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Gibt es eine Sehnsucht im Gefängnis zu sein?

6. März 2019

Sicherlich das größte Thema in einem Gefängnis und doch hassen die Inhaftierten diesen Schriftzug an der Mauer der JVA Geldern. Sie sehen ihn durch das Fensterschlitz des Bustransporters zum ersten Mal, wenn Sie bei uns „einfahren“ – wie es heißt. Sie halten ihn für Ironie. Sie glauben zunächst: Die Justiz verhöhne die Inhaftierten, indem sie ihnen sagt: Ihr habt Sehnsucht nach Geldern.

Ich bin froh, wenn die Inhaftierten davon anfangen, schon sind wir im Gespräch. Sehnsucht – wonach eigentlich? Die meisten sagen, das eingesperrt sein ist nicht das Problem. Auch nicht die geschlossenen Zellentüren. Das Problem ist für die meisten – nach deren Darstellung: Mit Menschen zusammen zu sein, die sie sich nicht ausgesucht haben und auch nicht mögen. Bewacht zu werden von Menschen, die sie verachten und getrennt zu sein von den Menschen, die ihnen lieb und teuer sind.

Es fehlt ihn der Mensch des Vertrauens, das in die Armenehmen, die Nähe. Fernsehgeräte werden unsagbar wichtig: Sie laufen den ganzen Tag und oft auch in der Nacht. Sie gaukeln vor, Teil einer Welt zu sein, in der die Menschen frei sind, miteinander umgehen, sich berühren. Es gibt Männer, die bitten darum, dass ich sie duze. Nur damit etwas Vertrautheit aufkommt. In 25 Jahren Gemeindepfarrer wurde nicht so viel geweint wie in einem Monat in meinem Büro im Knast. Die schlimmsten Verbrecher weinen, weil die Sehnsucht so groß ist, wieder als der Mensch gesehen zu sein, der sie sind.

In der Akte steht: „Mörder; Betrüger; Dealer; Menschenhändler“ oder anderes. Auf alles andere kann die Justiz nicht sehen. Sie sperrt den weg, der eine Straftat begangen hat. So wird der Mann über seine Straftat definiert. Er fühlt sich wie ein Amputierter, dem all das, was ihn sonst noch ausmacht, entfernt wurde. So laufen Sie dann auch durchs Leben und manche passen sich dem Bild an, das man von Ihnen hat. Seelsorge heißt dann vor allem: Jeden hier als Mensch anzusehen. Keinen über seine Tat zu definieren, sondern jeden über sein Mensch-Sein. Über seine Gottebenbildlichkeit.

Seitdem ich hier arbeite spreche ich kaum mehr von Schuld und habe begonnen zu glauben, dass die Hölle leer ist. Die Sehnsucht nach Heil-sein und Ruhe wird von Gott niemals nur einfach weg gewischt werden. Hölle würde die Täter von den Opfern separieren. Aber Himmel kann es nur geben, wenn Täter und Opfer versöhnt miteinander leben. Diese Sehnsucht habe ich selber.

Hans-Gerd Paus | JVA Geldern

 

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