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Es ist fast wie ein Zimmer in einem Wohnheim

28. März 2019

Manchmal hilft Gustav’s * Sarkasmus. „Ich bin so wertvoll, dass ich nachts im Tresor schlafe“, sagt er. Gustav grinst kurz verschmitzt und guckt dann auf den Boden. Er sitzt im Knast. Für versuchten Totschlag ist er für 6 Jahre und 3 Monate in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Herford im Jugendvollzug auf der Sozialtherapeutischen Abteilung (SoThA) untergebracht.

Aus einem Lautsprecher schallt ein „Guten Morgen“ in die Zelle von Gustav. Per Durchsage werden er und alle anderen Häftlinge geweckt. In Herford sitzen über 300 jugendliche Straftäter. Alle männlich. Gustav steht gegen 6 Uhr auf und sieht aus dem Fenster. An Gitterstangen vorbei blickt er auf den Fußballplatz des Gefängnisses. Gustav fährt sich mit den Händen durchs Gesicht, dreht sich um und geht in das winzige Bad seiner Zelle. WC und Waschbecken, ein Stahlbett, Holzschreibtisch mit Stuhl und Fernseher passen in die elf Quadratmeter große Zelle. Fast wie ein Zimmer im Studentenwohnheim.

Ich bin so wertvoll, dass ich nachts wie in einem Tresor schlafen muss.

„Der heutige Tagesablauf ist wie folgt“, geht die Durchsage des Bediensteten der JVA weiter. „Zur Kostausgabe die Hausarbeiter bitte bereitstellen. Die Freistunde ist wie gewohnt für die Unbeschäftigten und die U-Haft um 10 Uhr und für die Arbeiter und Schüler um 16 Uhr. Bereit machen zum Arbeitsaufschluss.“  Drei Schlösser sichern die Tür von Gustavs Zelle. Mit einem zehn Zentimeter langen Generalschlüssel schließt ein Beamter die Tür auf. Ohne zu klopfen. Gustav wird zur Arbeit abgeholt, er ist der Hausarbeiter auf seiner Abteilung, der auch die Mahlzeiten verteilt.

Allein essen im Einzelhaftraum

Fünf Scheiben Brot, Aufschnitt oder Marmelade, eine Portion Butter und lauwarmen Tee verteilt Gustav an die „Bewohner“ auf seinem Flur. Jeder Inhaftierte in Herford isst in seinem Einzelhaftraum. Es gibt nur wenige Doppelhafträume für zwei Leute, die sich irgendwie verstehen müssen. Gegen 7 Uhr werden die übrigen Jugendlichen von den Bediensteten zur Arbeit abgeholt. Bäckerei, Schlosserei, Tischlerei – in der JVA Herford können die Häftlinge in vielen Bereichen eine Ausbildung machen und arbeiten. Michael, ein Mithäftling von Gustav, arbeitet in der Küche. Er hat einen Menschen umgebracht und wurde deshalb auf 6 Jahre und 9 Monate verurteilt. „Die Arbeit macht mir Spaß, da bin ich unter Menschen“, sagt Michael. Michael ist mittlerweile 22 Jahre alt und hat fast die gesamte Strafe abgesessen. Er ist quasi im Knast erwachsen geworden. Größtenteils allein und ohne echte Freunde, wie er erzählt. „Freundschaften sind hier die Ausnahme, weil alle nur an ihren Arsch denken“, antwortet Michael mit einem Schmunzeln. „Wenn es drauf ankommt, steht jeder allein da. Denn alle wollen nur das Beste – und das ist der Tabak.“ Michael und Gustav lachen kurz auf. Beide zucken mit den Schultern.

Eigene Sprache und eigene Währung

„Tabak ist hier die Währung“, sagt Gefängnisseelsorger Michael King bestätigend. Denn in der JVA Herford ist Bargeld genauso streng verboten wie Handys oder Computer. King erzählt, dass fast alle Häftlinge rauchen – so auch Gustav und Michael, deren Zellen nach altem Zigarettenrauch riechen. Viele der Jugendlichen nehmen Drogen, die über den Besuch geschmuggelt werden und handeln oft damit. Das führt zu Abhängigkeiten untereinander – und auf Dauer zu Streitigkeiten und Gewalt. Ein Leben im Knast habe viele Nebenwirkungen auf die Persönlichkeit, erzählt King: „Man muss sich behaupten, sich alles erarbeiten, um durchzukommen und es darf sich niemand kleinkriegen lassen. Die Jugendlichen können es sich nicht erlauben, sich zu zeigen, wie sie sind.“

Michael King arbeitet als katholischer Gefängnisseelsorger in der JVA Herford. Der Bielefelder ist fast zwei Meter groß, doch wirkt er durch seine ruhige, weiche Stimme sehr nahbar. Er und sein evangelischer Kollege, Stefan Thünemann, feiern Gottesdienste und bieten Gespräche für Häftlinge an. „Dabei gilt für uns die absolute Schweigepflicht. Die Jugendlichen reden daher ganz offen mit uns über ihren Haftalltag, das Verhältnis zu Familie, Freundin und Kindern, über ihre Straftaten und manches mehr“, sagt King. Es gibt eine eigene Sprache und Ausdrücke, die draußen nicht verstanden werden. „Pop Shop“ beispielsweise, das Einschluss bedeute.

Die verschwiegenen Gespräche helfen

Gustav und Michael schätzen die Arbeit der Seelsorger sehr. „Ich habe mit ihm selten über Gott gesprochen, sondern mehr über Probleme mit meiner Mutter und über meine Drogenabhängigkeit“, sagt Michael. „Das offene Gespräch und die Rückmeldungen haben mir geholfen, meine Sucht in den Griff zu bekommen.“ 12 Uhr – Mittagszeit im Knast. Gustav und Michael werden von je einem Bediensteten zurück in ihre Zellen gebracht. Es gibt eine Gemüsesuppe mit Fleischeinlage. In der Pause schallt Musik aus den Zellen, die Häftlinge unterhalten sich von Fenster zu Fenster, rufen Gefängnismitarbeitern auf dem Hof hinterher oder schauen Fernsehen. Um 13 Uhr ertönt eine Ansage. Die Arbeit geht weiter. Michael fühlt sich im Knast abhängig, kontrolliert. „Ich vermisse die Unabhängigkeit am meisten. Wenn ich Briefe schreibe, werden sie mitgelesen. Wenn ich telefoniere, wird mitgehört. Und dann kriege ich dazu auch noch Kommentare von den Beamten“, sagt Michael. Gustav nickt, während er zuhört und berichtet: „Ich würde echt gern mal wieder durch den Wald spazieren.“

Freistunde – fast wie die große Pause

Gegen 15.30 Uhr ist Feierabend. Dann folgt die Freistunde. In beigefarbenen Winterjacken, blauer Jeans und schwarzen Schuhen treffen sich die Jugendlichen auf dem Hof. In Dreier- bis Fünfergruppen stehen sie im Kreis, gehen umher und spielen Karten. Die Szenerie erinnert an die große Pause in der Schule – nur, dass ein Beamter in einer vergitterten Hütte steht und die Jugendlichen beobachtet. „Während der Freistunde blüht die Subkultur“, sagt Seelsorger Michael King. „Die Häftlinge konsumieren oft Drogen und machen damit Geschäfte. Sie unterdrücken und erpressen sich gegenseitig. Es werden Karten gespielt, wodurch Schulden oder die Spielsucht weiter verstärkt werden. Im Knast mangelt es den Jugendlichen an vielen Dingen. Da kämen die Häftlinge auf die buntesten Ideen.

Selbst, wenn ich diesem Plan nicht gefolgt bin, Gott glaubt immer an mich.

Das wird auch an Gustav deutlich. Auf dem Unterarm, dem Handrücken und den Handknöcheln blitzen Tattoos hervor. Die Farben sehen ausgeblichen aus. Gustav hat sie sich selbst gestochen. Die Häftlinge stellen sich aus Alltagsgegenständen Tattoo-Maschine und Farbe her. Auf seinem Unterarm trägt Gustav ein Kreuz. Ihm helfe sein Glaube, im Knast klarzukommen. Er glaubt daran, dass Gott einen sinnvollen Plan für sein Leben hat. „Selbst, wenn ich diesem Plan nicht gefolgt bin, er glaubt immer an mich.“ Gustav geht deshalb auch sonntags in den Gefängnis-Gottesdienst – mit 30 bis 50 Mithäftlingen. „Ich sehe den Gottesdienst als eine Lehrstunde, in der ich aus der Bibel und von den Seelsorgern fürs Leben lerne“, sagt Gustav.

Die Gefängnisseelsorger feiern Gottesdienste, in denen sie die Stimmung der Woche im Knast aufgreifen. Es kommen Christen und Muslime, Bekenntnisfreie und Nichtgläubige. Michael King beschreibt die Stimmung als sehr respektvoll. „Gleichzeitig wissen wir auch, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch andere Motive haben, in die Kirche zu kommen“, fügt er hinzu.

Nachts wieder allein auf Zelle

17 Uhr, die Häftlinge werden nach der Arbeit wieder in ihre Zellen gebracht. Gustav verteilt das Abendbrot gegen viertel nach fünf. Danach hängt das Abendprogramm davon ab, auf welcher Abteilung die Häftlinge sitzen – und wie sie sich während der Haftzeit bisher verhalten haben. Wer als „geeigneter Häftling“ angesehen wird, darf eine gewisse Zeit mit zwei anderen Häftlingen seines Flurs in einer Zelle verringen. Es gibt dann auch die Möglichkeit, Fußball, American Football oder Badminton zu spielen, Bücher in der Bibliothek auszuleihen oder sich in Schach zu duellieren.

Um spätestens 21 Uhr sind Gustav und Michael spätestens in Ihrem Haftraum. Ein Bediensteter schließt ab, legt einen zusätzlichen Hebel um und meldet an die Zentrale, dass sie eingeschlossen sind. Dann sind Gustav und Michael für die Nacht allein in ihrem „Tresor“.

Tobias Schulte | YouPax

* Die Namen der Häftlinge sind geändert.

 

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