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Eigentlich ist es wie in anderen Großküchen auch

18. Februar 2019

Tief ist der überdimensionale Rührbesen in dem riesigen Topf versunken, in dem orangene Soße blubbert. Aus zwei großen Eimern fischt eine Frau tassenweise Gemüsebrühepulver und Soßenpulver. Doch die Frau mit dem dunklen Basecap ist keine Köchin. Sie ist Justizvollzugsbeamtin. Und die Großküche, in der sie arbeitet, ist die der Jugendanstalt (JA) Raßnitz in Sachsen-Anhalt. Hier entsteht täglich das Essen für etwa 280 Gefangene zwischen 16 und 28 Jahren.

„Eigentlich ist es wie in anderen Großküchen auch“, sagt René B. Der Koch mit dem schwarzen Kopftuch ist stellvertretender Küchenleiter, will wegen des sensiblen Arbeitsplatzes – wie seine Kollegen auch – nicht seinen vollen Namen nennen. Der 48-Jährige hat in Halle/Saale Koch gelernt und musste lange von Restaurant zu Restaurant vagabundieren, bis die Stelle in Raßnitz kam. Extra dafür war noch eine zweijährige Ausbildung für den allgemeinen Vollzugsdienst nötig. Im Gefängnis arbeitet er nun schon zehn Jahre. Ein sicherer Arbeitsplatz. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Wenn René B. morgens um 3.50 Uhr durch die Pforte tritt, lässt er sein Privatleben hinter sich, schließt Handy und persönliche Gegenstände ein. Dann folgen viele Türen. Die Schleuse an der Pforte, über den Hof in das Verwaltungsgebäude in der Mitte der Gefängnisstadt, in den Küchentrakt im Erdgeschoss und schließlich durch die dicke Metalltür, die die Lagerräume von der Küche trennen. Dann schließt er die Türen zum Geschirrspülraum, dem verglasten Büro, und zur Schleuse, in der das fertige Essen später auf die Abholung wartet, auf. Früher wurde es mal im Speisesaal ausgegeben. Doch weil der große Saal mit allen Gefangenen zu unübersichtlich war und verbotene Gegenstände den Besitzer wechselten, wird seit sechs Jahren in den kleineren Wohngruppen gegessen. Am frühen Morgen sichtet eine Vollzugsbeamtin, wie viele Gefangene verköstigt werden müssen. Jede Wohngruppe meldet die Anzahl separat.

Mittagessen für über 200 Gefangene

273 Gefangene sind an diesem Mittwoch zu verpflegen, darunter 67 Moslems, die kein Schweinefleisch essen , und zwei Vegetarier, plus mehrere Allergiker. Die Zahl schwankt täglich, da immer wieder Häftlinge entlassen werden, neu hinzukommen, Termine bei Gericht haben oder in andere Einrichtungen überführt werden. Außerdem dürfen auch die Angestellten zwischen 11 und 12 Uhr das Mittagessen aus der Knastküche für 2,80 Euro genießen. Von 250 machen das aber meist nicht mehr als 15, auch, weil der Großteil im Vollzugsdienst ist und nebenbei isst. Eine Mittagspause gibt es nicht.

Der Speiseplan muss vier Wochen im Voraus erstellt und vom Anstaltsarzt und dem Leiter genehmigt werden. Das ist in der Verpflegungsordnung des Landes festgelegt – wie so viel anderes. Einem Gefangenen stehen täglich drei Mahlzeiten mit 2.498 Kalorien zu, den jungen Erwachsenen sogar 3.105 Kalorien. Das Arbeiterfrühstück, eine Art Pausenbrot für die Häftlinge, die im Gefängnis arbeiten, eine Lehre machen oder zur Schule gehen, nicht mitgerechnet. Sogar die Menge an Eiweiß, Fett, Kohlehydraten, Calcium und Vitaminen ist geregelt. Beim Einkauf soll auf Angebote geachtet werden. Laut Justizministerium liegen die Kosten pro Tag und Gefangenem bei 3,41 Euro.

Vier Kostproben werden genommen

Auch im Arbeitsalltag ist alles festgelegt. Schon Tage bevor ein Gericht zubereitet wird, schickt Küchenmitarbeiterin Kerstin U. die exakten Mengen dessen, was gebraucht wird, an die Verwaltung. Gekocht werden dürfen nur Rezepte, die in der Datenbank stehen. Dort ist genau vermerkt, wie viel Reis, Gulaschgewürz oder Milch pro Kopf gebraucht wird. Das wird dann hochgerechnet. Montag und Samstag gibt es in Raßnitz Suppe oder etwas Süßes zum Mittag, dienstags Nudeln. Sonst zum Beispiel Frikadellen, Gulasch oder Hühnerfrikassee. Eine Auswahl gibt es nicht. Jeder Gefangene bekommt alle neun Tage ein Glas Marmelade und täglich 50 Gramm Margarine zugeteilt. Vom Mittagessen müssen vier Kostproben genommen werden – für den Anstaltsarzt, den Leiter der Wirtschaftsverwaltung, den Anstaltsleiter und eine zum Einfrieren für die Gesundheitsbehörden.

Jobs in der Küche sind begehrt

Sieben bis acht Helfer hat der Küchenchef jeden Tag, zwölf Gefangene teilen sich die Schichten. Küchenerfahrung hat niemand, Interesse daran, später Koch zu werden auch nicht. Doch obwohl die Arbeit schon um fünf Uhr morgens beginnt, sind die Küchenjobs begehrt im Haus. Andere müssen auf dem Hof Müll aufsammeln oder Metallarbeiten erledigen „In der Küche ist man im Trockenen, früh am Tag fertig und bekommt gutes Geld“, erklärt Häftling Jimmy*.
Zwischen 8,73 und 13,16 Euro bekommen Gefangene. Pro Tag. Sechs Vergütungsstufen gibt es in Raßnitz – je nachdem, wie anspruchsvoll die Aufgaben sind. Und den kompletten Betrag gibt es nur bei acht Stunden Arbeit. Sonst wird abgezogen. Ein kleiner Teil des Lohnes aus der Haft wird auch automatisch für draußen zurückgelegt.

Doch das ist für viele noch lange hin. Wichtiger ist für die Küchenarbeiter, dass sie sich für das Geld im Gefängnis Getränke und Zigaretten bestellen können. Jimmy, der große, durchtrainierte 24-Jährige hat drei Jahre abzusitzen. Mithäftling Pascal* kennt er von draußen. „Er hat zu mir gesagt: Jimmy, wenn du mal in den Knast kommst, dann musst du in die Küche.“ Der dunkelblonde Pascal, dem in der oberen Kauleiste ein Zahn fehlt, war schon einmal in Raßnitz. Drei Jahre hat er diesmal bekommen. Die harten Jungs sind es nicht, die einen Job in der Küche ergattern.

„Die meisten sind wegen Diebstahl hier“, erklärt Pascal. Die Sicherheitsabteilung prüft vorher genau, ob ein Häftling für den Job infrage kommt. Gewaltbereite sollten schließlich nicht mit Messern umgehen. Die Küchencrew bildet eine Wohngruppe. Oft kochen sie abends gemeinsam Nudeln, wenn sie keine Lust auf das dritte Mal Brot am Tag haben, erzählen sie. „Wir haben hier nicht die Schwerverbrecher“, sagt auch Kerstin U.. Übergriffe auf Beamte habe es in der Küche noch nie gegeben. Die ein oder andere Schlägerei schon. „Selbstbewusstsein muss man hier haben“, sagt die kräftige Frau mit den kurzgeschorenen Haaren. Püppchen hätten es schwer. Warum ihre Mitarbeiter in Haft sind, wollen die Angestellten nicht wissen. Das sei besser für die Zusammenarbeit.

Akkordarbeit am Morgen

Gearbeitet wird ab morgens im Akkord. Zuerst gilt es, Wurst, Käse und Brot für das Frühstück, 150 Arbeiterfrühstücke und Abendbrot zu schneiden und auf Edelstahlplatten zu verteilen. Blick in die Gefängnisküche: Koch René B. füllt ein Essen für die Qualitätskontrolle ab, während die Häftlinge in weiß die Essenscontainer bestücken. Zwischendurch wird geputzt. Dreimal pro Woche wird neue Ware ausgegeben – vor allem Fertigkost. Heute stapeln Jimmy und Pascal riesige Eimer mit Eiersalat, Dosen mit Möhren, Kartons mit Margarine oder Tiefkühlfisch auf Edelstahl-Rollwägen. Diese schieben sie von den großen Kühlhäusern, die sich in einem sterilen Gang vor der Küche befinden, in den kleinen Kühlraum hinter der weißen Metalltür. Hier lagert, was in den nächsten zwei Tagen gebraucht wird. Putenlebergulasch und Fisch mit Kartoffelsalat soll es geben.

Dann muss aber erstmal das Mittagessen für den aktuellen Tag zubereitet werden. Am Ende des Raumes an der großen Edelstahlkochinsel mit den riesigen Bratplatten und den 150 und 260 Liter fassenden Kochtöpfen entstehen heute Frühlingsrollen mit Reis und China-Sauce. Das Kochen übernimmt der Küchenchef, die Häftlinge arbeiten zu. Dafür werden pro Küchenbereich ein großes und ein kleines Messer ausgegeben. Am Ende des Arbeitstages achtet der Koch nicht nur darauf, dass alles sauber ist, sondern vor allem darauf, dass alle Messer wieder da sind. In den Wohngruppen selbst gibt es nur stumpfe Buttermesser. Nach und nach wandern die tiefgefrorenen Frühlingsrollen in die Heißluftöfen. Auch der Reis wird darin zubereitet. 150 Gramm stehen einem Gefangenen zu.

Berücksichtigung von Vegetarianern und Moslems

In eckigen Edelstahlwannen – beschriftet mit der Nummer des Hafthauses – gart der Reis in den Öfen. Und in einem der großen 260-Liter-Töpfe blubbert die süß-saure Soße. Schon um 9.30 Uhr füllt einer der Häftlinge sie in große Edelstahlbehälter. Zusammen mit Reis und der richtigen Menge Frühlingsrollen wandern sie in graue Plastikschränke auf Rollen, auf denen die Nummer des Hafthauses mit Marker geschrieben steht. Darauf warten in blauen Pappkartons fertige Puddingbecher und Bananen für die Moslems und Vegetarier. „In dem Pudding ist Gelatine“, erklärt Koch René B. Extra gekocht wird für Vegetarier oder Moslems nie, nur einzelne Komponenten ausgetauscht.

Ist alles vorbereitet und sortiert, werden die Schränke auf die Metallboxen im Nebenraum verteilt, die wie Kellerabteile eines Mehrfamilienhauses wirken. Jede Vollzugsabteilung in den Hafthäusern hat eine Box. Je nach Essenszeit der Häuser holen dann Vollzugsbeamte zusammen mit Gefangenen, die als Hausarbeiter beschäftigt sind, das Essen ab. Gegen elf Uhr ist Feierabend für die Häftlinge. Außer für zwei der Küchenarbeiter, die heute noch die Wäsche sortieren müssen. „Meistens mache ich nach der Arbeit noch einen Mittagsschlaf in der Zelle“, sagt Pascal. Für Koch René B. geht es gegen 12.45 Uhr nach Hause. Ohne Mittagsschlaf, aber dafür in die Freiheit zu Frau und Sohn. Ausdrucken…

* Namen geändert

Mit freundlicher Genehmigung: DuMont Mediengruppe GmbH & Co. KG, Köln

 

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