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Heimatliche, kulturelle und religiöse Wurzeln

7. Januar 2019

Vor kurzem besuchte ich meinen Geburtsort im Schwarzwald. Dort sind meine Wurzeln und ich blicke auf eine jahrhundertlange Familiengeschichte zurück. Diese Geschichte hat mit der Postzustellung und dem Postbetrieb in meinem Heimatdorf zu tun. Schon mein Ur-Opa war bei der württembergischen Post. Ich habe diese Tradition mit meinem Beruf durchbrochen.

Ein jugendlicher Gefangener an meinem Arbeitsort der JVA Herford meinte, ich würde als Seelsorger jetzt andere Nachrichten „zustellen“. Ist nur die Frage, welche Nachrichten ich angesichts der zerbrochenen (und verkorksten) Geschichten vermittle? Für manche ist der Knast zur Heimat geworden. Ich denke nach über die inhaftierten Jugendlichen, die entwurzelt sind, die nicht wissen, wo und wie ihre Heimat ist. Manche haben einen gewaltigen Vater oder eine schwache Mutter erfahren. Wieder andere haben ihr Herkunftsland verlassen und sind im Kulturschock. Ich erlebe, dass „Familie“ Segen und Fluch zugleich sein kann. Traditionen und Verstrickungen sind tief. Was ist denn, wenn es keine haltbaren Wurzeln gibt? Suchtmittel und fragwürdige Beziehungen verfärben den Blick.

Da ist die Geschichte mit dem kriminellen Zöllner. Zachäus entscheidet von sich aus auf einen Baum zu klettern, um von ihm gesehen zu werden. Er ändert seinen Blickwinkel. Das Ergebnis ist ein Abendessen mit Jesus in seinem Haus! Die Leute waren wütend darüber. Wie kommt dieser Jesus ausgerechnet dazu, bei diesem Typ einzukehren? Jesus wird ihn nicht bekehrt haben. Ich gehe davon aus, dass Zachäus in der Begegnung von sich aus Veränderung erfahren hat. Er selbst wird darauf gekommen sein, sein Handeln zu überdenken.

Ich erkenne, dass es wertvoll ist, solch eine Postfamilien-Geschichte zu haben. Es war wichtig, dass ich mich darüber hinaus weiter orientierte. Einen anderen Blickwinkel einzunehmen beginnt damit, diese meine Geschichte zu akzeptieren und zu respektieren, so wie sie ist. Wenn ich meine Wurzeln kenne, kann ich anders leben.

Da treffen sich meine Erfahrungen mit denen der jugendlichen Inhaftierten. Zu unterscheiden und zu entscheiden, was will ich behalten, was kann und darf ich getrost über Bord schmeißen. In Respekt und Achtung vor meiner eigenen nicht immer glorreichen Lebens-Geschichte. Sie macht mich zu dem, zu dem ich geworden bin. Jeder Mensch ist mehr, als ihm zugeschrieben wird. Er ist mehr als seine Straftaten. Und immer bin ich auch weniger als meine glorreichen Taten.

Machen Sie sich einmal Gedanken um Ihre heimatlichen und kulturellen oder religiösen Wurzeln. Was haben Sie davon übernommen, was hat sie geprägt, was hat geholfen oder gebremst? Ich wünsche Ihnen einen barmherzigen Blick auf sich selbst und den Anderen. Vielleicht werden so manche Lebens-Nachrichten anders zugestellt und angesehen.

Michael King | JVA Herford

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