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Ungewöhnliche musikalische Klänge im Knast-Gottesdienst

5. September 2021

Sonntagmorgen in der Knastkirche: Fünf jugendliche Inhaftierte greifen zu den Instrumenten. Sie gestalten den Gottesdienst musikalisch mit. Es sind junge Leute mit mehr oder weniger muslimischen, bekenntnisfreien oder freikirchlichen Erfahrungen. Verschiedene Kulturkreise kommen zusammen. Ihre Gemeinsamkeit? Sie machen miteinander Musik. Im Rahmen des Projektes „Musikband“ unter der Leitung der freiberuflichen Musikerin, Adriana Riemann, üben die Gefangenen jeden Freitag in der Kirche. In der gottesdienstlichen Feier erfahren sie neue Freiheit.

Zu Beginn wird die Kerze in der Mitte von einem Gefangenen entzündet. Ibrahim greift sich die türkischen Saz. Die Klänge verzaubern und führen in den Gottesdienst ein. Ibrahim verschmelzt regelrecht mit seinem Instrument. Saz bezeichnet eine Gruppe von Langhalslauten, die vom Balkan bis Afghanistan verbreitet sind und unter anderem in der Musik der Türkei, der kurdischen, iranischen, armenischen, aserbaidschanischen und afghanischen Musik gespielt werden. Ibrahim kommt aus Syrien. Schon früh lernt er die Saz von seinem Vater zu spielen. Emre, ein anderer Gefangene, zupft auf der schwarzen Mandoline. Dazu spielt Daniel einen Part auf seiner eigenen Geige. Diese hat er auf Antrag genehmigt bekommen, um in der Kirche zu spielen.

Da ist Trauer und Liebe

Erstaunte und staunende Gesichter bei den Jugendlichen Gottesdienstteilnehmern. Adriana Riemann weiß die Begabungen der Musiker zu unterstützen. Habibi aus Marokko stimmt durch das Mikrofon ein meditativer Gesang an. Arabisch ist die Sprache. Was er da singt? „Das ist von Trauer und Liebe“, erzählt er später. Die Klänge erinnern ein wenig an die benediktinische Kirchenmusik. Teile werden wiederholt und sind sehr meditativ. Der 18-jährige Schlagzeuger Asla gibt im Hintergrund den Takt vor. „Musik ist Ausdruck von Göttlichkeit“, sagt der Gefängnisseelsorger, „sie erzählt vom Leben und eröffnet einen neuen spirituellen Raum“, so der liturgische Leiter.

Balsam für die Ohren

„Wichtig ist, dass die jugendlichen Inhaftierten selbst Musik machen“, fügt die Musikerin Adriana Riemann hinzu. „Jeder hat seine Begabung und kann sie durch das gemeinsame Musizieren entdecken“, sagt sie. So gibt es durchaus schon mal einen Rap-Song zu hören. Die Botschaft der Musik drückt die Botschaft des Evangeliums aus. Da spielt die Sprache in türkisch, arabisch oder bulgarisch keine Rolle. Diesen Sonntag geht es um die Begegnung der regelkonformen Schriftgelehrten mit Jesus. Nicht das, was Regeln alleine vorgeben ist wichtig, sondern was das Herz eines Menschen sagt. Dies ist wie Balsam für die jugendlichen Ohren. Inhaftierte müssen im Gefängnis tagtäglich Regeln einhalten. „In der Musik gilt das auch“, sagt ein Ibrahim. „Wir müssen aufeinander achten und aufeinander hören, sonst wird das Musikstück schräg“, lächelt er. „Aber hier kann ich selbst mitbestimmen und ich fühle mich frei“, erzählt er weiter.

Begabung ausbauen

In der Musik gibt es viel Kreativität. So manches Talent entdeckt man im Tun. Vor einem Publikum hätte sich Hammo nie getraut, seine Stimme preis zu geben. „Er hat eine kraftvolle  Stimme“, sagt Riemann. Jetzt singt er fast schon professionell im Gottesdienst. Sein Traum ist, diese Begabung auszubauen. „Im Jugendknast besteht die Gefahr, ausgelacht zu werden“, meint Hammo. Heute hat er ein gutes Gefühl. „Die Jungs im Gottesdienst waren alle begeistert“, sagt er. Zum Abschluss werden die Musiker mit Applaus belohnt. Ein ungewöhnlicher Gottesdienst, der doch alltäglich ist, weil sich darin das Leben spiegelt.

Michael King | JVA Herford

 

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