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Externe Suchtberatung hinter den Mauern

1. November 2019

Die Caritas-Suchtberaterin Elisabeth Pollwein-Hochholzer gewährt Einblicke in ihre Arbeit in der Frauenabteilung der JVA Regensburg. Ein Ort der Tragik und des Dramas, natürlich. Aber nicht nur. Das Büro von Elisabeth Pollwein-Hochholzer liegt hinter Gittern: in der Justizvollzugsanstalt Regensburg, mit Platz derzeit für einhundert männliche Gefangene und 33 weibliche Häftlinge – der einzige Frauenknast in Ostbayern. Über dem Schreibtisch der Caritas-Suchberaterin hängt ein farbiger DIN A4-Ausdruck von den sieben Werken der Barmherzigkeit. Eines davon lautet: „Sich um Gefangene sorgen“. Doch manchmal sorgen sich die Gefangenen auch um die Suchtberaterin. Genauer gesagt: um ihre Pflanzen.

Vor einem Urlaub hat sie einmal eine kraftlose, blattarme Schefflera in die Frauenabteilung gebracht – an das lichtdurchflutete Plätzchen, fünf Quadratmeter an einer Fensterfront, an dem nahezu alle Pflanzen der Justizvollzugsanstalt Regensburg stehen. Wenige Wochen später strotzte die Schefflera wieder vor Kraft. Die Häftlinge haben sich um sie gekümmert. Sie hat sie dann gleich dort gelassen. Heute rankt sie zwei Meter an der Fensterfront empor, doppelt so groß wie damals.

Die Zeichnung(en) eines Inhaftierten in seinem Haftraum.

70 – 80 % der Inhaftierten haben Suchtprobleme

Seit 16 Jahren arbeitet die Sozialpädagogin als externe Suchtberaterin der Caritas in der JVA Regensburg. Die Atmosphäre in der Frauenabteilung ist freundlicher als drüben in der Männerabteilung. In den Zellen, auf den Fluren, in den Gemeinschaftsräumen gibt es selbstgemachte Deko, Fotoleinwände zieren die Wände der Gemeinschaftsbereiche, die Teeküche ist blitzsauber. Vor dem Raum der Beamtinnen hängt ein Türschild: Ein Füchslein baumelt auf einer Schaukel, darüber steht der Schriftzug welcome.

„Siebzig bis achtzig Prozent der Inhaftierten haben Suchtprobleme“, sagt die Expertin. Nirgends sonst sind solche Menschen so gut zu erreichen wie im Gefängnis. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Joanna Sommer hat Pollwein-Hochholzer im Jahr 2018 196 Häftlinge in der JVA betreut, davon 35 Frauen. Den Betreuungsaufwand für Frauen schätzt sie fünfmal höher ein als für Männer. Denn Männer machen vieles mit sich selbst aus. Wenn sie in die Suchtberatung kommen, suchen sie praktischen Rat und konkrete Hilfe, beispielsweise bei der Antragstellung für einen Therapieplatz. Die Frauen hingegen wollen reden. Über ihre Geschichte: über Fehlgeburten oder sexuellen Missbrauch, über gescheiterte Beziehungen oder Prostitution. Über Gewalt. Über Kinder, die zu Hause sind, beim alkoholabhängigen Vater. Pollwein-Hochholzer: „Frauen haben mehr im Gepäck.“

Probleme inhaftierter Frauen sind völlig anders

Nur sieben Prozent der bundesweit Inhaftierten sind Frauen. „Was auf den ersten Blick positiv scheint, steckt in Wirklichkeit voller Probleme“, sagt Pollwein-Hochholzer. Die Frauen kommen in einen differenzierten Justizvollzug. Die Probleme inhaftierter Frauen sind nämlich oft völlig anders gelagert als die männlicher Häftlinge. „Die Delikte sind andere, der Drogenkonsum ist höher, die Beziehungen untereinander sind emotionaler. Es wird mehr gelacht, aber auch mehr gezickt und gemobbt“, schreibt dazu der bekannte Gefängnisarzt Dr. Karlheinz Keppler in dem Buch Frauenknast.

Abhängigkeit: Gefühl abgestellt auf einer Parkbank zu sein. Kritzelei und Zeichnungen einer Realität, die hinter den Mauern weiter geht. Es findet im eigenen Haftraum Ausdruck.

Pollwein-Hochholzer beobachtet ähnliches in Regensburg. Dort sind Frauen in Untersuchungshaft oder mit Freiheitsstrafen von maximal einem Jahr inhaftiert; die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 45 Tagen. Die Straftaten der Frauen unterscheiden sich von denen der Männer. „Sie werden kaum Frauen mit Gewaltdelikten erleben. Wenn doch, dann ist es gleich Mord, also von langer Hand geplant“, sagt Pollwein-Hochholzer. „Frauen sind anders sozialisiert. Gewalt ist für sie in der Regel keine Lösung.“ Die meisten Frauen, die in Regensburg einsitzen, hätten mit illegalem Drogenkonsum und Beschaffungskriminalität zu tun, was mitunter auf die Lage in Grenznähe zurückzuführen sei.

Für die Arbeit der Suchtberaterin spielt der Haftgrund meist keine Rolle. „Das Delikt tritt hinter die Person“, sagt Pollwein-Hochholzer. „Egal welches Suchtmittel, egal welches Delikt – was zählt, sind die Menschen dahinter.“ In 16 Jahren Beratungstätigkeit hat sie gelernt, nicht in Schubladen zu denken. Es gäbe Schwerverbrecherinnen „voller Charme und Eleganz“ und Eierdiebinnen, „die wahnsinnig nerven“. Eine Klientin hat der Suchtberaterin mal ein Kompliment gemacht, das sie nie vergessen wird: „Sie begegnen uns auf Augenhöhe. Sie hören uns zu, ohne zu bewerten.“

Ihre Phantasie, das ist Ihre letzte Freiheit

Manche Frauen erzählen ihr von Bildern, von denen sie nachts überrollt werden. Erinnerungen, die sie mit dem Suchtmittel verdrängten, sind plötzlich wieder da. In solchen Fällen beginnt die Suchtberaterin das Gespräch mit einer Imaginationsübung zum „inneren Garten“, einem sicheren Ort. „Ich sage: ‚Ihr Kopf und Ihre Phantasie, das ist Ihre letzte Freiheit!'“ Auch wenn die Frauenabteilung manchmal geradezu idyllisch wirkt, bleibt sie ein Ort der Dramen und der Tragik. „Hier wird geweint, geschrien, gestritten“, sagt Pollwein-Hochholzer, „aber auch gelacht und zusammengehalten.“ Es ist ein Raum extremer Emotionen und extremer Lebenssituationen. Eben das macht für die Suchtberaterin den Reiz ihrer Arbeit aus. „Die Haft macht deutlich: So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter.“ Viele Suchtkranke seien deshalb gerade im Gefängnis zugänglich für Hilfe.

Manche empfinden die Haft sogar als positiv, sagt Pollwein-Hochholzer. „Für einige ist die Lebenssituation drinnen besser als draußen.“ Sie erfahren zum ersten Mal eine Alltagsstruktur und verlässliche Bindungen. Für manche Frauen bietet das Gefängnis gar so etwas wie einen geschützten Raum. Sie dürfen zwar nicht raus. Aber sie können entscheiden, wer rein kommt.

Caritasverband für die Diözese Regensburg

 

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