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GefängnisseelsorgerInnen sind oft kantige Originale

23. Februar 2019

Als Seelsorger muss ich nicht ständig von Gott und vom Glauben reden. Ich muss aber sehr wohl ein Gespür haben für die großen Lebensfragen, für die Dramen und Abgründe, die Hoffnungen und Wünsche, die oft in einem sehr alltäglichen Gewand mit der Gottesfrage und mit einer religiösen Verwurzelung zu tun haben. Ich hab immer versucht, da wachsam zu sein und hab mich nicht gescheut, solche Zusammenhänge zur Sprache zu bringen. Oft war ich verblüfft über die offene und direkte Art, in der da gesprochen wird, erstaunt auch über das Vertrauen, das mir geschenkt wurde.

Und noch öfter war ich sprachlos und ratlos angesichts der Schuldgeschichten, der verirrten Lebenswege, der entstellten und beschädigten Persönlichkeiten, die da bei mir saßen mit ihren Fragen und Nöten, ihren Hoffnungen und Ängsten. Mit Manchem konnte ich „nur“ aushalten und ausharren am Rand seiner Abgründe. Standhalten und Dabeibleiben: da, wo andere eher davonlaufen. Mit solcher Ohnmacht konstruktiv umzugehen, menschlich, geistlich und pastoral – praktisch, das scheint mir eine der großen professionellen Herausforderungen im Dienst eines Gefängnisseelsorgers zu sein. Ich jedenfalls hab eine Ahnung bekommen, was das wohl meint, wenn Paulus im 2. Korintherbrief bezeugt, dass ihm gerade in seiner Schwachheit Stärke widerfahren ist.

Wenn Männer im Knast sitzen, sind fast immer Andere mit betroffen von der oft jahrelangen Inhaftierung: Frauen und Kinder, Väter und Mütter, Angehörige und Freunde. Alle diese Beziehungen sind schwersten Belastungen ausgesetzt. Sie laufen Gefahr auszutrocknen und zu veröden. Viele brechen ab oder werden beendet, oft schon mit dem Haftbeginn oder später im Laufe zermürbender Jahre. Deshalb achten wir auf das Umfeld der Gefangenen, fragen nach Kontakten, Besuchen, Verbindungen nach draußen. Wo es geht und Sinn macht helfen wir und bauen Brücken durch gelegentliche Sonderbesuche in seelsorglichem Rahmen, durch Gespräche mit Angehörigen, durch unsere Seminartage für Paare. Manchmal vermitteln wir Kontakte zu Diensten, die den Frauen und Familien während der Haftzeit der Männer beratend und unterstützend zur Seite stehen können. Wer im Gefängnis arbeitet, muss gut aufpassen: auf sich selbst, auf seine Gesundheit und seine Seele. Die Pflege einer geerdeten Spiritualität, regelmäßige Supervision und die jährlichen Exerzitien waren (und sind) für mich unverzichtbare und wohltuende Bestandteile meines Dienstes.

GefängnisseelsorgerInnen sind oft eher kantige Typen und Originale. Trotzdem hab ich unter KollegInnnen eine verlässliche Vernetzung erlebt. Regelmäßiger Austausch, Fortbildung und Solidarität haben mir gutgetan. Als Pastoralreferent in der Gefängnisseelsorge hab ich mich einer Option unseres verstorbenen Bischofs Klaus Hemmerle verpflichtet gefühlt. Er hat die pastorale Verortung unseres Berufes weniger in den sog. Grunddiensten, sondern eher an sog. Schnittstellen von Kirche und Gesellschaft gesehen. Das scheint mir im Blick auf das theologische und pastorale Profil unseres Berufes eine durchaus stimmige Orientierung zu sein.

„Denkt an die Gefangenen – so als wäret ihr mitgefangen.“ (Hebr. 13, 3) So lautet eine Mahnung des Hebräerbriefes. Unsere Bischöfe haben sie 2006 und 2015 als Leitwort über einen Hirtenbrief zur Seelsorge im Gefängnis geschrieben. – Das macht Sinn: im Blick auf die Menschen, die hinter Mauern und Gittern leben müssen. Und das macht Sinn im Blick auf unsere Gesellschaft, die immer mehr dazu neigt, ihre eigenen „Schattenseiten“ auszublenden indem sie Straftäter einfach nur wegsperrt und von jeglicher Teilhabe ausschließt. Wenn wir das zulassen, halbieren wir letztlich unser Menschsein, zu dem eben nicht nur der Erfolg gehört, unsere hellen und vorzeigbaren Seiten. In jedem von uns lebt immer beides: Unsere Schönheit und Größe, aber auch Schwäche und Versagen und unsere Freiheit zum Bösen. „Ich war im Gefängnis – und Du hast mich besucht.“ – Ich bin an dieser Zumutung gewachsen und gereift: menschlich und geistlich. Und, ich sage es noch einmal, ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich in diesem besonderen Feld kirchlicher Seelsorge sammeln durfte.

Dietmar Jordan | Auszug des Vortrages „Netzwerk Theologie und Beruf“, Münster 

 

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