Studientagung: Diversität im Justizvollzug
Montag, 7. Oktober 2024 - Freitag, 11. Oktober 2024
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Zur jährlichen Studientagung treffen sich GefängnisseelsorgerInnen bundesweit für Gespräche, Weiterbildung und politischer sowie kirchlicher Positionierung an wechselnden Orten. Jeder in der Gefängnisseelsorge Tätige kann an der Tagung teilnehmen. Die Kosten hierfür übernimmt das jeweilige Land oder das Bistum vor Ort. Im Rahmen der Studientagung wird die Mitgliederversammlung der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland e.V. durchgeführt.
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.„Diversität im Justizvollzug“, so lautet das Thema der Studientagung im Bonifatiushaus in Fulda 2024. Bunt geht es in den Gefängnissen eher nicht zu. Justizvollzug kennt ausschließlich das binäre System. Mann und Frau. „Trans“ ist ein Schimpfwort und kommt wenig vor. GefängnisseelsorgerInnen* arbeiten an einem homophoben, queerfeindlichen und angeblich asexuellen Ort hinter den Mauern. Wie ist das, wenn Menschen, die sich in ihrer (Geschlechts)Identität anders verstehen, inhaftiert werden? Wie ist es, im Gefängnis seine Sexualität zu leben? Wie die Kirchen ethisch und „moralisch“ zum „Anders-sein“ stehen, ist oft widersprüchlich.
Weil Sexualität individuell abgespalten werden muss und die Thematik Sexualität im Vollzug offiziell ausgeblendet wird, finden alle Formen gelebter sozialer Sexualität mehr oder weniger verdeckt statt. Ganz zu schweigen von der geschlechtlichen Identität, die nach wie vor weder bei Bediensteten noch bei Gefangenen thematisiert wird. Durch eine Verobjektivierung des weiblichen und des männlichen Körpers in Form von Postern an den Zellenwänden, Pornografie und einer starken Präsenz sexualitätsbezogener Gesprächsinhalte drückt sich der entfremdete Umgang mit den eigenen sexuellen Bedürfnissen aus. Das Dilemma besteht in der Allgegenwärtigkeit von Sexualität im Gefängnisalltag und der stark eingeschränkten Befriedigung und Zurückhaltung seiner Identität und letztlich erzwungenen Milieuanpassung. Daraus erwachsen Spannungen, Frustrationen, Aggressionen und sexualisierte Gewaltfantasien sowie Witze über das Anders-Sein.
ReferentInnen*
3 Vorträge (Stand: 11. März 2024)
Dienstag, 8. Oktober 2024 vormittags
Prof. Dr. Thomas Hieke | Diversität in der Bibel, Katholisch-Theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prof.´in Dr.´in Ulrike Auga | Professur für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaften, Universität Hamburg, Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG)
Mittwoch, 9. Oktober 2024 nachmittags
Prof.‘ in Dr.‘ in Anke Neuber | Transgender in Haft, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Braunschweig/Wolfenbüttel
4 Workshops
Mara Klein | Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in DFG-Projekt: Prekäre Anerkennung: Das „dritte Geschlecht“ in sozialethischer Perspektive
Prof.´in Dr´in Ulrike Auga | Abschied vom körperlichen Geschlecht. Theologische Anthropologie und Ethik im Kontext von nichtbinären und diversen „Identitäten“ und Beziehungen
Prof. Dr. Ansgar Wucherpennig SJ, St. Georgen Frankfurt | Biblische Perspektiven auf Diversität
Julia Seidel | Diplom Sozialpädagogin, Systemische Beraterin. Queere Familienberatung der Caritas in Hamburg
Inhaltliche Vorbereitung
Trans-Menschen in Haft
Der deutsche Strafvollzug basiert auf dem sogenannten Trennungsprinzip und dabei auf einer binär-biologischen Aufteilung von Männern und Frauen, die in getrennten Abteilungen oder Anstalten untergebracht werden. Eine der Geschlechtsidentität entsprechende Unterbringungsform wird bisher – soweit ersichtlich – nur in Ausnahmefällen praktiziert. Entsprechend bewegt sich die Unterbringung von trans Personen im Strafvollzug in einem Spannungsfeld zwischen dem aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleiteten Recht auf geschlechtliche Identität einerseits und den nicht bewiesenen, aber teils vermuteten Gefahren für Mitgefangene andererseits.
Zur Menschenwürde und zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehört das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung. Das Bundeskabinett hat im August 2023 ein Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Es soll das nicht mehr zeitgemäße Transsexuellengesetz ablösen. „Mit dem Selbstbestimmungsgesetz verwirklichen wir das Recht jedes Menschen, in seiner Geschlechtsidentität geachtet und respektvoll behandelt zu werden“, sagt Bundesfamilienministerin Lisa Paus anlässlich des Kabinettbeschlusses. Bundesjustizminister Marco Buschmann erklärt dazu: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist Ausdruck einer Politik, für die die Grundrechte an erster Stelle stehen. Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet.“
Mit dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag soll es insbesondere trans- und intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtert werden, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen beim Standesamt ändern zu lassen. Die Änderung soll in Zukunft durch eine Erklärung gegenüber dem Standesamt vorgenommen werden können. Eine gerichtliche Entscheidung über die Antragstellung – wie nach dem bisher geltenden Transsexuellengesetz – soll nicht mehr erforderlich sein. Das hat Auswirkungen auf den Justizvollzug.