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Spanien: Haftstrafen verhindern Belästigung von Frauen nicht

9. Mai 2022

Eine ultrakatholische Gruppe versammelte sich vor der Madrider Dator-Klinik, um zu beten und „Lang lebe Christus der König“ zu rufen, ohne dass die Polizei etwas unternahm. Zentren für Schwangerschaftsabbrüche in Spanien warnen, dass die Belästigungen seit Inkrafttreten des Gesetzes zugenommen haben. Etwa 80 Menschen knieten am Samstag vor der Dator-Klinik in Madrid nieder, die auf die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen spezialisiert ist. Mit Hilfe eines großen Holzkreuzes, eines Megaphons und mehrerer Transparente gegen Abtreibung lasen die Versammelten fast eine Stunde lang Bibelverse über die „Flammen der Hölle“ und die „heilige Frucht deines Leibes“, beteten das Ave Maria.

Mehrere Polizeibeamte beobachteten das Geschehen, aber keiner von ihnen nahm die Personalien der Anwesenden auf, obwohl diese Art von Verhalten einen neuen Straftatbestand darstellen kann, der von Amts wegen verfolgt wird, ohne dass eine vorherige Anzeige erforderlich ist. Das Gesetz, das seit Mitte letzten Monats in Kraft ist, bestraft denjenigen, der eine Frau „durch belästigende, beleidigende, einschüchternde oder Zwangshandlungen, die ihre Freiheit beeinträchtigen“, belästigt, mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu einem Jahr oder gemeinnütziger Arbeit von 31 bis 80 Tagen. Die Organisatoren, eine ultrakatholische Gruppe namens Enraizados, hatten die staatliche Behörde in Madrid nicht über die Kundgebung informiert. Es geschah jedoch nichts, abgesehen davon, dass Behördenvertreter später erklärten, dass sie ein Bußgeldverfahren gegen sie einleiten würden, weil sie die Kundgebung nicht angemeldet hatten.

Die von den Kliniken seit Jahren geforderte Strafrechtsreform, die sich an Regelungen in anderen europäischen Ländern orientiert, soll nach Angaben der Befürworter der Reform derartige Taten verhindern. „Die Belästigungen an den Türen der Kliniken haben nur ein Ziel, und das ist nicht das Beten: Sie wollen die Freiheit der Frauen mit Gewalt einschränken“, sagte Laura Berja, Abgeordnete der PSOE, während der Parlamentsdebatte. Der neue Straftatbestand hat jedoch in den ersten drei Wochen nicht dazu geführt, die Schikanen einzudämmen. Im Gegenteil. Den Verantwortlichen der Kliniken zufolge nehmen die Belästigungen zu.

Das Ziel des Zorns

Dator war 1985 das erste Zentrum in Spanien, das eine Zulassung für den freien Schwangerschaftsabbruch erhielt. Seitdem ist es das Hauptziel des Zorns der radikalsten Abtreibungsgegner, die sich in den letzten Tagen durch Nachrichten wie die in den USA gestärkt sahen, wo sich der Oberste Gerichtshof anschickt, den Präzedenzfall zu kippen, der das Recht in diesem Land verfassungsmäßig verankert hat. „Diese Gruppen glauben, dass, wenn sie Dator schließen können, auch die anderen Kliniken fallen werden. Aber sie werden keinen Erfolg haben“, sagt Sprecherin Sonia Lamas. Die Klinik war seit mehr als einem Jahr nicht mehr angegriffen worden. Am 28. April wurden jedoch in den frühen Morgenstunden die Fenster und Türen des Gebäudes blau gestrichen. Einige Wochen zuvor hatte die rechtsextreme Vereinigung Hazte Oír ein Büro direkt gegenüber der Klinik eröffnet, von dem aus sie Straßenkonzerte organisierte und Ultraschallbilder auf eine Riesenleinwand projizierte. Auf der in Rosa und Lila gestrichenen Fassade ist ein Baby abgebildet, daneben stehen Slogans wie „Wirst du ohne ein Lächeln zurückgelassen werden?

Am Samstag fand die erste Kundgebung dieser Art statt, seit die Belästigung von Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, unter Strafe gestellt wurde. „Die Strafrechtsreform wird uns nicht aufhalten. Es gibt Menschen, die aus persönlichen Gründen Angst haben, bestraft zu werden. Aber nicht ich und viele andere, vor allem junge Menschen, die lieber bereit sind, sich gegen ein illegitimes und illegales Gesetz zu stellen, das typisch für Regime wie die ehemalige Sowjetunion ist“, sagte der Sprecher des Aufrufs, José Velarde, und ignorierte dabei die Tatsache, dass ein Gesetz wie das spanische bereits seit einiger Zeit in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich existiert. Aber in einem Punkt hatte Velarde recht: Die meisten seiner Begleiter waren Studierende, Universitäts- oder Oberstufenschüler. Sie befanden sich auf einer Seite der Straße. Auf der anderen Seite eine kleine Gruppe von Feministinnen, die ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht haben. In der Mitte die Polizei, die tatenlos zusieht.

„Unmögliche“ Verurteilungen

Die Zentren in Barcelona haben den gleichen Eindruck wie die in Madrid, was die praktischen Auswirkungen des neuen Gesetzes angeht. Vicente Sanchís, ein Mitarbeiter der Emece-Klinik, erklärt, dass seit einigen Wochen vier ältere Menschen vor der Klinik stehen und versuchen, Frauen, die zum Schwangerschaftsabbruch kommen, aufzuhalten und ihnen Flugblätter zu überreichen. „Es ist lange her, dass das passiert ist“, sagt er. In der Klinik in Aragón, ebenfalls in der katalanischen Hauptstadt, machen sie ähnliche Erfahrungen. „Ich habe große Angst, dass es keine Verurteilungen geben wird“, sagt José Antonio Bosch, Anwalt der Vereinigung der akkreditierten Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche (ACAI), einer Organisation, die 2018 in ganz Spanien 300 Frauen befragt hat, die abgetrieben hatten: 89 % fühlten sich belästigt und 66 % bedroht. „Es ist sehr schwierig für Frauen, die abgetrieben haben und die unter erheblichem Gruppenzwang leiden, vor einem Richter auszusagen. Sie wollen sich verständlicherweise nicht auf ein Gerichtsverfahren einlassen, das ein oder zwei Jahre dauern kann.

Der Richter wird also des Elements beraubt, auf das er die Schikanen stützen kann“, fährt er fort. Aus diesem Grund vertritt der ACAI die Auffassung, dass es viel sinnvoller gewesen wäre, wenn das Gesetz Sicherheitszonen um die Zentren herum festgelegt hätte, wie es in Frankreich der Fall ist. Dennoch hofft Bosch, dass die Reform zumindest als „Motivation“ für die Polizei dienen wird, angesichts dieser Schikanen zu handeln. Doch das war am Samstag nicht der Fall. Als die Gebete zu Ende waren, standen die radikalen Abtreibungsgegner erneut auf, fassten sich an den Händen, lächelten, stellten sich trotzig vor die Feministinnen, riefen „Es lebe Christus der König“, sangen das gleichnamige Lied („unser souveräner Herr / für ihn zu kämpfen ist eine Ehre“) und gingen dann sehr zufrieden weg.

Carol Álvarez, El Periódico | Übersetzung: Bernhard Rasche

 

2 Rückmeldungen

  1. René sagt:

    In der ganzen Debatte vermisse ich die nötige Differenz: Entweder für oder dagegen. Dazwischen gibt es leider nichts. Und das ist genau das Problem. Hier geht es darum, dass es in Spanien strafbar ist, Frauen zu belästigen, die sich zur Abtreibung entschieden haben. Oder zumindest dahingehend tendieren.

    Ist es der gängige Trend in unsere Gesellschaft zu spalten? Leider wird nicht unterschieden, nach wessen Motiven sich jemand entscheidet. Hauptsache nach der „christlichen“ Botschaft gehandelt? Jesus hat immer unterschieden. Das eigene Gewissen ist maßgeblich. Was wissen wir denn von Frauen, die in Notlagen sind? Nichts. Von daher sollten diejenigen, die sich „Christen“ nennen nicht vorschnell ver-urteilen.

  2. B.J. sagt:

    Der Artikel zu den Protestierenden vor der Abtreibungsklinik ist unausgewogen und gehört so nicht in die Zeitung. Dass man gegen Abtreibung ist und das auch äußert ist ja nicht ultrakatholisch, sondern normalkatholisch. Die Opfer der ganzen Sache sind ja nicht nur die Frauen, die hier „belästigt“ werden, sondern auch die vielen Kinder, die totgemacht werden. Das ist also sehr unausgewogen dargestellt. Ich würde mich auch nicht vor eine Klinik stellen. Aber selbst wenn sie 500 m abseits stehen sollten, so stören sie doch auch mit ihrer Meinungsäußerung Abtreibungswillige und machen ihnen ein schlechtes Gewissen. Ganz lässt sich das nicht vermeiden, wenn man sagt, das von Zeugung an ein Kind da ist. Darf man das dann überhaupt noch laut sagen? Jedenfalls finde ich den Artikel nicht modern, nicht liberal und nicht so cool, natürlich auch nicht besonders christlich.

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