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Das DDR-Gefängnis konnte uns nicht brechen

27. September 2019

Das Ehepaar Grote im Gespräch mit Gefängnisseelsorger Tobias Scherbaum von der JVA Burg in einer der Freistunden-Zellen des ehemaligen Gefängnisses. Foto: Ulrike Hagemann.

Die 1990 gegründete Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg erinnert an die in den Jahren 1945 bis 1989 inhaftierten Opfer politischer Verfolgung an diesem Ort. Der Besuch dieser Gedenkstätte durch eine Gruppe von GefängnisseelsorgerInnen während ihrer Studientagung in Magdeburg gehört mit zum Programm. Vermittelt durch die Anstaltsleiterin der JVA Burg, Ulrike Hagemann, sind die persönlichen Erinnerungen im Gespräch durch das Ehepaar Grote lebendig geworden. „Das Gefängnis hat uns nicht brechen können“, so die Zeitzeugen.

1876 als Amtsgericht und Strafgefängnis eröffnet, diente der Gebäudekomplex ab 1940 als Strafgefängnis für bis zu 250 männliche Gefangene. Ab Herbst 1945 fungierte es als Untersuchungshaft und ab 1952 diente es der Deutschen Volkspolizei. Hier wurden Gefängnis- und Zuchthausstrafen vollstreckt. Unter den Häftlingen stellten aus politischen Gründen Festgenommene und Verurteilte ab 1947 die Mehrheit. Nicht zuletzt deshalb wurde das Gefängnis während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 gestürmt und 221 Gefangene befreit. Ab Mai 1958 nutze das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) das Gefängnis als Untersuchungshaft. Das frühere Amtsgericht wurde zum Vernehmergebäude umgebaut. Die „Stasi“ inhaftierte hier mehr als 4000 Menschen u.a. wegen ihrer kritischen Einstellung zur DDR-Politik oder wegen ihres Wunsches, den Staat zu verlassen. Voneinander und von der Außenwelt isoliert, versuchte man den Häftlingen Geständnisse abzupressen, damit diese als „Staatsfeinde“ abgeurteilt werden konnten.

Der Zellentrakt und sämtliche Außenanlagen sind im Bestand von 1989 erhalten. Die erfahrenen GefängnisseelsorgerInnen kennen Gefängnis. Und trotzdem schockiert sie der Ort mit den Beschreibungen der unwürdigen Behandlung der Menschen mit Schlafentzug und äußerst beengten Freistundenzellen. Die Hafträume mit Fenstern aus Glasbausteinen verwehren den Blick nach draußen. Eine rote Lampe in den Fluren leuchtet auf, wenn Gefangene zum Verhörraum gebracht wurden. Die Mitarbeiter sollten nicht erkannt werden und es galt ihnen bei „roter Lampe“ die Flure zu verlassen.

Der Inhaftierte wurde im Verhörraum an das Tischende gesetzt mit Blick zum blendenden Fenster. Herr Grote benennt als ehemaliger Gefangener die MfS-üblichen Mittel und Torturen: Isolation, Schlafentzug, Desorientierung, Erpressung sowie die gezielte physische und psychische Zermürbung. So wurde er in den Besucherkeller mit den Hinweis geführt, er bekomme Besuch. Allerdings ist der angebliche Besuch nie eingetroffen. Es war die Taktik der Staatssicherheit, die Menschen zu zermürben.

„Ich weigerte mich das Verhörprotokoll zu unterschreiben. Da stand, ich wäre staatsfeindlich tätig gewesen. Nur weil wir einen Ausreiseantrag gestellt haben“, erzählt Herr Grote mit bewegten Worten. Grote hat einen Bruder im niedersächsischen Göttingen und damit unterhielt er „Westkontakte“ ins Ausland. Seine Frau fügt hinzu: „ Ich durfte nicht weiter als Lehrerin arbeiten. Man hat uns einfach in unserer Wohnung verhaftet.“ Zuerst kamen beide in Untersuchungshaft (UHA) am Moritzplatz. Danach in die Strafvollzugseinrichtung (StVE) an der Sudenburger Wuhne in Magdeburg. Herr Grote sollte seine 3 Jahre und 7 Monate verhängte Haftstrafe in der StVE Cottbus absitzen. Frau Grote kam mit knapp über 2 Jahre Strafe in eine thüringische Haftanstalt für Frauen. Ihre zwei Kinder blieben bei den Großeltern zurück.

Durch die Vermittlung eines bekannten Rechtsanwaltes wurde das Ehepaar nach einem Jahr Haft von der Bundesrepublik 1984 freigekauft. So gelangten die „Republikflüchtlinge“ in den Westen. Dort wurden sie im nordrhein-westfälischen Rehda-Wiedenbrück heimisch. „Doch wir gehörten nicht dazu. Wir waren ´die vom Osten´ und jeder fragte uns, wie es in Dunkeldeutschland ist“, erzählt Herr Grote. „Dies hat uns aber stark gemacht“, sagt Frau Grote, „dadurch konnten wir unsere Geschichte verarbeiten“, fügt die 71 jährige hinzu.

Im Jahr 2004 zog das Ehepaar nach Burg in Sachsen-Anhalt zurück. Sie übernahmen das Haus der Eltern von Frau Grote, die sie bis zu deren Tod pflegten. „So ganz los wird man unsere Geschichte nie“, sagte Herr Grote mit nun 77 Jahren leise. Die Anstaltsleiterin der JVA Burg, Ulrike Hagemann, erwidert, „dass die beiden regelmäßig als ehrenamtliche Mitarbeiter in die JVA kommen und mit Lebenslänglichen sprechen.“ „Einmal Knast, immer Knast“, lächelt Herr Grote und schaut lebendig in die Runde der aufmerksam zuhörenden GefängnisseelsorgerInnen.

„Was hat Ihnen in der Zeit der Inhaftierung geholfen, um das alles zu überstehen?“, fragt jemand aus der Gruppe. „Ich habe oft in der Bibel gelesen“, sagt Herr Grote, „die gab es auch im Stasiknast, wenn man sie verlangte“. Dem Pastor, der ins Gefängnis kam, konnte nicht vertraut werden. „Dieser hat sehr fachlich, aber äußerst unnahbar gesprochen. Der war garantiert kein echter Theologe, sondern ein Mitarbeiter der Staatssicherheit.“ Die „Operative Psychologie“ war das Forschungs- und Lehrfach an der Juristischen Hochschule (JHS) des MfS der DDR. Diese beschäftigte sich mit „den Erscheinungen, Bedingungen, Gesetzmäßigkeiten und des psychischen Erlebens und der psychischen Steuerung des Verhaltens und der Handlungen. „Denen war jedes Mittel recht. Da wurde mit Sympathie und Härte gearbeitet.“

Abgehärtet oder gar verbittert wirken die beiden Grote´s nicht. Ganz im Gegenteil. „Wenn es möglich wäre, würden wir gerne heute mit unserem Vernehmer ohne Verbitterung oder Rachegedanken sprechen. Einfach nur um zu erfahren, wie dieser gedacht hat.“ Mit großer Achtung und Würdigung der bewegten Geschichte nehmen die GefängnisseelsorgerInnen Abschied und überreichen ein Buch mit Texten, die Gefangene heute geschrieben haben.

Michael King | JVA Herford

 

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