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Religionssensibilität angesichts Radikalisierung

13. Dezember 2018

Wer denkt, gelungene Integration bedeute nur Arbeit plus Sprache minus Kriminalität, dem sage ich: Das greift zu kurz.“ Ahmad Mansour pointierte Feststellung regt zum Nachdenken darüber an, welche weiteren Variablen zu der als unterkomplex deklarierten Integrationsgleichung dazu gehören. Als Theologin stellt sich mir daher die Frage, ob Religionen in dieser Gleichung vorkommen und wenn ja, welche Rolle sie einnehmen. Wären sie Summand, Subtrahend oder möglicherweise ein Multiplikator?

Betrachtet man die Statistiken des Religionsmonitors und der Forschungsgruppe „Weltanschauungen in Deutschland“, stellt man fest, dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die einer konfessionellen Religionsgemeinschaft angehören, in den letzten Jahrzehnten deutlich geschrumpft ist. Waren 1950 noch fast 96% der Deutschen entweder katholisch oder evangelisch, so gehörten im Jahr 2016 lediglich 55% einer der beiden Kirchen an. Trotz einer steigenden Anzahl von Kirchenaustritten, entsteht insbesondere durch die mediale Präsenz von Debatten u. a. um religiöse Symbole in der Öffentlichkeit, religiös motivierten Terrorismus und der religiösen Pluralisierung in Deutschland und Europa, der Eindruck, dass sich der Gesprächsstoff um Religion(en) in den letzten zwei Jahrzehnten keineswegs reduziert, sondern eher vermehrt hat.

Diese gegenläufigen gesellschaftlichen Bewegungen spiegelt auch der Streit um die Säkularisierungsthese wider, der sich mitunter um die Frage dreht, „inwieweit es berechtigt ist, die Moderne als eine Epoche des religiösen Zerfalls anzusprechen und dem modernen Niedergang des Religiösen eine vormoderne Zeit der religiösen Einheitskultur entgegenzusetzen.“ Ulrich Beck, Wilhelm Graf und andere beobachten im Gegensatz zu AdvokatInnen der Säkularisierungsthese „eine Widerkehr des Religiösen, eine Desäkularisation, eine Entprivatisierung der Religion“.

Insbesondere in öffentlichen und vermutlich auch vielen privaten Diskussionen um Radikalisierung und Integration in Deutschland hat das Thema Religion(en) seinen festen Platz. Bei den einen mag es darum gehen, Religion aus solchen Debatten kategorisch zu exkludieren und ihre Praxis zu einer ausschließlich privaten Angelegenheit zu machen, um Konflikte zu vermeiden. Für andere ist vor allem Religion ein Diskussionsfaktor, weil sie ihre eigene religiöse Identität durch andere, divergierende religiöse Identitäten bedroht sehen. Für diese und alle anderen Menschen in unserer Gesellschaft muss es einen produktiven Weg geben, mit Religionen – vor allem mit der Alterität nicht eigener Religionen – umzugehen. Denn sobald man mit Menschen umgeht, geht man auch direkt oder indirekt mit ihrer Religiosität um. Ein angemessener Umgang mit den Religionen bzw. der Religiosität anderer ist für eine gelingende Integration deshalb von besonderer Bedeutung.

Rebecca Meier | Universität Paderborn

Religionssensibilität im Horizont von Radikalisierung und Integration. Untersuchung zu personalen Gelingensbedingungen interreligiöser Begegnung ausgehend von einer praktisch-theoretischen Feldforschung

 

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