sollte deutlich im Vordergrund stehen und Priorität haben – vor allem der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Sie haben in Verbindung mit Cannabis nachweislich ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen oder Konzentrationsschwierigkeiten.“

Alkohol im Gottesdienst

Während sich die Kirche also schwertut mit der Frage einer Legalisierung von Cannabis, stellt ein anderes Rauschmittel seit der Antike für die Christen keine Probleme dar: Alkohol. Im Sakrament der Eucharistie ist aus katholischer Überzeugung Wein zu Jesu Blut geworden, was einen Konsum (im minimalen Mengen natürlich) selbst für Minderjährige unter 16 Jahren rechtfertigt. Dabei fällt der Alkohol als Teil der Eucharistie nicht unter das Jugendschutzgesetz, da dies explizit von Verkauf und Ausschank von Alkohol spricht und nicht von gottesdienstlichen Handlungen, die hier unter die Religionsfreiheit fallen. Wenn es also um den Konsum von Alkohol geht, ist die Rolle des Sakraments für die katholische Kirche wichtiger als die Regelungen des Gesetzgebers. Ähnlich begründen die Rastafaris auf Jamaika den sakramentalen Konsum von Marihuana.

Renardo Schlegelmilch | domradio.de


Eckpunkte der geplanten Legalisierung

Seit 2017 dürfen Ärzte Cannabisblüten und Cannabisextrakte in bestimmten schwerwiegenden Fällen verschreiben. Zum Beispiel für Kranke, die unter Multipler Sklerose, chronischen Schmerzen, Krebs oder Alzheimer-Demenz leiden. lm Jahr 2019 vergab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Lizenzen für die Produktion von Medizinal-Hanf. Drei Firmen, zwei nordamerikanische und das deutsche Unternehmen Demecan aus Sachsen, dürfen seitdem jährlich etwa 2,6 Tonnen Cannabis Produzieren und ernten.

1. Säule

Es soll nicht, wie ursprünglich geplant, zu einem bundesweiten kommerziellen Anbau und Verkauf kommen, da dies nicht mit geltendem Recht vereinbar wäre. Würde die EU-Kommission deutschen Untemehmen den Anbau und Verkauf erlauben, könnten Firmen dann Rechte für den gesamten europäischen Binnenmarkt einklagen.

Cannabis Social Clubs (CSC’s)

Stattdessen sollen private Vereine, sogenannte „Cannabis Social Clubs“ erlaubt werden, welche Cannabis anbauen und zum Selbstkostenpreis an ihre Mitglieder verkaufen dürien. Cannabis Social Clubs sollen maximal 500 Mitglieder haben dürfen und an jedes Mitglied pro Tag maximal 25 Gramm abgeben, monatlich aber nicht mehr als 50 Gramm – steuerfrei. Außerdem können die „CSC’s“ ihren Mitgliedern monatlich sieben Samen und fünf Stecklinge überlassen. Das Gras muss von den Vereinen unter Beachtung zahlreicher Sicherheits- und Qualitätskontrollen gezogen werden. Zulassung und Kontrolle der Clubs sollen die zuständigen Landesbehörden übernehmen.

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Cannabis zu rauchen soll in einem Umkreis von 250 Metern um den Eingangsbereich von Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen und öffentlich zugänglichen Sportstätten sowie in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr nicht erlaubt sein. Es gilt den Schwarzmarkt zumindest teilweise zurückzudrängen, was ein zentrales Anliegen der Bundesregierung bei der Legalisierung ist.

Besitz und Eigenbedarf

Jeder Erwachsene soll zukünftig 25 Gramm Cannabis zum Eigenbedarf besitzen und drei weibliche Pflanzen anbauen dürfen. Frühere Verurteilungen wegen Besitzes bis 25 Gramm oder Eigenanbaus von maximal drei Pflanzen können dann auf Antrag aus dem Bundeszentralregister gelöscht werden. Durch die Legalisierung soll dem Schwarzmarkt, so weit wie möglich, der Garaus gemacht werden. Mit der Legalisierung des Eigenanbaus und den „CSC´s“ soll gewährleistet werden, dass man kein Gras oder Hasch mehr beim Dealer um die Ecke kaufen muss. Hier bekommt man so gut wie nie Gewissheit über Reinheit, Herkunft, Sorte und THC-Gehalt der Droge. 

2. Säule

ln bestimmten Städten und Landkreisen soll die „zweite Säule“ der Legalisierung aus kommerziellen Modellprojekten bestehen. Hier soll regional das umgesetzt werden, was ursprünglich für das gesamte Bundesgebiet geplant war. AIles vom Anbau bis zum Verkauf in lizenzierten Fachgeschäften. Nutzen dürften das Angebot ausschließlich die BewohnerInnen der jeweiligen Region.  Dieses Projekt ist für fünf Jahre angedacht und soll wissenschaftlich begleitet werden. Daraus kann ein europäisches Projekt der Cannabislegalisierung und -politik entstehen. Mittlerweile haben NRW und Bayern angekündigt, keiner Bewerbung für einen solchen Verkauf zuzustimmen.

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