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Silvester-Feuerwerk hinter Feinvergitterung

31. Dezember 2019

Wenn die Glocken der Kirchen um Mitternacht das Neue Jahr einläuten, werden die Böller hinter den Mauern einer Justizvollzugsanstalt zu hören, das Feuerwerk durch die Gitterstäbe und den angebrachten Feingittern zu sehen sein. Der Ort des Gefängnisses, in der Stadt oder außerhalb, täuscht nicht darüber hinweg. Silvester und Neujahr im Gefängnis – weder für die Inhaftierten noch für die Bediensteten ist das ein Tag wie jeder andere. Manche Einzelpersonen oder Gruppierungen pilgern von außen an die Knastmauern, um zu demonstrieren oder zu provozieren.

Aladad (Namen geändert) muss noch neun Monate absitzen. Der Syrer verbüßt eine Haftstrafe wegen eines Drogendeliktes. Der 23-jährige weiß inzwischen, wie sich Weihnachten und Neujahr hinter Gittern anfühlen, es ist bereits das zweite Mal an Silvester im Knast. Er hat einen Aufenthaltstitel und eine zweijährige Tochter, die „draußen“ wartet. „Da kommt vieles hoch“, sagt er. „Fernsehen schauen und am Haftraumfenster mit dem Zellengenossen reden, damit die Zeit vergeht“ – so sieht der Silvesterabend in der Gefängniszelle aus. Aladad spricht sehr gut deutsch, fast akzentfrei.

Der Syrier ist traumatisiert. Er hat Krieg erlebt und mit angesehen, wie sein Bruder erschossen wurde. Ihm machen anscheinend ein paar Böller nichts aus. So sagt er zumindest. Doch im Innern sieht es anders aus. Er erinnert sich bei den Böllern an den Krieg, bei dem Menschen getötet wurden. In der Türkei saß er auch im Knast. „Wegen illegalem Grenzübertritt hat man mich in eine Zelle gesteckt, in der viele Menschen unterkommen mussten“, so erzählt der junge Mann. Er hat seine Freundin draußen und eine kleine Tochter, die an ihn denken. „Ich hoffe, dass ich 2020 meine Strafe gut überstehe und einen Neuanfang machen kann“, sagt er sehr ernst.

Das Haftraumfenster mit der Feinvergitterung. Inhaftierte finden oft Wege, die doppelte Vergitterung „durchlässiger“ zu machen.

Warum Aladad und andere Gefangene inhaftiert sind, wissen die MitarbeiterInnen des Sozial- und psychologischen sowie des Allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD). Das hindert sie nicht daran, einem menschlichen Umgang zu pflegen und „den Druck aus dem Kessel“ zu nehmen. Deshalb gibt es am Silvestertag mehr „Umschluss“. Dies heißt, das bis zu drei Gefangene auf einer Zelle für ein paar Stunden verbringen können. „Nachts fängt meistens das Grübeln an“, meint Aladad. „Und um Mitternacht geht es hier heiß her. Stühle werden an die Gitter geknallt und so manche Feingitter werden heraus getreten“, berichtet er. „Klopapier wird gerne angezündet, um ein Zeichen zu setzen. Manche wollen aber auch lieber schlafen“, sagt er.

Um 19.30 Uhr beginnt die Nachtschicht der JustizvollzugsbeamtInnen, um 7.30 Uhr am Neujahrsmorgen wird sie zu Ende sein. Einer der Bediensteten hat sich die Schicht selbst ausgesucht. „Ich wollte lieber an den Weihnachtstagen zu Hause bei meiner Familie sein“, sagt er. Seine Kollegin, die schon häufiger in der Silvesternacht Dienst hatte, erzählt, dass sie anfangs ein „ungutes Gefühl“ hatte. Es habe aber nie Stress mit den Inhaftierten gegeben, im Gegenteil. Oft habe sich kurz vor dem Einschluss noch das eine oder andere Gespräch ergeben. „Es menschelt Gott sei Dank zwischen den Jahren“, berichtet sie. Gute Wünsche für das neue Jahr werden ausgesprochen oder gar Dankesworte gesagt. Aber das ist sehr selten geworden. Bedienstete bekommen viel ab an Beleidigungen, besonders beim nächtlichen Kontroll-Rundgang. „Gefangenen schreien aus den Gittern und meinen, man kann sie nicht zuordnen“, sagt ein Bediensteter.

„Selbst angesetzter Alkohol“ beflügelt und wird von Inhaftierten in dieser Nacht teilweise konsumiert. Cannabis spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Beides ist im Gefängnis strengstens verboten, aber nicht alles kann kontrolliert werden. „Ich mache dies ganz sicher nicht“, beteuert Aladad. „Ich habe beim Einkauf eine dicke Zigarre gekauft und rauche diese genüsslich zum Neuen Jahr“, sagt er und schmunzelt. In der Silvesternacht heizen mancherorts Einzelpersonen oder bestimmte Gruppierungen die Inhaftieren vor der Mauer auf. Da wird laut gerufen oder es wird Feuerwerk über das Mauerwerk geworfen. Dies macht die Silvesternacht besonders gefährlich für die Bediensteten. Im Vorfeld werden Hafträume durchsucht und nur das Nötigste an Toilettenpapier im Haftraum belassen. „Man kann nicht alle Emotionen unterdrücken, es ist eben eine besondere Nacht – dieses Silvester und Neujahr“, sagt ein Bediensteter gelassen und fügt hinzu: „Wir sind gut vorbereitet.“

M.K.

 

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