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Wie im Fall Petrus: Deine Sprache verrät Dich

10. April 2022

„Deine Sprache verrät dich“ sagen die Umstehenden zu Petrus, „Du bist entlarvt“. Wir erinnern an die Geschichte in der Bibel bei der Verurteilung Jesu. Petrus verleugnet diesen Jesus je gekannt zu haben: Petrus wird sein Fall vorausgesagt und in stolzer Selbstaussage hat Petrus ein mögliches Versagen oder eine Inkonsequenz seines Handelns grundsätzlich in Frage gestellt. Schneller, als erwartet, vor allem von einer Stelle aus, die er überhaupt nicht in sein Denken mit einbezieht, wird Petrus mit sich und seinem Versagen konfrontiert. Und es kräht der Hahn, das war das Zeichen.

Der zum Heldentum und äußerster Konsequenz Entschlossene Petrus versagt, wo Zivilcourage verlangt gewesen wäre, lässt die Tapferkeit des täglichen Lebens vermissen. Eine unbedeutende Magd holt Petrus von seinem formelhaften Pathos auf den Boden der Tatsachen herunter und entlarvt ihn. Es gibt Dinge im täglichen Leben, unbedacht, unbeachtet, unbewusst, die unsere Ansprüche, unsere guten Absichten Lügen strafen, die verräterisch wirken und zeigen, wie wir tatsächlich sind. Petrus ist da kein Einzelfall. Die Verleugnung des Petrus führt uns vor Augen, wie schnell und wie leicht wir unglaubwürdig werden können; in Augenblicken, wo wir am wenigsten damit rechnen. Der Fall des Petrus entlarvt und deckt auf, gerade da, wo wir meinen, stark, konsequent und gut zu sein. Bei oberflächlicher Betrachtung verrät sich Petrus durch seinen Dialekt in einer anders sprechenden Umgebung. Im übertragenen und eigentlichen Sinn aber verrät seine Sprache etwas über seine Beziehung zu den Menschen, sie macht offenkundig, was wir lieber verdeckt halten wollen; sie konfrontiert Petrus mit sich selbst in beschämender Weise. Es gibt Situationen, “wo wir uns verraten und durch unsere Sprache einen Blick hinter unsere glatte Fassade gewähren. In unserem Sprechen kommt etwas ans Licht, was Einblick gibt in unser Denken, Fühlen und das, worin wir verhaftet und verstrickt sind.

Sprachregelungen

Man spricht von sogenannten Sprachregelungen. Hier soll durch die Sprache etwas geregelt werden, was nicht geregelt oder besser gesagt nicht in Ordnung ist. Mit Hilfe der Sprache soll eine Angelegenheit begreifbar und akzeptabel gemacht und bewältigt werden, die im Grunde genommen als nicht bewältigt angesehen werden kann. Eine solche Sprachregelung stellt z.B. der Begriff Vorwärtsverteidigung dar oder das Wort Verklappung, das eigentlich Vergiftung heißen müsste. Auch das Wort Rechtsfrieden oder die Formel „der Rechtsfrieden soll wieder hergestellt werden“ ist hier zuzurechnen. Zu fragen ist allerdings: hat dieser Rechtsfriede vorher überhaupt bestanden und worin? Wird durch ein Urteil ein Friede geschlossen? Zwischen welchen Parteien? Wo kommt der durch eine Straftat Geschädigte bei diesem Friedensvertrag zu seinem Recht? Ist durch die Verhängung einer Strafe, ein moralisches Unwerturteil, ein Friede wieder hergestellt, wenn er überhaupt vorher bestanden hat?

Spion, Verschubung, schädliche Neigungen

Auch die Sprache der Justiz, in Sonderheit die des Vollzugs, verrät sich. So wird z.B. das kleine Guckloch in der Zellentür als Spion bezeichnet. Mit anderen Worten: es wird ein Wort in die Alltagssprache des Vollzugs eingeführt, das einen ausgesprochen negativen Klang hat. Eine als nützlich und notwendig angesehene Sache, ein Mittel, unerlässlich erscheinender Kontrolle, wird mit einer Bezeichnung belegt, die im Grunde etwas Feindliches, Gefährliches beschreibt. Der Gefangene wird einer Sache ausgesetzt, gegen die sich jeder Staat meint zur Wehr setzen zu dürfen und zu müssen. Im Grunde genommen wird hier gerade umgekehrt verfahren, als es das Sprichwort nahelegt: Was du nicht willst, was man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu. Zeigt hier der Vollzug sein wahres Gesicht?

Ich bin ein ausgesprochener Freund von Modelleisenbahnen; es macht mir bis heute Spaß, mit Loks und Wagen zu rangieren und diese hin- und herzuschieben, bis ein Zug zusammengestellt ist. Aber ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich folgendes von einem Jugendrichter lese: „Gemäß $ 456 a StPO wird mit dem Tag der Ausreise des Gefangenen von weiterer Vollstreckung der Jugendstrafe abgesehen. Bis zum Abflug des Flugzeugs befindet sich der Gefangene weiterhin in Strafhaft. Die Verschubung aus der Justizvollzugsanstalt B. auf den Flugplatz erfolgt durch die Polizei nach näherer Weisung des Ausländeramtes in Z. „Die Verschubung erfolgt…“ Ein junger Gefangener, der über Jahre hinweg mehrfach in der Woche am Trainings- und Spielbetrieb des örtlichen Sportvereins teilgenommen hat, wird am Ende seiner Zeit wie eine Sache verschoben, damit er unsere Landkarte nicht mehr befleckt. Das so bepflanzte Sprachfeld ist ein beredtes Zeugnis für die Atmosphäre, in der wir uns bewegen. Und so verfügt es auch ein schriftlich gebildeter Jurist, der sich damit im Grunde genommen als empfindungsloser Schreiber verrät.

Ein umstrittener Begriff innerhalb des Jugendrechts ist der der schädlichen Neigungen. „Schädliche Neigungen zeigt ein Jugendlicher, bei dem erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel die Gefahr begründen, dass er ohne Durchführung einer längeren Gesamterziehung die Gemeinschaftsordnung durch weitere Straftaten stören wird“. So zitiert noch in den 70er Jahren der Rechtsgelehrte Friedrich Schaffstein in der 4. Auflage seines Lehrbuches „Jugendstrafrecht“ die Richtlinien zu $ 6 des Reichsjugendgesetzbuches von 1943. Damit erklärt Schaffstein auch den heute umstrittenen Begriff. Der 21. deutsche Juristentag (1989 in Göttingen) versteht den Begriff der schädlichen Neigungen dagegen als Einfallstor der zur Erziehung verhängten Jugendstrafe und als Beleg für den Wandel des Erziehungsgedankens in Autoritäre. Es gibt auch Stimmen, die die Streichung des Begriffes aus dem JSG fordern, weil er ein Unwerturteil und eine Stigmatisierung eines noch in der Entwicklung befindlichen jungen Mannes bedeutet und vom Standpunkt der Sozialpädagogik aus heute nicht mehr akzeptabel sei. Der eingangs erwähnte Schaffstein stellt in seinem Lehrbuch den aus dem österreichischen Recht übernommenen Begriff schädliche Neigungen als eine „Verdeutschung“ des Ausdrucks „kriminelle Neigungen“ dar. Auch hier ist die Sprache verräterisch und es bedarf wohl kaum mehr eines Hinweises, dass Schaffstein während des 3. Reiches zu den führenden und linientreuen Juristen gehörte und der unbeschadet seiner Vergangenheit, nach 1945 als Ordinarius für Strafrecht seinen Beitrag zum Wiederaufbau der Strafrechtswissenschaftlerin der Bundesrepublik geleistet hat.

Charakterliche Entwicklung und Behandlung

Bei vielen unserer Gefangenen ist davon die Rede, dass sie charakterlich nicht geeignet sind, z.B. zum Führen eines Kraftfahrzeuges. Auch sonst ist viel von der charakterlichen Entwicklung des Gefangenen die Rede, ‘von charakterlichen Mängeln und dgl. Dolf Sternberger bezeichnet das Wort charakterlich als eine „wesenlose Ortsangabe“, d.h. eigentlich etwas, das gar nicht auf ein menschliches Wesen bezogen ist. Und weiter: „Das Wort „charakterlich“ lässt in der Tat die Sklaverei des Charakters erkennen. Wird es einmal aus seiner Strafecke herausgeholt und zu einer (scheinbaren) Eigenschaft erhoben, so tritt es nie zu einem lebendigen Hauptworte und lebendigen Wesen in Beziehung, sondern ganz im Gegenteil immer und ausschließlich zu den anonymen Mächten, die sich den Charakter dienstbar machen und mit ihm umgehen wie mit einem Stück Holz… Und der Begutachtende, Beurteilende, Erziehende und Schulende ist jedes Mal der große oder kleine Unmensch selber, der sich hinter Formularen und Organisationen verbirgt mit all seiner Anmaßung.

Ein Grundsatz lautet: „Gefängnisseelsorge bejaht den Behandlungsvollzug…“ Aber was meinen wir, wenn wir von Behandlung reden. Behandlung bedeutet recht verstanden Menschenbehandlung; von Menschen an Menschen, auf den Menschen gerichtetes transitives Tun. Worte wie Menschenhandel, Menschenjagd, Menschenräuber, Menschenschinder haben eine der Menschenbehandlung analoge Struktur und Stoßrichtung. Sternberger ist der Meinung, dass das Wort Menschenbehandlung in seinem transitiven Richtungsgehalt mit dem Finger oder eigentlich mit der geballten Faust auf Erscheinungen der Erniedrigung und Ausbeutung und das heißt nicht der Behandlung, sondern vielmehr der Misshandlung von Menschen durch Menschen hinweist. Das Wort Menschenbehandlung wird auch dadurch wohl nicht besser, wenn man nur von „Behandlung“ spricht und den „Menschen“ davor weglässt. Und was wird aus den Objekten der Behandlung, wenn der Behandlungszweck nicht erfüllt werden kann – zumindest nicht so schnell, wie es Behandler und vor allem deren Funktionäre an den Schalthebeln der Macht und an den Schreibtischen erwarten und wollen? Oder was bedeutet der Satz „aus Gründen der Behandlung ist es dem Gefangenen untersagt, mit seiner Frau ohne akustische Überwachung zu sprechen?“

Wer wird eigentlich behandelt?

Rekruten, Fabrikarbeiter, Kranke, Gefangene, Menschen also, die abhängig, ihrer Freiheit beraubt sind, Menschen ohne eigenen Willen, Menschen die außerhalb stehen, Menschen, die ganz oder teilweise die Erwartungen und Normen unserer Leistungsgesellschaft nicht erfüllen. Den Älteren wird noch einfallen, dass es ein Memorandum von Heinrich Himmler gab „Über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten“. Wir reden vom Behandlungsvollzug, vom Behandlungsgrundsatz, von Behandlungsdauer. Bejahen wir den Behandlungsvollzug? Wollen wir tatsächlich behandeln? Stellen wir uns nicht unter ein Schema, unterwerfen wir uns einem (Erfolgs-) Zwang? Sollten wir uns nicht vom engen Erfolgsdenken freimachen und bescheidener und schlichter sagen: Wir kommen mit Menschen zusammen, wir gehen mit Menschen um?

Ich darf hierzu noch einmal Sternberger aus dem o.ä. Wörterbuch des Unmenschen zitieren: „Dem Menschen ziemt es nicht, den Menschen zu behandeln. Ihm ziemt es aber, mit Seinesgleichen umzugehen. Menschenbehandlung ist wie Menschenmisshandlung. Die rechte Menschenbehandlung aber ist der Umgang mit Menschen.“ Der oben zitierte Satz endet damit, dass darauf hingewiesen wird, dass die Seelsorge im Behandlungswollzug nicht aufgeht. Beim Umgang mit Menschen spielt unsere Sprache eine wesentliche Rolle. Wir handeln durch sprachliche Mittel; vor allem natürlich als Seelsorger und Diener des Wortes – und wir verraten uns dadurch auch, – dadurch, dass wir um jeden Preis reden müssen oder meinen, reden zu müssen, – durch eine Sprache, die der andere nicht versteht, d.h. durch ungeeignete sprachliche Mittel, durch Formeln und Sprüche, – oder auch durch unsere Sprachlosigkeit.

Es gibt Situationen im Vollzug, wo alle Bezüge versagt haben, wo alle hilf- und ratlos sind und wo man dann nach dem Gefängnisseelsorger ruft. Der soll mit dem Gefangenen sprechen und die Situation ändern oder doch wenigstens erträglicher machen. Ich erinnere mich an einen abendlichen Anruf eines Sozialarbeiters: „Bei uns ist der K.E. in der U-Haft, der heult schon seit zwei Tagen. Kannst du nicht mal kommen. Der Psychologe war schon bei ihm, der Arzt ist nicht mehr in der Anstalt und Tabak hat er auch schon vom Stationsbeamten bekommen“. Nun soll ich mit ihm sprechen. Was verrät da meine Sprache, wenn ich zu einem solchen Häuflein Elend in die Zelle trete? Zunächst meine Hilf- und Sprachlosigkeit, denn es verschlägt mir zunächst die Sprache; es zeigt sich meine Ohnmacht, denn ich bekomme sehr schnell mit, dass die U-Haft eigentlich nicht notwendig ist (ich sehe keine Flucht- und keine Verdunkelungsgefahr; drei Wochen später wird der Haftbefehl tatsächlich auch aufgehoben. Ich spüre meine begrenzte Fähigkeit zur Sprache, weil ich schweige, Fragen stelle und dann auch bestimmte Dinge ver-spreche, Ich muss Versprechungen machen, weil ich im Augenblick nicht angemessen sprechen kann, jedenfalls nicht so, dass es gleich eine positive Veränderung erzeugt.

Das einzig positive an der Situation ist, wenn ich noch realisieren kann, dass Sprache kein fertiges zurecht gemachtes Hilfsmittel ist, kein in sich geschlossenes System von Zeichen und Bedeutungen, sondern ein offener Prozess. Ich realisiere, dass das Gerede, das man tagaus tagein mitmacht, nicht hinreicht. Wenn es hoch kommt, keimt in einer solchen Situation auch die Hoffnung auf, dass die Sprache, die von mir aus geht, nicht sogleich, aber bei einem späteren Zeitpunkt offen ist für neue Einfälle, Wortverbindungen und Sinnbedeutungen, offen für neue Erfahrungen. Ich hoffe, dass meine Sprache nicht nur meine Schwäche offenlegt, sondern auch meine Verbindlichkeit (dass sie seelische Wunden verbinden kann), dass Sprache hilft, die Wirklichkeit ein Stück weit zu bewältigen.

Deine Sprache verrät dich

Gemeint ist zunächst der Dialekt, aber ich verrate durch meine Sprache nicht nur, woher ich komme, sondern auch wer ich bin. Ich verrate durch meine Sprache nicht nur, dass ich Schwabe bin mit bestimmten Eigenheiten, sondern ein Mensch mit bestimmten Prägungen, Schwächen und Möglichkeiten. Der eigentliche Verrat besteht wohl nicht darin, dass meine Sprache mich verrät, sondern, dass ich dies leugnen will. Petrus verrät sich durch seine Sprache; Petrus der seinen Herrn verleugnet, stellt sich dar als Mann der starken Worte, der Entschlossenheit und des schnellen, energischen Handelns. Seine Schwäche wird durch eine Randbemerkung offenkundig, sein Versagen da, wo er unerwartet gefordert wäre. Und er muss hinaus gehen und bitterlich weinen. Dieser Petrus wird verehrt als bedeutender Zeuge und Bote des Glaubens. Dieser zwielichtigen Gestalt wird viel anvertraut; er wird Fels genannt und gleichzeitig ist er ein ganz und gar menschlicher Zeuge und mir ein großer Trost.

Dr. Fritz Sperle | Quelle: Seelsorge im Strafvollzug

Dr. Fritz Sperle wurde 2018 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Im Jahr 1974 ist er mit Inbetriebnahme der baden-württembergischen Justizvollzugsanstalt Adelsheim und damit als ein Mann der ersten Stunde als evangelischer Anstaltsseelsorger eingestellt, im Jahre 1980, zum evangelischen Dekan für den baden-württembergischen Justizvollzug berufen worden. Davor war er Vikar der württembergischen Landeskirche und studierte außerdem Kriminologie und Strafvollzugskunde als Vorbereitung auf seine Tätigkeit im Gefängnis. Im Jahr 2005 ging Sperle in Pension.

 

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