„Wenn ich über Vögel nachdenke, was empfinde ich? Im Augenblick? Hass und Neid“, schreibt zum Beispiel Philipp. Er wollte selbst einmal fliegen, hatte sich während des Abiturs für die Bundesluftwaffe beworben. Im Oktober sollte er anfangen – doch im September wurde er verhaftet. Philipp ist jetzt 19 Jahre alt, seit eineinhalb Jahren im Gefängnis und hat noch zweieinhalb vor sich. Wegen Totschlags. Philipp denkt über Vögel und Freiheit nach. Darum hatte Marin ihn um einen Beitrag für sein Buch gebeten. „Warum nicht? Ist sowieso langweilig abends ohne Fernseher“, erklärt Philipp seine Bereitschaft zur Mitarbeit.

Beim Anblick der vorbeifliegenden Amseln an seinem Gitterfenster fällt ihm das Wort ein, das über seinem Text steht: Provokation. „Sie sind ohne Verpflichtungen, ohne Einschränkungen,“ notiert er, „sie sind frei, ich bin es nicht.“ Das hasst er am meisten, obgleich er es als gerechtfertigt empfindet, dass er eingesperrt ist. Wofür genau, darüber spricht er nicht mehr. Das Geschehene will er nicht immer wieder aufwühlen. „Ich weiß, für alles kommt irgendwann die Rechnung.“ Was sagt man einem 19-Jährigen, der einen Tod zu verantworten hat?

Kopf hoch, wir haben einen guten Gott? „Nein, religiöse Formeln sind was für den Gottesdienst“, betont Marin, der seit 2003 hauptamtlicher Diakon im Erzbistum Berlin ist. Die Hauptaufgabe eines Gefängnisseelsorgers sei Zuhören. Oft erlebt er junge Inhaftierten, die sich extrem zurückziehen, nur noch auf ihre Straftaten zurückschauen und den Kopf hängen lassen. Er versucht, den Jugendlichen die Trennung zwischen Sünde und Sünder klarzumachen. „Ich ermuntere sie, in die Zukunft zu gucken, durch die Gitterstäbe hindurch“, sagt Marin. Das war die Idee zu „Jailbirds – Blicke zum Himmel über dem Knast“.

Manchmal besucht Philipp die evangelische Bibelgruppe, „das hätte meinen Großvater gefreut, der war Oberkirchenrat in Hamburg“, sagt er. Neben seiner Ausbildung zum Schlosser nimmt er so oft es geht an der Theatergruppe der Jugendstrafanstalt teil, hat sogar schon einen Preis gewonnen. Draußen will er Schauspieler werden. Obwohl ihn die Vögel am Fenster so wütend machen, schreibt Philipp in „Jailbirds“, hat er eins gelernt: „Egal, wohin man geht, irgendwann kehrt man dorthin zurück, wo man herkam. In die Freiheit.“

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