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Entscheidung mit Signal für Offenen Vollzug

28. März 2019

Im Dezember 2015 verurteilt das Landgericht (LG) Limburg einen damals 45-jährigen Mann wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Er fuhr auf der Autobahn in entgegengesetzter Richtung, verursachte einen Unfall, in dessen Folge eine junge Frau verstarb. Ein tragischer Fall, wäre der Fahrer nicht zum Tatzeitpunkt Strafgefangener in einer rheinland-pfälzischen Justizvollzugsanstalt (JVA) gewesen und hätte sich nicht während eines Ausgangs auf der Flucht vor der Polizei befunden, die ihn wegen seiner Fahrt in einem Fahrzeug mit gestohlenen Kennzeichen verfolgte.

Das Gericht verneinte damals die besondere Schwere der Schuld des Flüchtigen, sah aber eine staatliche Mitverantwortung bei den Entscheidungsträgern des Justizvollzuges und den verfolgenden Polizisten. In der Folge kam es am 7. Juni 2018 zum nächsten Urteilsspruch: Zwei Justizvollzugsbeamte ‒ ein Abteilungsleiter sowie eine stellvertretende Anstaltsleiterin ‒ wurden wegen fahrlässiger Tötung zu Bewährungsstrafen von jeweils neun Monaten verurteilt. Die getroffenen Lockerungsentscheidungen seien laut Pressemitteilung des LG Limburg „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar“ gewesen. Müssen Entscheider in den JVA nun selbst befürchten, auf der Anklagebank zu sitzen? Dafür müssen die Umstände des Falles zunächst näher betrachtet werden: Am 26. August 2013 stellte sich der Verurteilte auf die Ladung zum Strafantritt hin selbst in einer JVA. Er hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Freiheitsstrafen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu verbüßen, zum Teil nach Bewährungswiderrufen. In der Folgezeit zeigt er sich reumütig und willens, etwas an seinem Leben zu ändern.

Eine kluge Entscheidung, die bitter nötig ist: Denn sein Bundeszentralregisterauszug weist bereits seit den 80er Jahren 24 Verurteilungen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf. Dabei handelt es sich nach der bundesweiten Legalbewährungs-Studie von Jehle u. a. um ein Delikt mit einer sehr hohen Rückfallquote. Am 15. Juli 2013, also kurz vor seiner Inhaftierung, wird er verurteilt, weil er ohne Fahrerlaubnis unterwegs war und im Rahmen einer Verfolgungsfahrt mit der Polizei auf eine Beamtin zufuhr. Verletzt wurde dabei jedoch niemand. Zudem steht, so behauptet es jedenfalls der Gefangene, seine Ehe auf dem Spiel. Weitere Gesetzesüberschreitungen werde seine Frau nicht tolerieren. Ein Abteilungsleiter der JVA vermerkt hingegen in der Gefangenenpersonalakte, der Gefangene tendiere dazu, seine Straftaten zu bagatellisieren. Nach der üblichen Beratung in einer Konferenz wird entschieden, den Gefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen. Dort verhält er sich unauffällig, hält sich an alle Absprachen und Weisungen, fällt noch nicht einmal mit unerlaubtem Alkoholkonsum auf. Schließlich wird er nach einigen Monaten zum Freigang zugelassen, darf also außerhalb der Anstalt arbeiten.

Ein Kollege holt ihn hierfür morgens zur Arbeit ab und fährt ihn nach der Arbeit zurück in die Anstalt. Schließlich soll verhindert werden, dass der Gefangene sich wieder selbst hinter ein Steuer setzt. Im Januar 2015 meldet er sich in einer Fahrschule an. In einer Anhörung hat die Richterin dies zur Voraussetzung für eine vorzeitige Entlassung gemacht. 14 Monate lang kommt es zu keinerlei Beanstandungen. Was der Vollzug jedoch nicht weiß: Im Rahmen von Ausgängen fährt der Gefangene immer wieder unerlaubt mit einem Auto. Um seinen gelockerten Haftstatus nicht zu verlieren, drückt er aufs Gaspedal, als die Polizei ihn wegen der gestohlenen Kennzeichen kontrollieren will. Es kommt zu dem geschilderten Todesfall. Das LG Limburg stellt später fest, die Entscheidung, den Gefangenen in den offenen Vollzug zu verlegen, sei, „objektiv willkürlich“ und „unvertretbar“ gewesen. Es sei „klar“ gewesen, dass der Gefangene bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wieder selbst fahren würde. Eine Entscheidung, die auf massive Kritik stößt: Gewerkschaftsvertreter prophezeien das „Aus“ für den offenen Vollzug, auch der Dienstvorgesetzte der verurteilten JVA-Mitarbeiter hält das Urteil für falsch. Mehr lesen…

Legal Tribune Online

Der Autor Dipl.-Jur. Marc Arnold, MLE. ist Doktorand an der Georg-August-Universität Göttingen bei Prof. em. Dr. Dr. h. c. Jörg-Martin Jehle und Vollzugsabteilungsleiter in der JVA Lübeck.

 

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