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Die Sicherungsverwahrung (SV) in der JVA Werl

23. Februar 2019

Sie bekommen heftige Geschichten zu hören, tragische Lebensläufe und wissen, dass manche ihrer Gesprächspartner den Rest ihres Lebens hier verbringen werden: Im Gefängnis in Werl kümmern sich vier Seelsorger um die Gefangenen. Kemal hat Scheiße gebaut. So richtig Scheiße. Obwohl? So schlimm war es eigentlich auch wieder nicht. Findet zumindest Kemal. Nur mal ein bisschen mit der Knarre rumgefuchtelt. „Ich wollte die doch nicht abknallen. Die Araber sollten nur einen Denkzettel bekommen, weil sie mich zusammengeschlagen hatten.“

Ganz so harmlos, wie er es an diesem wintertrüben Morgen in der Justizvollzugsanstalt in Werl bei der „Vorstellungsrunde“ schildert, war es vermutlich nicht. Immerhin hat das Gericht in Dortmund den jungen Mann zu acht Jahren Haft verurteilt. Pfarrer Adrian Tillmanns kennt Geschichten wie die von Kemal zur Genüge: „Gefangene neigen dazu, ihre Taten zu bagatellisieren.“ Seit sechzehn Jahren ist der gebürtige Bochumer in der Gefängnisseelsorge tätig. Den überwiegenden Teil davon in der JVA in Werl – mit 960 Gefangenen eines der größten Gefängnisse in Deutschland.

Die schönste Gefängniskirche

Dreimal pro Woche lädt der evangelische Geistliche gemeinsam mit seinem Amtsbruder Rolf Stieber und den beiden katholischen Kollegen Ryszard Krolikowski und Theo Harlekotte  „die Neuen“ zu einer Art Begegnungscafé in die 1908 erbaute Kirche (Tillmanns: „Die schönste Gefängniskirche Deutschlands“) ein, die sich mitten auf dem Knastgelände befindet und direkt an den Zellentrakt anschließt. „Es ist einfach nicht zu schaffen, alle Neuzugänge einzeln aufzusuchen“, erklärt Rolf Stieber, der schon seit fast zwei Jahrzehnten als Seelsorger Ansprechpartner für notorische Schwarzfahrer, Handtaschendiebe, Einbrecher, Räuber, Vergewaltiger und Mörder ist. Stieber: „Wir machen da zunächst einmal grundsätzlich keinen Unterschied. Die Männer sollen Kirche hier als einen Ort erfahren, an dem sie willkommen sind – unabhängig davon, was sie getan haben.“

Knapp zwanzig haben das Angebot an diesem Morgen angenommen. Der Jüngste ist gerade 20, der Älteste hat die 60 schon überschritten und sitzt bereits zum sechsten Mal ein. Alle sind freiwillig in den schmucken Kirchenraum gekommen. Die Pfarrer geben sich trotzdem keiner Illusion hin. Sie wissen: Die meisten von ihnen sehen in diesem Angebot in erster Linie eine willkommene Abwechslung im oft trübsinnigen Gefängnisalltag. Aber für einige Gefangene sind die Kirche und das Gespräch mit den Seelsorgern mehr als bloßer Zeitvertreib im stacheldrahtumzäunten Einerlei. Vielen hilft der Glaube, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Der Küster zum Beispiel, der seine Zelle direkt neben der Kirchentür hat, ist ein zu lebenslanger Haft verurteilter Mörder: „Der Glaube an Gott gibt mir die Kraft, das hier durchzustehen. Ich weiß nicht, wie ich es ohne Gottes Hilfe sonst in den letzten zehn Jahren geschafft hätte. Er gibt mir Halt und Zuversicht.“

Perspektive für „draußen“ schaffen

Für viele Gefangene ist Werl so etwas wie eine Endstation in ihrem Leben. Einer ist schon seit 1969 hinter Gittern, also seit über 40 Jahren. Aller Voraussicht nach wird er nie wieder in die Freiheit entlassen, sondern im Gefängnis sterben. Dieses Schicksal droht einigen der besonders „schweren Jungs“. Über 100 Lebenslängliche sitzen in der JVA in der Wallfahrtsstadt ein. 118 befinden sich aktuell in Sicherungsverfahrung. Sie werden als so gefährlich eingestuft, dass nach Verbüßen der Haftstrafe eine gutachterliche Prognose eingeholt wird, ob weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht. Ein Großteil bleibt danach in Gefangenschaft.

Rolf Stieber ist an diesen Männern besonders nah dran. Er leitet zwei Gesprächskreise  von Menschen, die getötet haben. „Langes Leben“ nennen sich diese Gruppen: „Lebenslänglich hört sich so negativ, so endgültig an“, erklärt Stieber. Die Geschichten, die Stieber in diesen Gesprächsrunden hört, lassen auch ihn nicht kalt. Trotz der professionellen Distanz, die einfach nötig ist, um nicht selbst zu zerbrechen, erschüttern ihn immer wieder Einzelschicksale: „Ich bin durch meine Arbeit im Gefängnis sehr demütig geworden. Es gibt Lebensgeschichten, die sind so unfassbar. Wenn ich die hätte, säße ich auch auf der anderen Seite.“ Und auch Ryszard Krolikowski weiß: „Da tun sich Abgründe auf, dass einem schwindelig wird.“

Es ist nicht zuletzt die Erkenntnis, dass manchmal Zufälle im Leben entscheiden, ob man auf der Sonnenseite oder auf der dunklen Seite lebt und aufwächst. Auch dieses Wissen sorgt dafür, dass sich die Pfarrer den Gesprächen mit den Verurteilten weitgehend vorurteilsfrei stellen können. Tillmanns: „Wir reden hier auf Augenhöhe miteinander.“ Und trotzdem ist die seelsorgerische Arbeit „im Knast“ immer auch ein Spagat, ein schmaler Grat, auf dem sich die Pfarrer bewegen. Zum Beispiel dann, wenn sich die Gefangenen öffnen, sich ihnen anvertrauen und etwa weitere Straftaten „beichten“. „Bei Kapitalverbrechen“, so Stieber, „ist das mitunter wirklich schwer. Aber wir unterliegen hier der absoluten Schweigepflicht. Und daran halten wir uns.“

Frage nach Gott steht im Raum

Immer wieder steht bei diesen Gesprächen natürlich auch die Frage nach Gott im Raum. Wo war er all die Zeit? Warum hat er das zugelassen, dass ich so geworden bin? Warum hat er mich nicht von dem Mord abgehalten? Stieber: „Man muss den Männern dabei immer wieder klarmachen, dass sie die Verantwortung für ihre Taten nicht auf Gott schieben können; dass sie sich nicht aus der Verantwortung stehlen können, sondern sich zu ihrer Tat bekennen müssen.“

Das fällt natürlich nicht immer leicht. „Viele“, weiß Stieber aus seiner langjährigen Praxis, „sind sich selbst ein Rätsel. Sie müssen daher lernen, die Tat oder die Taten als Teil ihrer Wirklichkeit zu akzeptieren. Nur wenn sie das akzeptieren und sich damit auseinandersetzen, haben sie die Chance, das Monster in ihnen an die Kette zu legen.“ Im Zugangscafé plaudern die Männer inzwischen locker über ihre unterschiedlichen Knasterfahrungen und ihre Perspektiven. Kemal will die Zeit im Gefängnis sinnvoll nutzen, am liebsten eine Ausbildung zum Maler machen: „Im Gefängnis musst du was Vernünftiges machen, Bruder. Mach eine Ausbildung“, beschwört er einen Mitgefangenen. „Damit du draußen eine Chance hast. Sonst geht der ganze Mist von vorne los.“

Hans-Albert Limbrock | Mit freundlicher Genehmigung: Unsere Kirche

 

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