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Knast-Guide: Mehr als ein Vollzugs-Reisetaschenbuch

12. Mai 2022

Ingo Lenßen ist ein Rechtsanwalt und übernimmt auf SAT 1 eine Rechtsberatungs-Sendung. Der Mann mit dem Schnauzer hat eine beeindruckende Vita hinter sich. Er und Robert Scheel, Partner in seiner Kanzlei am Bodensee, haben ein Ratgeber im Taschenbuchformat geschrieben: „Der Knast-Guide für Verurteilte, Angehörige und Interessierte“ heißt der Titel. Das hört sich an wie ein Reiseführer durch den Knast. Tatsächlich bietet das Taschenbuch viele Hintergrundinformationen nicht nur für Betroffene.

Einblick in den „Spiegel“ einer nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalt.

Das Buch klärt über die Rechte der Gefangenen auf, beschreibt den Haftalltag, schildert, wie es um die Zellenausstattung, Kleidung, Essen, Besuche, Telekommunikation, Arbeit und Geld steht und zeigt, bei welchen Dingen man einen Rechtsanwalt hinzuziehen sollte. Das ist natürlich das Metier der Verfasser. Die Problematiken im Strafvollzug werden klar benannt. Die Kenner des Knastalltages scheuen sich nicht davor zurück, die Knastsprache und deren Bedeutung zu erklären. Vielleicht geschieht dies, weil die Autoren beweisen wollen, wie nah sie am Ohr der inhaftierten Mandanten sind. Klar, es sind oft generelle Aussagen zum Alltag in der JVA, die konkrete Ausgestaltung hängt im föderalen Deutschland stark vom Ort der Strafvollstreckung ab und erstaunlich oft auch von der jeweiligen Anstalt sowie der Strafvollstreckungskammer.

Gelungener Einblick

Noch nie habe ich als Gefängnisseelsorger jemand den Staatsanwalt „Oberverdachtsschöpfer“ oder gar „Musiklehrer“ nennen hören. In den östlichen Bundesländern gibt es eine andere Ausdrucksweise als im „Westen“ Deutschlands. Leider werden die Bediensteten (nicht nur im Knastjargon) „Gefängniswärter“ genannt. Das kommt den Aufgaben der Bediensteten nicht zugute und erinnert an die KZ Wärter im sogenannten „Dritten Reich“. Insgesamt liefert das Taschenbuch eine gute und ungeschminkte Zusammenfassung von dem, was hinter den Mauern abläuft. Von der Ausbildung angefangen, über Menschen aus fremden Kulturkreisen, Subkulturen bis hin zur Wiedereingliederung Entlassener ist der Knast-Guide sehr umfangreich. Die Gesetzestexte und rechtliche Einordnung werden dazu geliefert. „Unangenehme Fragen“ nach der Homosexualität, Transsexualität und Sexualstraftäter werden in eigenen Kapiteln beleuchtet. Der Gefängnisseelsorge und „Religion hinter Gittern“ widmen sich die Autoren über mehrere Seiten.

Gefängnisseelsorge

Der „Käfigheilige“ oder Himmelskomiker der beiden christlichen Kirchen sind in jeder Justizvollzugsanstalt als Fachdienst etabliert. Die Gefängnisseelsorge geniest einen guten Ruf. Seit Jahrzehnten finanziert die Bundesrepublik christliche Hauptamt-Seelsorger in allen JVA des Landes. „Diese rund um die Uhr erreichbaren Geistlichen können sich um sämtliche Probleme der inhaftierten Gläubigen kümmern. Für Muslime, deren Anteil in deutschen Gefängnissen mittlerweile etwa 20 Prozent ausmacht (im Jugendstrafvollzug sogar über 50 Prozent), besteht keine gleichwertige Unterstützung. […] Allerdings kann die Religion nicht nur die Weichen für eine straffreie Zukunft des Gefangenen stellen. Schreckliche Ereignisse in den letzten Jahren haben leider wieder gezeigt, dass Gefängnisse auch zur Brutstätte für Radikalisierungen werden können. So hatte sich zum Beispiel einer der Attentäter auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris im Gefängnis durch einen Rekrutierer von al-Qaida radikalisieren lassen“, so die Autoren.

Fazit

Im Schlusskapitel resümieren die beiden Rechtsanwälte, dass die Priorisierung des Resozialisierungsgedankens auf einen guten Weg sei. „Gefangene sollten die JVA nicht frustriert(er) verlassen, sondern bereits von Haftbeginn angezielt motiviert und gefördert werden“, sagen die Verfasser. Recht haben sie, das wird seit Jahren gefordert. Und doch gibt es immer wieder Rückschritte. Das System „Knast“ mit all den Reglementierungen und Gegebenheiten kann man nicht reformieren. Daher die Forderung im Guide: “ In der Zukunft könnte sich daher eine ´Generalüberholung` des Strafrechtssystems als Lösung erweisen.“ Der Ladendieb und der Schwarzfahrer müssen nicht unbedingt ins Gefängnis, in dem sie noch mehr kriminalisiert werden können. In diesem Sinne ist das Taschenbuch, Ratgeber für Verurteilte, Angehörige und ein interessanter Reiseführer in die oft verborgene Welt des Knastes.

Michael King | JVA Herford

 

 

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