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Eine ehrenamtliche Arbeit mit „Knackis“

13. Juni 2019

Für die ehrenamtliche Mitarbeit im Katholischen Gefängnisverein Düsseldorf habe ich mich nach 35 Jahren Tätigkeit in der öffentlichen Verwaltung entschieden: Inhaftierte begleiten – das sollte meine Aufgabe in der Zukunft als Pensionär sein. Bis auf den heutigen Tag sind 15 Jahre daraus geworden, zuerst auf der Ulmer Höh‘ in Derendorf, dann im neuen Knast an der Oberhausener Straße. Inzwischen habe ich auch gelernt dass die Bezeichnungen „Knast“ und „Knacki“ nicht unbedingt Diskriminierungen sind, sondern sich als umgangssprachlich hoffähig erwiesen haben.

Bevor ich loslegen durfte hatte ich mit zehn weiteren an der Knastarbeit Interessierten eine intensive Ausbildung zu durchlaufen. Theoretische Impulse und manch praktisches Beispiel ließen meine Motivation für den persönlichen Umgang mit den Gefangenen wachsen. Besonders aber überzeugten mich die Persönlichkeiten des Gefängnisvereins, die uns „Neue“ mit großem Engagement, Einfühlungsvermögen und Sachverstand an die zukünftige Aufgabe heranführten. Der erste Knacki, den ich begleiten durfte, wurde wegen Mord angeklagt – wie sich allerdings im späteren Gerichtsverfahren herausstellte, handelte es sich um Totschlag. „Ich habe das Liebste, was ich hatte, vernichtet. Aber sie hat doch gesagt, dass sie mich verlassen würde. Wir waren beide betrunken.“ Er wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Anfangs besuchte ich ihn wöchentlich, später zweimal im Monat und insgesamt begleitete ich ihn während zehn Jahren und folgte ihm in fünf Knästen in Nordrhein-Westfalen. Jetzt ist er wieder in Freiheit und hat mit Unterstützung einer christlichen Gemeinde eine Wohnung und einen Arbeitsplatz gefunden.

Klarkommen mit Rückschlägen

Worüber habe ich mit ihm gesprochen? Meistens habe ich zugehört und er hat gesprochen. Über die Höhen und Tiefen seines Lebens, über seine Eltern und Geschwister, über das Leben auf der Straße in einer Großstadt. Ich lernte dabei Facetten unserer Gesellschaft kennen, die mir bisher fremd waren. Meine Fragen und Kommentare regten ihn an zu sprechen und weiter zu sprechen. „Wenn ich euch als Zuhörer und Gesprächspartner nicht gehabt hätte, wäre ich eingegangen, hätte ich mit meiner Schuld nicht umgehen können – ich hätte nicht auf eine einigermaßen normale Zukunft außerhalb des eines Knasts zu hoffen gewagt.“

Das Zusammensein mit „meinem“ Gefangenen erfüllte mich und gab mir nach jedem Besuch das Gefühl, meine Zeit sinnvoll verbracht zu haben. Und dann war da der Knacki, dessen Lebensinhalt im Betrügen zu bestehen schien – auch mich hat er betrogen. Obwohl unsere Ausbilder davor gewarnt hatten, von uns Betreuten Geld zu leihen, tat ich es doch. Er war zwischenzeitlich aus der Haft entlassen und konnte sich frei in der Gesellschaft bewegen. Wir trafen uns in einem Eiscafé. Mit großer Dringlichkeit trug er mir vor, dass er einen bestimmten Geldbetrag benötige, um eine Arbeitsstelle antreten zu können. Der neue Arbeitgeber wollte zuerst die Monatsfahrkarte sehen, bevor er ihn einstellen könnte. Von seinem ersten Lohn würde er den „geliehenen“ Betrag an mich zurückzahlen. Dann hörte ich zwei Jahre lang nichts mehr von meinem Knacki.

Erneute Chance

Schließlich erhielt ich einen Brief von meinem „Freund“ aus dem Knast – er musste erneut eine weitere Strafe absitzen. Ob ich ihn wieder besuchen könnte, war seine dringende Frage und Bitte. Selbstverständlich würde ich das tun. Und schon bald saßen wir uns wieder in einem der Besprechungszimmer im Gefängnis gegenüber. Entschuldigungen, Bitte um Verzeihung und Nachsicht, Möglichkeit eines Neuanfangs waren seine nachdrücklichen Äußerungen. Ich zeigte Verständnis und die Bereitschaft dafür. Und dann brach es aus ihm heraus! Er erzählte ausgiebig von den Gründen für seine stets wiederkehrenden Unehrlichkeiten: Spielsucht und Drogenkonsum trieben ihn immer wieder in Betrügereien und andere kriminelle Handlungen. Ich merkte, wie er sich durch diese Reflektionen mental von seinem betrügerischen Handeln entfernte. Nach Verbüßung seiner Strafe und der Entlassung aus dem Knast habe ich nicht mehr viel von ihm gehört. Jetzt lebt er in einer süddeutschen Stadt gemeinsam in einem Haus mit der Familie seiner Schwester. Eine Arbeitsstelle hat er inzwischen auch gefunden.

Nicht immer gibt es eine Rettung

Ein besonders trauriger „Fall“ in der Reihe der von mir begleiteten Inhaftierten war ein HIV-infizierter Mann. Sein baldiger Tod zeichnete sich ab. Dennoch, er war von großem Optimismus und großer Zuversicht bestimmt. Nach seiner Entlassung aus dem Knast begleitete ich ihn weiter. Gemeinsam gelang es uns, für ihn ein Zimmer in einem Heim für Alleinstehende zu finden. Da er auch drogenabhängig war, befand er sich im Methadonprogramm. Weil der behandelnde Arzt keine Geduld mehr mit ihm hatte – er verfiel immer wieder dem Drogen- und Alkoholkonsum – wollte er ihn nicht weiter mit Methadon versorgen. Gemeinsam gelang es ihm und mir den Arzt umzustimmen.

Doch schon bald musste der Mann wieder auf der Straße leben; er musste das Wohnheim verlassen, weil er trotz strengen Alkoholverbots betrunken aufgefunden wurde. Nach einem Krankenhausaufenthalt und einer schwachen Genesung wurde er in einem Wohnheim für Obdachlose in einer Kleinstadt im Bergischen Land untergebracht. Trotz guter medizinischer Betreuung wurde sein gesundheitlicher Zustand immer schlechter. Bei unseren gemeinsamen Spaziergängen war er kaum noch in der Lage, mehr als zehn Meter am Stück zu gehen. Eines Tages, als ich ihn wieder besuchen wollte, teilte man mir mit, er sei inzwischen verstorben.

Selten habe ich so viel Offenheit erlebt

Drei Beispiele von Inhaftierten, die ich neben zahlreichen weiteren begleiten durfte. Sie haben mich tief beeindruckt. Immer wieder frage ich mich, weshalb Menschen in solch widrige Lebensumstände geraten, wie ich sie durch sie kennengelernt habe. Keiner der von mir Begleiteten hat die eigene Mitschuld in seinen kriminellen Lebensphasen geleugnet. „Ich weiß ja, weshalb ich hier im Knast sitze“, war eine immer wieder ausgesprochene Feststellung, die ich zu hören bekam. Die Gespräche, die ich mit ihnen führte, waren sehr intensiv, persönlich, dicht. Selten habe ich so viel Offenheit und Vertrauen in der Begegnung mit Menschen erfahren, wie bei der Begleitung „meiner“ Inhaftierten. Ich habe gespürt, wie wichtig meinen Gesprächspartnern unsere Begegnungen waren. Immer wieder erhielt ich Rückmeldungen und Zeichen von Dankbarkeit und Anerkennung.

Norbert Franken | Ulmer Echo, JVA Düsseldorf

 

1 Rückmeldung

  1. Petra Knapp sagt:

    Es hat mich sehr berührt, wie Sie Ihren Alltag mit den inhaftierten Menschen beschreiben. Es ist so leicht, einen Menschen ins Gefängnis zu stecken, bzw. ihn dorthin zu wünschen. Natürlich sollten Straftaten geahndet werden.

    Doch mal davon abgesehen, dass Strafanstalten sicher noch keinen Straftäter gebessert haben. Es bedarf so sehr einer grossen Reformation dieser Art von Verwahrung.

    Doch sollte man niemals vergessen, dass jede Straftäterin, jeder Straftäter unsere Schwester/Bruder sind, und dass immer bestimmte Ursachen zu diesen Straftaten geführt haben. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein…

    Wir sind alle Straftäter, wenn auch nicht immer von weltlichen Gerichten verurteilt. Wer denkt stets reine Gedanken, gerät niemals in Zorn? Lästert und urteilt niemals über einen anderen Menschen? Wer ist stets frei von Neid, Missgunst, Bosheit? Um nur wenige Beispiele zu nennen?

    Lange Rede, kurzer Sinn: Ich finde es sehr beispielhaft, dass Sie dem jungen Mann immer wieder eine Chance gegeben haben. Es hat mich an Jesus erinnert. Ich glaube, dass Er genauso gehandelt hätte, weil Er weiss, dass wir aus unsrer menschlichen Natur schwach sind und uns nur mithilfe Jesu aus der Gefangenschaft der Sünde befreien können.

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