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Justiz lässt Weihnachtsgnade vor Recht ergehen

22. Dezember 2021

Weihnachtsgnade – als das Wort im Radio fällt, stellt sich bei mir skeptisches Stirnrunzeln ein. Was hat die Weihnachtsgnade in einer politischen Sendung zu suchen? Aber es ging gar nicht um den idyllischen Blick auf ein Fest, das per se fröhlich sein soll, aber so häufig zum Familienstreit führt. Vielmehr wurde nüchtern berichtet, dass in Österreich und Deutschland auch dieses Jahr wieder Menschen frühzeitig aus der Haft entlassen werden. Ihnen selbst und dem Gefängnispersonal soll die Weihnachtsfeier im Kreis geliebter Menschen ermöglicht werden.

Die Weihnachtsamnestie zeigt, wie besonders dieses Fest für unsere Gesellschaft ist. Es wird nicht nur von Christinnen und Christen gefeiert. Selbstverständlich muss niemand, der von der Amnestie profitieren will, einen Nachweis christlichen Glaubens liefern. Weihnachten erfreut sich auch in säkularen Familien größter Beliebtheit. Viele jüdische oder muslimische Menschen stellen zu Hause einen Weihnachtsbaum auf. Dieses Fest hat zu enge Konfessionsgrenzen längst überschritten. Es ist ein Kulturerbe der Menschheit. Aber wie wird es jenen Menschen ergehen, die in den kommenden Tagen die Gefängnistore hinter sich lassen?

Ins Gefängnis zu kommen, ist für viele ein schmerzlicher Schock – verbunden mit brennender Scham und einschneidenden Beziehungsabbrüchen. Hier landen keinesfalls nur die coolen Verbrecher, bei denen Haft zum kalkulierbaren Berufsrisiko gehört. Paradoxerweise erhöht sich die Vulnerabilität von Menschen, die mitten aus dem normalen Leben heraus hinter Gitter müssen. Ob die Weihnachtsgnade für sie über das hinausgehen wird, was juristisch gesehen ein Rechtsakt ist? Den Entlassenen ist es besonders zu wünschen, dass das Weihnachtsfest mitten aus der Fragilität menschlicher Beziehungen heraus gelingt. Wie auch immer sie dieses Fest feiern werden.

Prof. Dr. Hildekund Keul, Vulnerabilitätsforscherin, Universität Würzburg | Quelle: Die Furche

 

Die Weihnachtsamnestie

Alle Jahre wieder lässt die Justiz mit der Weihnachtsamnestie Gnade vor Recht ergehen. 277 Gefangene in Nordrhein-Westfalen konnten aus den 36 Gefängnissen vorzeitig entlassen werden.  Die Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr erhöht, als bis Anfang Dezember 247 Gefangene freikamen. Das Niveau von 2019 – also vor der Corona-Pandemie – ist damit aber längst nicht erreicht. Damals waren zum Beginn der Adventszeit schon 522 Häftlinge auf diesem Weg frei gekommen.  Der eigendliche Grund ist, dass es über die Feiertage und „zwischen den Jahren“ kaum Möglichkeiten gibt, Behörden zu erreichen, eine Arbeitsstelle zu finden oder ein bevorstehenden Umzug durchzuführen. 

Strafvollzug ist Ländersache, deshalb entscheidet jedes Bundesland für sich, ob und wie den Strafgefangenen eine Weihnachstamnestie zugebilligt wird. Die jeweiligen Landesjustizminister regeln in einer Verfügung die Voraussetzungen für die vorzeitige Entlassung von Gefangenen im Gnadenwege aus Anlass des Weihnachtsfestes. Die Staatsanwaltschaften werden dadurch als Strafvollstreckungsbehörde ermächtigt, Inhaftierte vorzeitig zu entlassen, deren eigentliches Haftende in den Zeitraum zwischen Mitte November und den ersten Januartagen fällt. Der Gnadenerweis gilt nur für Gefangene, denen leichte Delikte zur Last fallen, nicht dagegen für Verurteilte wegen schwerer Gewaltdelikte oder wenn weitere Anklagen anhängig sind.

Kriterien

Formaljuristisch handelt es sich dabei um keine generelle Amnestie, sondern es wird bei jedem Gefangenen einzeln geprüft, ob die Voraussetzungen für diesen Gnadenerweis erfüllt sind. Die besonderen Voraussetzungen sind ebenfalls von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, teilweise gilt die Weihnachtsamnestie nicht für Verbüßer einer Ersatzfreiheitsstrafe, in anderen Ländern gibt es eine Mindesthaftdauer. Weitere Bedingung sind häufig ein gutes Verhalten im Vollzug und dass Wohnsitz und Lebensunterhalt in Freiheit geklärt sind. Es gibt keine „Zwangsbeglückung“, der Gefangene muss zustimmen, um freigelassen zu werden. Wer befürchtet, aus der Weihnachtsfrustration heraus neue Straftaten zu begehen, kann die Freilassung ablehnen. Einige Gefangene lehnen eine Weihnachtsamnestie ab und verbringen Weihnachten lieber im Gefängnis als in Freiheit.

 

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