Es gibt Gruppen, die den Gottesdienst im Gefängnis auf dem baden-württembergischen Hohenasperg gestalten. Dort ist das Justizvollzugskrankenhaus untergebracht. Die Inhaftierten, die Gefängnisseelsorge mit Henrike Schmidt oder Harald Prießnitz und Menschen von draußen sitzen anschließend zum Gespräch zusammen. Darin geht es vorwiegend um den Alltag im Gefängnis.
Schon lange ist der Wunsch aufgekommen, eine Veranstaltung durchzuführen, bei dem eine Gruppe von draußen und Inhaftierte miteinander über ein Thema ins Gespräch kommen. Im Dezember 2022 gab es eine Diskussionsveranstaltung mit Mitgliedern einer Gesprächsgruppe der Sozialtherapeutischen Anstalt (SoThA) und des Leseseminars der Hochschulgemeinde Ludwigsburg. Das Treffen wurde für Studierende von den Hochschulseelsorgern Joachim Pierro und Stefan Seiler-Thies angeboten. Grundlage war das Buch von Andreas Unger zum Thema “Vergebung. Eine Spurensuche”. Moderiert wurde das Gespräch von einem befreundeten Journalisten, Christian Turrey. Für die Inhaftierten ist der Ort vertraut. Durch die Gruppentherapien sind sie es gewohnt, persönlich über sich zu sprechen. Nach anfänglicher Zurückhaltung der überwiegend weiblichen Studierenden, kam ein lebendiges Gespräch über Erfahrungen zu „Vergeben, Verzeihen, Vergessen?“ zustande. Im Anschluss daran entstand ein Radiobeitrag mit O-Tönen von Inhaftierten.
Eigene Erfahrung von Vergebung
Der Moderator Christian Turrey, der mit dem Reporter Andreas Unger und Gisela Mayer, deren Tochter Nina beim Amoklauf von Winnenden 2009 getötet wurde, produzierte einen Filmbeitrag mit dem Titel “Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern” – Von der Kunst der Vergebung.“ Der Moderator schenkte dem Gefängnisseelsorger ein Exemplar des Buches von Unger und meinte, dass wäre doch etwas für „die Inhaftierten“. So wurde das Buch in der Gesprächsgruppe gelesen. Die Auseinandersetzung damit führte zu intensiven Gesprächen, bei denen die eigene schwierige Kindheit zur Sprache kam. Es stellte sich die Frage, ob und wodurch einzelne Teilnehmer ihren Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen der Kindheit vergeben konnten. “Persönlich berührt hat mich wie trotz massivster Vernachlässigung als Kind, sie ihren Eltern durchweg vergeben oder verzeihen konnten. Auf der anderen Seite hatten sie als erwachsene Inhaftierte anderen Menschen großes Leid angetan: Opfern wie Angehörigen, auch den eigenen Angehörigen”, sagt Gefängnisseelsorger Harald Prießnitz. Inwiefern wurde ihnen vergeben oder war es überhaupt möglich zu vergeben? Diese Fragen stellte Turrey zwei Gefangenen:
Klaus
Turrey: Klaus ist straffällig geworden und sitzt im Gefängnis auf dem Hohenasperg (im Kreis Ludwigsburg). Er sagt, jedes Opfer hat das Recht, nicht zu vergeben.
Klaus: Das Recht hat jedes Opfer, und das ist auch legitim, absolut, gerade bei schweren Straftaten versteht sich das von alleine.
Turrey: Vom Opfer vergeben zu bekommen, kann sehr helfen.
Klaus: Natürlich ist es leichter für einen Straftäter, wenn er weiß, ihm wurde vergeben, es ist auch sehr gut im therapeutischen Prozess, ganz klar, es macht es leichter.
Turrey: Umso schwerer, wenn es diese Vergebung nicht mehr geben kann:
Klaus: Das ist nicht mehr möglich, mein Opfer ist tot. Das geht leider nicht mehr, und diese Schuld wiegt sehr schwer auf meinen Schultern, auf meiner Seele und meinem Herz.
Hassan
Turrey: Sein Mitgefangener Hassan könnte die Vergebung von seinem Opfer noch erbitten. Doch er schämt sich zu sehr, um mit den Opfern in Kontakt zu treten und um Verzeihung zu bitten.
Hassan: Keine Worte könnten ungeschehen machen, was ich da gemacht habe, die Leute haben inzwischen gelernt, ja, mit der Tat zu leben und um für mich ein bisschen Seelenfrieden zu finden, möchte ich auch nicht alte Wunden bei den Leuten aufreißen, was sie dann wieder Jahre psychisch belasten würde.
Turrey: Für ihn und seinen Mitgefangenen Klaus gibt es auch einen wichtigen Unterschied zwischen Vergeben und Verzeihen.
Hassan: Für mich ist Vergebung göttlich und Verzeihen menschlich. –
Klaus: Vergebung kommt nur von Gott.
Turrey: Eines ist aber auch klar: Wer verzeiht oder vergibt, gibt nicht das Recht auf, wütend zu sein auf den Täter.
Die Veranstaltung und das Buch von Andreas Unger führten im Nachhinein zu weiteren Gesprächen mit Inhaftierten oder „zwischen Tür und Angel“ mit Bediensteten. Zeitweise kursierten mehrere Exemplare des Buches in der Anstalt. “Die Mitglieder meiner Gesprächsgruppe, freuen sich auf eine baldige Fortsetzung einer solchen Veranstaltung zu einem anderen gemeinsamen Thema”, meint Prießnitz.
Harald Prießnitz | JVKH Hohenasperg und Sozialtherapeutische Anstalt Baden-Württemberg