parallax background

50. Fachtagung: Himmelskomiker oder Boden-Luft-OffizierIn?

15. März 2024

Himmelskomiker oder Boden-Luft-OffizierIn? Oder was sonst sollen, wollen und dürfen GefängnisseelsorgerInnen als angehende oder bereits im Dienst stehende Seelsorgende in einer Haftanstalt Deutschlands oder Österreichs verkörpern? Dieser Frage gab die 50. Fachtagung „Kirche im Justizvollzug“ Raum in Form von Information, Vermittlung von theologischem und juristischem Wissen, Anregung zur Selbstreflexion und Gelegenheit zu persönlichem kollegialem Austausch. 39 Teilnehmende der evangelischen und katholischen Gefängnisseelsorge aus den Bundesländern nehmen daran teil.

„Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht“ – Dr. Kathrin Brockmöller vom Katholisches Bibelwerk in Stuttgart unterzieht die Magna Carta der Gefängnisseelsorge einer gründlichen exegetischen Analyse. Und wieder einmal zeigt sich, dass der exegetische Blick mehr Fragen aufdeckt als solche zu beantworten. So geht die Referentin davon aus, dass die im neutestamentlichen Evangelium Markus 25 aufgeführten Mangelsituationen von Hunger, Durst, Nacktheit, Fremdheit, Krankheit und schließlich Gefangenschaft allesamt im Kontext von Flucht und Krieg anzusiedeln sind, so dass es sich bei den Gefangenen nicht um Strafgefangene nach unserem Verständnis, sondern um Kriegsgefangene handelt. Brockmöller betont, dass der Besuch und die Versorgung der Gefangenen mit Nahrung angesichts der mangelhaften Versorgung im Gefängnis der Antike, für das Überleben der Gefangenen unverzichtbar ist. Die Kontaktlosigkeit scheint nicht das erste Problem dieser Gefangenen darzustellen, sondern die Sicherung ihres Überlebens.

Im Gespräch mit der Anstaltsleiterin der JVA Weiterstadt, Jutta Staudt-Treber (stehend links), mit Michael Kullinat von der JVA Schwalmstadt und den TeilnehmerInnen des 50. Ausbildungskurses.

Chance und Risiko zugleich

Die Gefängnisse, in denen SeelsorgerInnen heute tätig sind, die im Auftrag der rechtsstaatlichen Justiz betrieben werden, treffen an dieser Stelle ausreichend Vorsorge. Es begegnen ihnen im seelsorglichen Alltag aber oftmals Inhaftierte, denen es emotional-sozial am Allernotwendigsten fehlt: an der Einbindung in ein haltendes System von Menschen, das ihnen die für ein seelisches Überleben notwendige Zuwendung, Anerkennung, Liebe entgegenbringt. Dass die Gefängnisseelsorgenden gerade an dieser Stelle tätig werden, ist Chance und Risiko zugleich. Der Fachdienst „Seelsorge“ in den Justizvollzugsanstalten hat die Chance, ein klein wenig Licht in das Leben von Inhaftierten hineinzutragen. Dem Risiko, uns an der Übernahme gerade dieser Aufgabe immer wieder zu verheben, gilt es nicht zuletzt durch qualifizierte Aus- und Weiterbildung sowie regelmäßige Supervision entgegenzuwirken.

Professionell arbeiten

Lothar Schaefer (Supervisor DGSv), ehemaliger Gefängnisseelsorger in der Jugendanstalt Hameln, erarbeitet mit den Teilnehmenden seines Workshops einen sozialwissenschaftlich wie pastoraltheologisch (nach dem Pastoraltheologen Rolf Zerfaß) fundierten Begriff der Professionalität, der die Verantwortung für die Gewichtung der im seelsorglichen Handlungsfeld wirksamen und zu bewertenden Einflussfaktoren bei den seelsorglich Handelnden belässt. Schaefer deckt auf, dass die Rede von Professionalität oftmals der Entwertung des Gegenübers dient („XY hat sich da ja total unprofessionell verhalten…“). Der aufgeladene Begriff der Professionalität klagt hier das Gegenüber an. Er unterstellt objektive Kriterien für richtiges pastorales Handeln und vernebelt dadurch, dass seelsorglich verantwortetes Handeln auf der Basis situationsbezogener, reflektierter und begründeter aber immer subjektiv bleibender Werteentscheidungen ruht. Die im Workshop erarbeitete begriffliche Klärung macht mir als Teilnehmender sowohl den Aspekt von Freiheit als auch den der reflektierenden Verantwortung in meinem pastoralen Handeln bewusst. Als Repräsentanten von Kirche in einem nicht-kirchlichen Kontext arbeiten Gefängnisseelsorgende im Austausch mit anderen Professionen.

In aller Unterschiedlichkeit dieselben Aufgaben

Die positive Gestaltung ihrer Minderheiten-Situation im säkularen Umfeld kann zum Vorbild für andere pastorale Handlungsfelder werden. Diese Perspektive der Einbindung von Gefängnisseelsorge in das gesamte Gefüge kirchlichen Handelns eröffnet Generalvikar Prälat Christof Steinert vom Bistum Fulda. Wie sehr es darauf ankommt, dass die im Gefängnis Handelnden über ihren jeweils eigenen beruflichen Auftrag hinweg miteinander ins Gespräch kommen, wird durch den Vortrag und den Workshop der Anstaltsleiterin der hessischen JVA Weiterstadt, Jutta Staudt-Treber, deutlich. Der volle, vielstimmige gemeinsame Gesang im Gottesdienst verdichtet die Erfahrung der Tagung: Hier kommen Menschen zusammen, die mit Leidenschaft und in aller Unterschiedlichkeit an denselben Aufgabe arbeiten. Hier suchen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Biografie, junge und ältere „Neue“, ältere jung gebliebene „Alte Hasen“, Quer- und „Queer-Einsteiger*innen“ (dank der Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im November 2022) danach, auf ihre jeweils eigene Weise dem Auftrag Jesu zu folgen: „Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“

Dr. Beate Josten | JVA Wuppertal-Vohwinkel

 

Feedback 💬

Ihre E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert