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Weihnachten für mitgefangene Angehörige

27. November 2019

Die Frage der Beziehung zu Familienangehörigen von Gefangenen, die durch deren Inhaftierung selbst „mitgefangen“ sind, stellt sich besonders in der Advents- und Weihnachtszeit. Das Fest Weihnachten zeichnet ein Spiegelbild des gelebten Lebens ab. In dieser Zeit zeigen sich besonders die Brüche und Abgründe, trotz des so harmonisch geglaubten Erlebens auf Weihnachtsmärkten und Einkaufsmeilen. Ein Lichterfest mit dem Wunsch, alles möge wieder gut sein?

Zum Zeitpunkt „Weihnachten“, an dem angeblich alles so harmonisch sein soll, ereignen sich die meisten Auseinandersetzungen in Familien. In Leipzig füllen sich die Kneipen und Lokale in der Innenstadt am Heilig Abend ab 20 Uhr. Tolle Bescherung! Familie kann Segen und Fluch zugleich sein. So manche Gefangene haben schlechte Erfahrungen mit „ihrer“ Familie gesammelt. Je zerrütteter eine Familie ist, desto mehr wird Wert auf ein „gepflegtes“ Weihnachtsfest mit Bier und Cognac gelegt. Und desto mehr wird Familie verteidigt im Knast. „Wage es ja jemand meine Mutter zu beleidigen…“


Vielleicht gilt es den Begriff „Familie“ und den Angehörige zu weiten. Unter dem Familienbegriff wird meist das Vorhandensein von Kindern subsumiert und Familie wird in vielfältiger Form gelebt: Verheiratete oder nicht verheiratete Eltern leben mit ihren Kindern zusammen; Mütter und Väter erziehen ihre Kinder; Kinder leben in Patchwork-Familien, Pflegefamilien, Adoptionsfamilien… Unter Beachtung der Fülle an Lebensentwürfen kann nicht mehr von „der Familie“ gesprochen werden, da jede Familienform ihre eigene Wirklichkeit darstellt. Aber auch die verschiedenen Formen von Familie sagen nicht unbedingt etwas über die emotionalen Bindungen aus.

Und da gibt es noch andere in der „La familia“. Den Schriftzug haben manche Gefangene und auch schon mal Bedienstete auf dem Arm tätowiert. Damit sind nicht nur Angehörige gemeint. Da gibt es die Kumpels und „Brudders“, die „Cousengs“ und die „Perle“. Nichtsdestotrotz sind die Angehörigen (Vater, Mutter, Großeltern, Geschwister oder die Freundin) von der Inhaftierung unmittelbar betroffen. Ebenso das Kind oder die Kinder inhaftierter Väter. Die Sichtweise, dass Weihnachten von vielen glorifiziert wird und man unbedingt ein Familien-Fest mit „Frieden, Freude und Eierkuchen“ will, zeigt die Sehnsucht, hat aber nichts mit der Realität zu tun. Weihnachten könnte sich im gesamten Jahr immer wieder neu ereignen: Beziehungen klären, versöhnliche Töne anstimmen oder eine klare Position einnehmen. Angehörige sind „mitgefangen“ – nicht nur an Weihnachten. Dass dies vor allem an Weihnachten schmerzhaft bewusst wird, ist verständlich. Ist die Frage, wie wir nach Sylvester damit umgehen?

Michael King | JVA Herford

 

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