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Rechtliche Grundlagen von Seelsorge in Haftanstalten

10. Oktober 2019

Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist historisch gewachsen, hat eine Fülle von Differenzierungen und Abgrenzungen sowie eine klar umrissene Aufgabenteilung und Formen der Zusammenarbeit entwickelt, die auf dem Grundgesetz (GG) basieren. Es ist dies insbesondere das in Artikel 4 Absatz 1 GG formulierte Grundrecht der Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht ist gemäß Artikel 104 GG in Verbindung mit Artikel 141 Weimarer Reichsverfassung (WRV) auch für den Strafvollzug garantiert. Als solches ist es nicht an den Kreis der christlich-abendländischen Religionen gebunden; es hat den Rang des Menschenrechts und steht allen Personen zu, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes wohnen.

Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG bezieht sich nicht nur auf einzelne Gläubige, sondern auch auf Religionsgemeinschaften. Der Staat ist zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Die Religionsgemeinschaften ihrerseits haben – verfassungsmäßig garantiert in Art. 137 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG – ein Selbstbestimmungsrecht u.a. zur Definition der Tätigkeiten und Inhalte der Seelsorge. In den jeweiligen Gesetzen der Länder (Staatskirchenverträge, Landesgesetze, Dienstordnungen, Ausführungsbestimmungen und Verfügungen) ist die Zusammenarbeit zwischen Seelsorge und Justizvollzug näher geregelt.

Haupt- oder nebenamtlich angestellte Seelsorger sowie Seelsorgehelfer haben in den Vollzugsanstalten eine Sonderstellung. Durch Dienstvertrag und/oder Ordination ist der Seelsorger dienstrechtlich und fachlich an den Auftrag der Kirche/Religionsgemeinschaft gebunden. Der Anstaltsleiter kann ihm bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung der Seelsorge keine Weisung erteilen. Der Seelsorger ist jedoch gleichwohl auch Mitarbeiter in der Vollzugsanstalt und als solcher den Weisungen der Anstalt verpflichtet und zur Zusammenarbeit mit allen Bediensteten aufgerufen.

Durch sein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO und § 139 Abs. 2 StGB) nimmt er eine singuläre Rechtsposition innerhalb des Vollzugspersonals ein. Die seelsorgerliche Verschwiegenheit ist Grundlage und wesentliches „Instrument“ in der Seelsorge. Auch  Aufzeichnungen jeglicher Art, die sich ein Seelsorger im Rahmen seiner Tätigkeit bzgl. seiner Klienten macht und schriftliche Mitteilungen sind insofern geschützt, als sie nicht beschlagnahmt werden dürfen (vgl. § 97 StPO). Ebenso ist die Telefon- und jegliche andere Form der Überwachung von Seelsorgern unzulässig, wenn nicht der Seelsorger selbst unter Verdacht einer entsprechenden Straftatbegehung steht (§ 100d Abs. 3).

Den Gefangenen darf religiöse Betreuung durch einen Seelsorger nicht versagt werden. Inhaftierten ist im angemessenen Umfang der Besitz von Gegenständen des religiösen Gebrauchs (z.B. Kreuze, Rosenkränze, Kerzen) sowie von religiösen Schriften erlaubt. Dabei ist nicht unbedingt von einer Engführung auf die sog. Offenbarungsquellen (Bibel, Thora, Koran etc.) auszugehen, sondern es sind auch Schriften einzubeziehen, die Grundaussagen des Glaubens für heutiges Verständnis erschließen (vgl. § 53 StVollzG). Über den „angemessenen Umfang“ wird – weil ein unbestimmter Rechtsbegriff – in der Praxis vor Ort und im Einzelfall unter Abwägung der Aufgaben des Vollzugs mit dem Artikel 4 GG zu streiten sein.

Jeder Inhaftierte hat das Recht an einem Gottesdienst seines Bekenntnisses und nach Zustimmung des Seelsorgers auch an einem Gottesdienst eines anderen Bekenntnisses teilnehmen. Gleiches gilt für religiöse Veranstaltungen. Aus Gründen der Sicherheit und Ordnung und bei Missbrauch kann der Inhaftierte vom Gottesdienst und anderen religiösen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, wobei der Seelsorger vorher gehört werden soll (vgl. § 54 StVollzG). Alles in allem betrachtet zeigt sich, dass die Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche zwar grundsätzlich geregelt ist, in der konkreten Zusammenarbeit vor Ort jedoch ein hohes Maß an Sensibilität von allen Beteiligten gefordert ist – im Sinne der je eigenen Zielvorstellung von Seelsorge und Vollzugsbehörde und in der gemeinsamen Verantwortung für die jeweiligen Personen.

Aus: Seelsorge im Gefängnis. Norddeutsche Konferenz

 

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