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Juristische Zeitgeschichte: Justiz und Homosexualität

24. Mai 2021

Durch die Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ des Landes Nordrhein-Westfalen ist der Tagungsband „Justiz und Homosexualität“ erschienen. Darin werden wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse eines Symposiums im Jahr 2017 festgehalten und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. Durch § 175 StGB waren vom Jahr 1872 bis zum 11. Juni 1994 homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe gestellt. Die Nationalsozialisten verschärften durch Gesetz vom 1.9.1935 die Reichweite der Straftatbestände und die Strafandrohungen erheblich.

Ca. 140.000 Verurteilungen erfolgten nach den verschiedenen Fassungen des § 175 StGB. Unzählige Männer wurden im 20. Jahrhundert auf der Grundlage des § 175 StGB strafrechtlich verfolgt. Während der NS-Zeit kamen sie vor Gericht, in Justizgefängnisse, Zuchthäuser oder wurden direkt in Konzentrationslager deportiert und bezahlten den Hass oder das verquere Pflichtbewusstsein ihrer Verfolger nicht selten mit dem Leben. Es geht aber nicht nur um die NS-Zeit, wenn über homophobe Verfolgung durch den Staat und seine Organe gesprochen wird. Auch in der frühen Bundesrepublik erreichte die Verfolgung homosexueller Männer ein ungeheures Ausmaß: Zwischen 1949 und 1969 wurden in der bundesrepublikanischen Demokratie etwa genauso viele Männer verurteilt wie während der NS-Diktatur – rund 50.000 Personen, nach unverändert beibehaltenem NS-Strafrecht von 1935.

Strafbar geblieben bis 1994

Erst zwischen 1969 und 1973 wurde das Homosexuellen-Strafrecht auf eine reformierte Grundlage gestellt, erst 1994 vollständig beseitigt. Auch in der DDR waren männliche homosexuelle Handlungen nach 1945/49 strafbar geblieben, wenngleich das verschärfte NS-Strafrecht dort nur teilweise übernommen worden war; sowohl eine mildernde Strafrechtsreform als auch die völlige Streichung eines diskriminierenden Homosexuellen-Strafrechts (das in den letzten zwei Jahrzehnten in der DDR auch für Frauen galt) waren in der SED-Diktatur stets etwas früher erfolgt als in der bundesrepublikanischen Demokratie – 1968 und 1988/89. Erst im Jahr 2017 beschloss die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der neben der Aufhebung der aufgrund von § 175 StGB ergangenen Urteile in der Bundesrepublik und in der DDR, sofern sie nicht infolge auch heute noch mit Strafandrohung versehener Handlungen ergangen waren, auch eine Entschädigung noch lebender Verurteilter vorsieht.

Aufarbeitung

Die zeitgeschichtliche Aufarbeitung dieses Verfolgungsgeschehens ist erst in den letzten Jahren auf Landesebene in Gang gekommen. Neben dem Grußwort von Minister der Justiz Peter Biesenbach, erläutert Professor Dr. Schwarz vom Institut für Zeitgeschichte München – Berlin einige Daten zur Justiz und Homosexualität im 20. Jahrhundert. Am 22. Juli 2017 ist das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (kurz StrRehaHomG) und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes in Kraft getreten. Das strafrechtliche Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen und die daraus resultierende Strafverfolgung sind nach heutigem Verständnis in besonderem Maße grundrechts- und menschenrechtswidrig. Ziel des Gesetzes ist es, den Betroffenen den Strafmakel zu nehmen, mit dem sie bisher wegen einer solchen Verurteilung leben mussten. Die Rehabilitierung besteht aus der Aufhebung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen ergangenen Urteile und der Entschädigung der Betroffenen.

Herausgeber

Juristische Zeitgeschichte Nordrhein-Westfalen
Ministerium der Justiz des Landes NRW
in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Michael Schwartz
Justiz und Homosexualität
Geldern 2020, 245 Seiten
ISSN: 1615-5718

Die Veröffentlichung des Ministeriums der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen sind über die Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ in der Justizakademie des Landes NRW. buchbestellung@jak.nrw.de zu beziehen. Bei Versand wird eine Postpauschale in Höhe der anfallenden Versandkosten erhoben. Die Publikationen der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“ können zum Stückpreis von 3,– Euro auch in digitaler Form erworben werden.

 

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