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„Mit der krieg ich kaum Luft“ – Meine FFP2 Maske

22. März 2022

Die Maske begleitet mich stets: Im Einkaufszentrum, im Restaurant und bei der Arbeit. Als GefängnisseelsorgerIn damit ausgesattet zu sein bedeut nicht nur Schutz. Existenzielle Gespräche können nicht mit Maske geführt werden. Da fehlen die Regungen und Gesichtzüge. Gefängnisseelsorger Hubertus Schmidt von der JVA Attendorn hat sich auf ungewöhliche Weise dem „Masken-tragen“ genähert. Er schlüpft selbst in die Rolle der Maske und lässt diese zu uns sprechen.

Hallo zusammen,

vielen Dank, dass ich hier und heute zu euch sprechen darf, in dieser großen Sitzung: Diözesankonferenz der Gefängnisseelsorger im Erzbistum Paderborn. Wow, hochkarätige Sitzung und ihr habt einen guten Ruf in Kirche und Gesellschaft. Wenn ihr sagt, dass ihr in einer JVA arbeitet, Euch zollen die Menschen Respekt. Bei mir und meinen Kollegen sieht das anders aus; wir haben einen schlechten Ruf, fast möchte ich sagen wir haben so ein Imageproblem wie Eure Kirche zurzeit. Uns wirft man vor: „mit der krieg ich kaum Luft“ oder „ die hinterlässt so fiese Druckstellen im Gesicht und an den Ohren“ und Brillenträger beschweren sich, dass die Atemluft immer die Brillengläser beschlagen lässt. Viele beschweren sich, dass sie durch uns das Gesicht des Gegenübers gar nicht mehr wahrnehmen können, die Mimik entgeht ihnen und sie sind verunsichert, weil sie nicht sehen können, wie der andere auf ihre Worte reagiert. Ihr wisst jetzt schon, wer ich bin:

Eine ganz normale FFP2-Maske

Ich könnte jetzt weit ausholen und sagen: in anderen Zeiten und Kulturen, da haben die Menschen Masken sehr geschätzt. Sie haben uns liebevoll geschnitzt und gestaltet; wir gaben Schutz vor bösen Geistern, Ahnen, dem Bösen und negativen Kräften. Ich könnte von der Barockzeit erzählen, wo die Menschen uns geliebt haben: was wäre der Karneval in Venedig, dieses Spiel aus Verstecken, Flirten und Erotik gewesen ohne Maske? Oder denkt an eure Masken, nicht die im wörtlichen sondern im übertragenen Sinn: ich sag nur „Pokerface“ und denke daran, wieviel Schmerzliches so „weggelächelt“ wird von euch Menschen. Tut doch nicht so als stände das Gesicht immer für Ehrlichkeit! Wie oft versteckt ihr euch hinter eurem Gesicht, macht es zur netten Fassade, damit nicht jeder sofort sieht, wie es euch wirklich geht. Aber ist das per se schlecht? Hat es nicht auch was Gutes an sich, sich mal „verstecken“ zu können, ohne, dass gleich jeder sieht, wie man drauf ist?

All das wäre lohnenswert- würde aber zu weit führen. Ich würde die Zeit heute gerne nutzen, um euch mitzuteilen, dass wir FFP2-Masken nicht nur einen Schutz bedeuten (vor den Aerosolen anderer und ihr schützt durch uns andere vor euren…), sondern auch eine Chance; eine Chance, um eure Wahrnehmung zu schärfen. Dazu fallen mir zu eurem Berufsalltag drei Punkte ein, die ich euch gerne mitteilen möchte. Ein erster Ort ist die Pforte; bevor ihr die Anstalt betretet, setzt ihr die Maske auf. Das ist ja je nachdem ein ziemliches Procedere – ich schildere mal den Ablauf beim Seelsorger in Attendorn, wo in seinem Gesicht mein Arbeitsplatz ist: Maske raus, Mütze ab, Brille ab, Maske auf, Brille auf, Mütze in Tasche und wenn es dann noch regnet: Schirm zu, ausschütteln, untern Arm klemmen. Da möchte ich ihm schon mal gern zurufen: „Hömma, zwei Hände mehr, die könnten bei dir auch nix schaden, woll?!“ Das ist ein Schauspiel, das erheitert und viel Koordination voraussetzt und das viele von euch wahrscheinlich auch kennen.

Bei mir sein?

Aber hier – finde ich – liegt auch die Chance: um nicht so „herein zu stolpern“ in die Anstalt, in die Arbeit, in diese eigene Welt; sondern um bewusst innezuhalten und sich zu fragen: „Wie bin ich heute da? Wie geht´s mir eigentlich? Was bewegt mich? Was bringe ich so alles mit? Was will ich heute zeigen? Und was besser nicht?“ Diesen Moment des Maske-aufziehens an der Pforte könnt ihr als Einladung nutzen, um sehr bewusst, sehr „selbst-bewusst“ in diese Parallelwelt einzutreten, oder – wie ihr sagt – in diesen „AndersOrt“. Im Büro, sobald ihr mit euch allein seid, dürft ihr die Maske ablegen, euch zeigen, wie ihr seid und ich weiß, dass viele das als Befreiung erleben: „Ich bin sie los, ich kann mich zeigen, wie ich bin“. „Bei mir sein, mit mir sein“ –das ist eine zutiefst menschliche und zugleich religiöse Erfahrung. „Gott sieht mich; nimmt mich an; bejaht mich, wie ich bin“ und das alles ohne Spielchen, ohne Tricks, ohne Täuschung, ohne Leistung und ohne vorher noch eine Bedingung erfüllen zu müssen.“Aber das ist doch nix Neues“ werdet ihr sagen.“Das verkündigen wir doch auch schon mal unseren Gefangenen“ Ja, aber wenn ihr ehrlich seid, wisst ihr alle auch um andere Botschaften, die jeder im Lauf seines Lebens erhalten hat – ausgesprochen und unausgesprochen-, die die Kindheit geprägt haben, die man oft heimlich übernommen hat, die tief in die Seele gesunken sind und die ihr heute – oft unbewusst – euch selber sagt: „Sei stark; leiste was, verhalte dich so und so; sei perfekt.“ , um nur einige (Antreiber-) Botschaften zu nennen.

Vor Gott sein ohne Maske

Ihr seid clever und reflektiert genug, um eure euch prägenden Botschaften zu kennen, die sich manchmal wie eine zweite Haut anfühlen und in bestimmten Situationen wie von einem unsichtbaren Gummiband gezogen wieder an einem kleben und das Verhalten bestimmen. Der Moment des Maske-ablegens im Büro kann eine Einladung sein, sich bewusst zu machen bzw. bewusst zu vollziehen: ich darf jetzt all diese Botschaften, meine „Zweite Haut“ auch ablegen, abziehen, abstreifen wie eine Maske und darf vor Gott sein, wie ich bin. Vor Gott brauche ich, darf ich (nur) seien. Diese Botschaft ist eigentlich ungeheuerlich – ungeheuerlich schön. Im Kontakt mit anderen, der auch eine Maske trägt, seht ihr nur die Augenpartie des anderen. Der Rest des Gesichts ist verhüllt und ihr könnt nur schwerlich Reaktionen auf das von euch Gesprochene im Gesicht des Gegenübers erkennen. Seine Mimik gibt keinerlei Hinweise. Die sonst übliche Art der Wahrnehmung des Gegenübers ist eingeschränkt. Aus der Erfahrung mit Menschen, denen ein Wahrnehmungssinn fehlt bzw. fast ganz erloschen ist, wisst ihr, dass bei diesen Menschen dann oft andere Sinne dafür um so ausgeprägter sind; sich die Wahrnehmung quasie andere Wege sucht. Ich denke da an erblindete Menschen, die weitere Menschen im Raum wahrnehmen, „erspüren“, obwohl sie sie nicht sehen können. Oder an Menschen, die beim Betreten einer Versammlung schnell „erspüren“ können: „ hier ist eine „komische“, oder „aggressive“, oder “bedrückte“ Stimmung im Raum“.

Wer sehen will, muss Augen schließen

Diese vermeintliche Einschränkung der Wahrnehmung durch mich, die Maske, kann somit zur Einladung werden im Kontakt mit anderen anderes und anders wahrzunehmen. Das Hören nochmal zu schärfen, auf Stimm- und Tonlage vermehrt zu achten, Körperhaltung und Körpersprache bewusster in den Blick zu nehmen, anders den Gegenüber wahrzunehmen, ihm mit einer Art „schwebender Aufmerksamkeit“ zu begegnen. So ähnlich, wie Paul Gaugin, der französische Expressionist, es ausgedrückt hat: „Wer sehen will, muss die Augen schließen.“ So, nun will ich schließen. Ich hoffe, ich konnte euch aufzeigen, dass der Umgang mit mir, der FFP2-Maske, an der Pforte, im Büro und im Kontakt mit anderen eine Einladung bedeuten kann zum bewussteren Wahrnehmen von Euch, von Gott und vom anderen.

Vielleicht hab ich mein Image dadurch ja auch etwas verbessert, wer weiß… Euch wünsche ich eine gute Konferenz, sage Danke für euren Einsatz und wünsche euch viel Energie im „AndersOrt“. Tschüss – oder wie man bei euch sagt: “Amen.“

Hubertus Schmidt | JVA Attendorn

 

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