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Knast-Bienen zeigen den Häftlingen Geduld

17. Juni 2019

In Nordrhein-Westfalen sollen rund drei Millionen „Knast-Bienen“ helfen, aus Kriminellen verantwortungsbewusstere Menschen zu machen. Das Imker-Projekt soll über das Land hinaus bekannt werden. Konzentriert sitzt Mohamed mit Mundschutz und weißen Handschuhen vor dem großen Edelstahl-Behälter und verschraubt sorgfältig ein Glas mit bernsteinfarbenem Honig. Wegen Körperverletzung sitzt der 24-jährige Deutsche mit marokkanischen Wurzeln seit Mai 2018 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Remscheid im Bergischen Land ein.

Dort nimmt der schüchtern wirkende Hagener teil an einem Imker-Programm, mit dem die Anstalt neue Wege beschreiten will: Gefangene sinnvoll und mit therapeutischem Effekt zu beschäftigen und dabei auch noch etwas für den Umweltschutz zu tun – in Zusammenarbeit mit über drei Millionen „Knast-Bienen“. Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) wirbt dafür, „dass dieses Beispiel über die Landesgrenzen hinaus Schule macht“. Vereinzelt gibt es Imkereien zwar auch in anderen Gefängnissen in Deutschland, aber NRW verfolgt einen besonderen Ansatz: Hier beteiligen sich bereits mehrere Anstalten in Arbeitsteilung an dem Projekt und es gibt eine Kooperation mit Hofläden und Bauern, die Häftlingen im offenen Vollzug erlauben, an den Bienenhäusern in ihren Obsthainen zu arbeiten.

So konnte das nicht weitergehen

Mohamed ist überzeugt, dass die mit der Imkerei verbundenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten ihn disziplinieren. „Ich war ungeduldig“, erzählt er. Inzwischen sei er froh, hier gelandet zu sein. „Das hat mir die Augen geöffnet. Das war falsch, was ich gemacht habe. So konnte das nicht weitergehen.“ Die fürsorgliche Arbeit mit „Biene Maja“ und ihren bedrohten Artgenossinnen ist ein ungewöhnliches Programm in einem reinen Männer-Gefängnis, in dem sich harte Jungs sonst eher über Muskeln und Macho-Gehabe hervortun. Initiator der Honigproduktionsstraße hinter dem über 100 Jahre alten Gemäuer aus der Kaiserzeit ist der Chef der JVA-Arbeitsverwaltung Jürgen Krämer.

Auf den Gängen mit den original erhaltenen eisenbeschlagenen Holztüren mit den großen viereckigen Schlössern erfüllen sich alle Knast-Klischees, die Außenstehende so im Kopf haben. So sah das im Bilderbuch bei „Räuber Hotzenplotz“ aus. Nur, dass es in dieser JVA nach Honig und nach Bienenwachs duftet. 40 Jahre Knast hat Krämer als Justizvollzugsbeamter auf dem Buckel. Seitdem hat der große, kräftige Ex-Soldat viele Resozialisierungsmoden miterlebt. Seit langem habe er gegrübelt, wie man die Gefangenen sinnvoller auf das Leben nach der Haft vorbereiten könnte, erzählt der 62-Jährige während er mit seinen überdimensionalen Schlüsseln Gitter hinter Gitter aufschließt. „Die Beschäftigung draußen hat sich geändert.“ Schreiner und Schlosser aus dem Knast seien dort kaum unterzubringen. Beim Spaziergang seien ihm dann vor einigen Jahren die vielen Bio-Läden und Naturprodukte aufgefallen. „Dann habe ich überlegt: Wie können wir auf den Markt kommen? Am Anfang haben mich alle für bekloppt gehalten.“

Ein Honig namens „Knastgold“

Doch Krämer ging mit seinem Imkerprogramm im Frühjahr 2016 nach einem Lehrgang an den Start und schaffte die ersten Bienen an.  Inzwischen haben sich auch Anstalten in Castrop-Rauxel, Gelsenkirchen und Schwerte angeschlossen. Zusammen arbeiten sie derzeit mit 68 Bienenvölkern und einer Jahrespopulation zwischen drei und vier Millionen Tieren. Damit kann rund eine Tonne Honig produziert werden. Gelsenkirchen verkauft seinen handgeschleuderten Honig als „Knastgold“. Die Remscheider vermarkten lieber über den Imkerverband und vier regionale Bauern-Läden. Die Anstalten teilen sich die Arbeit: Bienenhäuser schreinern, Wachsplatten fertigen, die Bienen pflegen, Honig ernten, schleudern und alle Materialien regelmäßig penibel reinigen. Ein eigenes Bienen-Projekt betreibt zudem die JVA Bielefeld-Senne.

Mohamed aus Syrien baut dekorative Honig-Präsent-Kästchen aus Restholz und alten Paletten. „Die Arbeit gefällt mir sehr“, erzählt der 48-Jährige, der wegen eines Gewaltdelikts an seiner Ex-Frau seit August 2018 in der JVA Remscheid sitzt. „Auf Arabisch sagt man: Lasse das Holz reden“, beschreibt er die Faszination des Materials. „Früher war ich aggressiver mit der Familie. Das ist vorbei mit den Bienen. Man braucht seeeehr viel Geduld.“ Krämer grinst. „Wer mit Bienen arbeitet, muss sich an Regeln halten, sonst folgt die Bestrafung sofort: ein Fehler, ein Stich und dann tut es weh.“ Der syrische Gefangene erinnert die Arbeit mit dem süßen Honig genauso wie Mohamed mit den marokkanischen Wurzeln an köstliche Rezepte aus der Heimat ihrer Familien. Ihre Augen leuchten als sie zu schwärmen beginnen: „Honigwaben zum Tee, Honig mit Mandeln, Nüssen oder Pistazien, Honig-Gebäck mit Sesam in Öl frittiert.“ Krämer ist absolut überzeugt von der Wirkung des Projekts. „Das ist ein Integrationsprogramm für jeden: für Flüchtlinge, für Häftlinge aus der Türkei, Nordafrika, Russland oder dem Nahen und Fernen Osten, die oft kaum Deutsch sprechen, ebenso wie für viele andere, die nur diese eine Chance haben. Das sind die, die sonst in allen Knästen Theater machen und nur auf Zelle hängen.“

Fleißige Bienen zur Entschleunigung

Raus aus der Zelle auf die Felder mit den blühenden Obstbäumen und den hölzernen Bienenhäusern kommen aber nur Gefangene aus dem offenen Vollzug. Der Bergische Bauernhof Conrads in Leichlingen hat der JVA Remscheid erlaubt, die sogenannten Bienenbeuten am Rand ihrer Obstbaumfelder aufzustellen und die Gefangenen dort arbeiten zu lassen. Darüber hinaus werden im anstaltseigenen Bienengarten einige Völker gepflegt und betreut. Gestreift sind hier nur die gelb-schwarzen Bienen. Häftlinge und Anstaltspersonal tragen bei der Arbeit auf den Feldern die gleiche beige Kluft. Tausende Bienen fliegen in der Sonne von Obstblüte zu Obstblüte und bringen die Pollen emsig in ihre Behausungen. Sebastian Laubach entzündet erstmal den Smoker. „Gepresste Kerne wilder Oliven im Smoker sollen eine beruhigende Wirkung haben“, erklärt der Justizvollzugsbeamte. Hoffentlich. Der Tischler – einer von 28 Handwerksmeistern in der JVA Remscheid – arbeitet mit Krämer federführend im Imker-Programm.

Vorsichtig lüftet der 33-jährige Sauerländer den ersten Deckel, zieht einen Waben-Rahmen heraus und blickt kritisch auf die trägen Bienen. „Das Volk ist dem Untergang geweiht“, stellt er fachkundig fest. „Die Königin ist ’ne Omma.“ Schwups, wird die dicke alte Biene aussortiert und ins Gras geschnippt. Zumeist erledigen die Arbeitsbienen die Selektion schon selbst. „Die alte Königin wird weggemobbt.“ Beim nächsten Kasten ist alles, wie es sein soll. „Die bauen Waben wie bekloppt“, stellt Laubach zufrieden fest. „Das spricht für eine aktive Königin.“ Die Tiere sind so erfüllt vom Reichtum ihrer Ausbeute, dass sie es ganz entspannt zulassen, wenn ein Finger ihre perfekte Waben-Architektur zerstört und ein bisschen von dem köstlichen, nach Apfelblüten schmeckenden Honig stibitzt. „Mit Bienen ist man in der Natur. Man entschleunigt und bekommt ein anderes Bild von der Welt“, stellt Krämer fest, während er über die ländliche Idylle blickt. „Viele kennen das so nicht. In die JVA kommen Menschen mit vielen Defiziten. Sie sind es gewohnt, sich Selbstbestätigung durch Aggression zu holen. Hier nicht.“ Aggressive Häftlinge kommen gar nicht erst in das begehrte Bienen-Projekt. „Es gibt Nicht-Therapierbare. Die werden weggesperrt.“

Landesweites Knastbienen-Netz

Krämer hofft, dass viele Häftlinge aus dem Bienen-Programm sich später in der Freiheit Imker-Vereinen anschließen. Anders als bei der meist frustrierenden Jobsuche frage hier niemand, was sie in den vergangenen Jahren getan hätten, meint der Solinger. Hier könnten sie fortführen, was sie in der Anstalt gelernt haben. „Es gibt noch was Anderes als Saufen und in der Kneipe ‚rumhängen. Das heißt nicht, dass das allein schon Straftaten verhindert.“ Krämers Ziel: „Ein landesweites Knastbienen-Netz mit 2000 Völkern. Wir könnten Hunderte Gefangene beschäftigen. Leider fehlt das Personal.“

Kriminaltechnologische Forschungen, die Bienen im Strafvollzug wegen ihres hervorragenden Geruchssinns künftig in einer ganz anderen Rolle sehen, nämlich als „Drogenfahnder“, sieht der erfahrene Hobby-Imker kritisch. „Die Sommer-Biene lebt nur wenige Wochen. Gerade hat man sie konditioniert, schon stirbt sie.“ Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sieht aus Tierschutzgründen keine Grundlage, die Konditionierung von Bienen mit Stromschlägen und Zuckerlösung – wie im wissenschaftlichen Laborversuch bereits getestet – zu erlauben. Die nordrhein-westfälischen Ministerien für Inneres und Justiz in Düsseldorf versichert zudem einmütig: „Das ist für uns kein Thema.“

Rheinische Post Online

 

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