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Humanistischer Verband will Seelsorge anbieten

2. November 2021

Menschen, die sich als bekenntnisfrei bezeichnen, steigen in ihrer Anzahl. Genaue Zahlen von so genannten „Konfessionslosen“ lassen sich bei dieser heterogenen Bewegung, die sich primär über die Abgrenzung „–los“ definiert, schwer ermitteln. Eigenen Angaben zufolge zählen sich heute in Deutschland bis zu 40 Prozent zur humanistischen Bewegung zugehörig. Der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg hat eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einer „Humanistischen Hochschule“ für Berlin zurückgelegt. Dort sollen drei Studiengänge angeboten werden: ein praxisorientierter Bachelor „Soziale Arbeit“ mit dem besonderen Schwerpunkt „Spiritual Care“ und je ein Weiterbildungs-Master in Lebenskunde und in Angewandter Ethik.

Katrin Raczynski, Vorstandsvorsitzende des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, der als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt ist, sagt: „Trotz pandemiebedingter Verzögerungen liegen wir im Zeitplan. Die vollständigen Unterlagen zur Gründung einer Humanistischen Hochschule liegen  bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung. Bei erfolgreicher Prüfung auf Landesebene und durch den Wissenschaftsrat könnte die Hochschule ihren Gründungsbetrieb 2022/2023 aufnehmen.“ Katrin Raczynski weiter: „Die geplante Hochschule stellt für den Hochschulstandort Berlin in mehrfacher Hinsicht eine Bereicherung dar. Fachkräfte der sozialen Arbeit werden dringend gebraucht. Die Nachfrage nach Studienplätzen im Sozialwesen ist in Berlin seit 2010 um 61 Prozent angestiegen. Aufgrund des Studienplatzmangels ist der Numerus clausus hoch, viele Studierende wandern nach Brandenburg oder in andere Bundesländer ab. Hier bietet die Humanistische Hochschule Kapazitäten.“

Humanistische Lebenskunde

Zugleich steige die Nachfrage nach weltlich-humanistischen Angeboten wie beispielsweise der Humanistischen Lebenskunde, einem Wahlfach, das der HVD Berlin-Brandenburg an öffentlichen Grundschulen für mittlerweile rund 70.000 Kinder anbietet. Die Ausbildung der Lebenskundelehrkräfte soll durch einen Weiterbildungsmaster wissenschaftlich aufgewertet werden. Vor dem Hintergrund des weltanschaulichen Profils des Humanistischer Verbandes in  Deutschland wird zudem ein Weiterbildungsmaster in Angewandter Ethik die Potentiale, Grenzen und Folgenbewertung menschlichen Tuns aus ethischer Perspektive beleuchten. Der Bedarf einer Hochschule mit humanistischem Menschenbild wird begründet mit dem enormen Fachkräftemangel in der sozialen Arbeit. Die Nachfrage nach Studienplätzen im Sozialwesen ist in Berlin hoch und seit 2010 um 61 Prozent angestiegen; deshalb will die Humanistische Hochschule weitere Kapazitäten anbieten. Auch die Nachfrage nach dem Wahlfach Humanistische Lebenskunde in den Schulen steigt.

Nächstenliebe kann anders motiviert sein

Beim Delegiertenrat des Humanistischen Bundesverbandes ist der Fachausschuss „Humanistische Seelsorge und Lebensberatung“ gegründet worden. Ziel dieses Ausschusses ist es, bestehende Angebote säkularer Seelsorge zu professionalisieren sowie sich mit Seelsorge-Angeboten anderer Weltanschauungen zu vernetzen. Auf Basis des Humanismus und der Erfahrung eines geteilten Menschseins möchte man von Krisen Betroffenen begleitend zur Seite stehen, ohne sie in eine weltanschauliche Richtung drängen zu wollen. „Nächstenliebe kann auch anders als christlich begründet und motiviert sein. Die Kirchen haben längst kein Copyright mehr auf Seelsorge. Zahlreiche Varianten esoterischer, muslimischer oder buddhistischer Lebenshilfe belegen, dass alternative Lebensdeutungen und Sinngebungshilfen immer häufiger in Anspruch genommen werden“, sagt Dr. Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Gespräch auf Augenhöhe

Wie verhalten sich die christlich-seelsorgerlichen Angebote gegenüber der säkularen Konkurrenz? Die verständliche Haltung innerkirchlicher Kreise, die traditionelle konfessionsgebundene Seelsorge zu verteidigen, wird der Realität nicht mehr gerecht. Viele Menschen wenden sich von den Kirchen aufgrund des Missbrauchsskandals oder anderer Reformstaus ab. Das Gespür für eine persönliche Gottesbeziehung finden sie eher in der Natur, bei Körpererfahrungen oder in der philosophischen Reflexion. „Deshalb ist es klug, das Gespräch auf Augenhöhe zu suchen und die eigenen Erfahrungsschätze konstruktiv einzubringen. Die starken Potentiale christlicher Tugenden wie Dankbarkeit, Hoffnung, Vergebung oder die Kraft des Trostes brauchen sich im Dialog mit säkularen Angeboten nicht zu verstecken“, so Utsch von der Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin.

Titelfoto: Anne Stickel, Kolumbien

 

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