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Wir brauchen eine Vorstellung von Würde

5. Juni 2019

Artikel 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Sie ist zu achten. Sie ist zu schützen. Und das ist unsere Bürgerpflicht – auch hinter Gittern. Würde ist mehr als eine Idee: es ist die entscheidende Voraussetzung für ein menschliches Zusammenleben. Die Gefängnisseelsorger Diakon Dr. Meins Coetsier, Pfarrer Franz Hilfenhaus, Pfarrer Dr. Andreas Leipold, der ehrenamtlich tätige Andreas Barg (Mennonitische Brüdergemeinde Bebra) und der ehemalige Anstaltsseelsorger Heinrich Schöning der JVA Hünfeld sind sich einig: Die Menschenwürde muss man verteidigen bis zum letzte Atemzug und darüber hinaus.

Gefangene möchten, wie jeder Bürger auch, in Würde leben und, wenn der Tag kommt, in Würde sterben. Aber wer kümmert sich um die, die Krank sind oder in der Haft krank werden und nach ihrer Entlassung die Nachricht bekommen, dass Sie bald sterben werden? Vor allem, wenn nach jahrelanger Gefangenschaft keine Familie und Freunde mehr da sind? „Es ist wichtig, sich der eigenen Würde bewusst zu werden,“ sagt Diakon Coetsier, „das ist der entscheidende Schritt aus der Gefangenschaft in die Freiheit.“ Er glaubt, dass wir auch „einander helfen können, uns unserer angeborenen Würde bewusst zu werden.“

So haben die Anstaltsseelsorger sich um einen Grabplatte für einen Menschen, den sie jahrelang in der JVA Hünfeld betreut haben, bemüht. Statt einen gottgegebenen Namen dem Vergessen anheim zu geben, so als wäre er Luft, möchten die Seelsorger der JVA Hünfeld dem Getauften die Würde lassen, ein Mensch gewesen zu sein, der nicht nur als Verurteilter im Gedächtnis bleibt sondern von seinem Schöpfer aufgenommen wurde.

Nach seiner Entlassung ging es gesundheitlich mit dem ehemaligen Inhaftierten der Justizvollzugsanstalt Hünfeld, Herrn A. bergab. Er hatte keine Verwandten mehr und konnte sich selbst wegen seiner Krankheit nicht mehr versorgen. Die Seelsorger, vor allem Herr Barg, halfen ihm bei der Suche nach einem Platz in einem Altersheim. Als später aber die Todesnachricht kam, war klar: der Mann, der überzeugter Christ gewesen war, würde nun aller Wahrscheinlichkeit nach – d.h. wenn keiner etwas unternommen hätte – ohne eine angemessene Beerdigung oder Begräbnisstätte diese Welt verlassen haben.

Würdeverletzung? Woran wollen wir uns orientieren bei dem, was wir denken, sagen und tun, wenn es um Verbrechen, Gefangenschaft, Schuld und Sühne geht?

Wir brauchen eine Vorstellung von Würde auch angesichts unserer Vergänglichkeit und unserer Lebensgeschichten. Manche spüren, dass es etwas in uns Menschen gibt, das nicht sterben kann: alle Menschen sind frei und gleich, auch (Ex-)Gefangene, mit Würde und Rechten geboren. Die katholischen Gefängnisseelsorger übernahmen die Initiative, dem Entlassenen aus der JVA Hünfeld eine Grabplatte mit Namenszug zu besorgen, nachdem auch eine kleine, aber würdige Beerdigungsfeier stattgefunden hatte. Pfarrer Leipold unterstützte diesen Gedanken im Namen der evangelischen JVA-Seelsorge, um auf diesem Weg die Menschwürde wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. So bekennen sich die Seelsorger „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ (Grundgesetz – Artikel 1.2.).

Dr. Meins Coetsier | JVA Hünfeld

 

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