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„Kopf kaputt“ – Kaffee und Cappuccino dazu

13. August 2021

Ein 16 jähriger Inhaftierter schlürft im Büro des Gefängnisseelsorgers im Jugendvollzug ein Tasse Cappuccino. Zuvor hat er mühevoll Löffel für Löffel das Pulver aus der Dose genommen. „Wie viel muss ich da rein machen?“, fragt er mich. Zu diesem Zeitpunkt ist seine Tasse schon halb voll. Rings um die Tasse auf dem Tisch verteilt sich verschüttetes Pulver des hochwertigen Schoko-Cappuccino. Geübt schiebt sich der junge Gefangene das Pulver vom Tisch in die Tasse. „Jetzt aber kommt das heiße Wasser drauf – Kopf kaputt“, fügt er spitzig hinzu und grinst.

„Kopf kaputt“ hört man des Öfteren in Gesprächen. Verurteilt, im Knast gelandet und jetzt bekommt man hinter den Mauern noch einen Haftschaden. „Draußen bin ich ganz anders als hier“, sagt der 16 jährige. „Bekomme hier einen Haftschaden“, sagt er. Bedienstete äußeren manches Mal, „die Jungs kämen nur wegen dem Kaffee“ zu den Gefängnispastoren. Doch diese Stimmen sind weniger geworden. Spürbar für alle Bediensteten und MitarbeiterInnen der Fachdienste ist, dass der Fachdienst „Seelsorge“ Druck und Aggressionen im System mildern kann. Es soll aber kein oberflächliches „Pflaster“ sein im Sinne von „jetzt trink mal schön Kaffee mit dem Pastor, dann ist alles gut…“ Dem ist nicht so. Nichts wird beschönigt oder klein gemacht. Kaffee, Cappuccino oder Tee sind nur „Aufhänger“, um in ein ergebnisoffenes Gespräch zu kommen.

Kopf kaputt…

Die Aussage „Kopf kaputt“ kann signalisieren, dass ein Erkenntnisweg beginnt oder es ist ein Hinweis, dass das Selbstmitleid überhand nimmt. An der Tasse kann man sich festhalten, wenn im Gespräch plötzlich in ganzen Sätzen ausgedrückt wird, was vorher nicht einmal gedacht war. „Haben Sie keinen Zucker?“ fragt der 16 jährige plötzlich, als er erzählt, wie es dazu kam, dass er in der JVA landete. „Nein“, sage ich, „leider nicht. Wir haben nur Süßstoff.“ Grund ist der, dass Würfelzucker in Unmengen verschlungen werden würde. Mit Cappuccino und viel Zucker lässt sich das Leben etwas versüßen. So schüttelt er die Süßstoffdose und klickt mehr als 10 Südstofftabletten in sein Heißgetränk. „Du weißt schon, dass eine Tablette einem Würfelzucker entspricht?“, sage ich schon fast entrüstet. Der Jugendliche nimmt dies nur am Rande zur Kenntnis und erzählt einfach weiter, während er in seinem Cappuccino rührt.

Beachtliche Mengen

Kaffee, Cappuccino, Tee und Süßstoff werden nicht von der JVA finanziert. Die Gefängnisseelsorge kauft die Lebensmittel über den gemeinnützigen Gefangenenseelsorgeverein ein. Die Schatzmeisterin, Anke Klein, hat errechnet, was die Seelsorger im Jahr für die Inhaftierten davon einkaufen. Sie kommt auf beachtliche Summen und Mengen. Jährlich belaufen sich die Kosten auf ca. 1400 Euro. In Zahlen ausgedrückt sind dies in etwa 128 Dosen Cappuccino, das sind  71 kg, 80 Pack Filterkaffee mit 40 kg und dazu 110 Behältnisse Kaffeeweißer mit je 250 g Inhalt. Eine Süßstoffspender mit 650 Stück Süßstofftabletten ist in einer Woche aufgebraucht. Manch einer der Inhaftierten meint gar, die Gefängnisseelsorger würden ehrenamtlich arbeiten. „Die trinken ja nur Kaffee und plaudern mit uns. So ein chilliger Job möchte ich auch haben…“ meint der junge Mann, der bereits ein Jahr im Jugendvollzug ist. Mein ernster Blick wahrnehmend fügt er aber schnell hinzu: „Na ja, Sie hören auch schlimme Sachen und müssen das alles aushalten“, sagt er und meint wohl seine eigene Geschichte.

Michael King | JVA Herford

 

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