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I have a dream: Strafgefangene als Menschen sehen

2. Juli 2021

„Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben werden, in der sie nicht wegen ihrer Farbe der Haut, sondern nach dem Wesen ihres Charakters beurteilt werden. Ich habe einen Traum!“ Der amerikanische Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King sprach diese Satze vor mehr als 250.000 Menschen 1963 am Lincoln Memorial in Washington D.C. Menschen in Haft haben genauso Träume. Monika und Henry Toedt lesen in den Briefen, die sie von Gefangenen bekommen, immer wieder von dieser Vision.

Glenn Chivasello aus Kenia sitzt seit 10 Jahren im „Bangkok Hilton“, dem berüchtigten Staatssicherheitsknast in Thailand ein. Sein Vater arbeitete in einem Getränkevertrieb in Mombassa und benannte seinen ältesten Sohn nach zwei schottischen Whiskysorten, nämlich Clenn von Clennfidich und Chivasello von Chivas Regal. „Ich bestehe zu 100 % aus AIkohol“ schreibt Glenn. Er sehnt sich nach seinen zwei Schwestern, die in Deutschland verheiratet sind, deren Nachnamen er jedoch nicht kennt, die Wohnorte auch nicht.

Emmy Lou hat Angst vor ihrer allerletzten Berufungsverhandlung nach 20 Jahren in der Todeszelle. „Wenn ich Post von Euch bekomme und Euch schreiben kann, geht es mir gleich besser.“ Sie schickt Zeitungsausschnitte und Bilder aus der Heimatzeitung in Oregon. „Bitte betet für mich zu Gott. Ich liebe Euch wie verrückt, meine Mom liebt Euch auch!“ Auch ihrer Mutter, die in einem Altenheim lebt, schreiben wir ab und an eine Ansichtskarte und erzählen ihr, welch wunderbare Tochter sie hat. Das weiße Gift hat nach dem Tod des geliebten Vaters das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter schwer belastet. Ihre Briefe beendet sie mit „Eure Tochter im Gefängnis.“ Bei einer Ablehnung des Berufungsanträges droht die Vollstreckung der Todesstrafe. Mississippi wird von dem republikanischen Gouverneur Tate Reeves regiert, einem Gefolgsmann Donald Trumps, der in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit als US Präsident 13 Todesurteile unterzeichnete.

Saskias Urteil ist noch nicht rechtskräftig, ihr Verteidiger ist in Revision gegangen. Die Haft macht ihr schwer zu schaffen, sie soll in eine andere JVA verlegt werden. „Ich mochte nicht verlegt werden, ich sehne mich nach Zuhause, nach meiner Mutter.“ Die ist die Einzige, die noch zu ihr halt. „ Ich bin immer berührt von Euren Zeilen, da schmilzt mein Herz dahin“ schreibt sie und malt große Herzen. Alle ihre Briefe und Umschlage sind sehr kunstvoll verziert.

Edgar befindet sich seit vielen Jahren in der Sicherungsverwahrung, er liebt fernöstliche Musik, er schickte uns eine CD und fragte nach unserer Meinung. Er wird in den nächsten Monaten in den offenen Vollzug wechseln, er ist ein Bär von einem Mann mit einem gutmutigen Gesichtsausdruck, wie wir auf den Bildern sehen können, die er seinen Briefen beilegt. Bei jeder Ausführung kauft er Ansichtskarten, die wir in alle Welt senden. Wir wünschen ihm von Herzen, dass er mit der veränderten Situation klar kommt und die Herausforderungen der kommenden Zeit meistern kann.

Bella sitzt eine lebenslange Haftstrafe in Colorado ab. „Jetzt hat sich auch meine älteste Tochter von mir abgewandt, nun habe ich gar keinen mehr. Wollen wir drei nicht eine Familie sein?“ fragt sie. Ja, das wollen wir, denn auch wir haben keine mehr.

Mopan ist ein ehemaliger Bergführer aus Nepal, der zum Stamm der Tamang gehört. Nach 20 Jahren Haft in Bangkok ist er fest davon überzeugt, bald entlassen zu werden. 2021 sei sein von Gott bestimmtes Entlassungsjahr, erzählt er uns. Seine Post ist so wunderschon dekoriert. Er sehnt sich nach seiner Frau und nach seinen beiden Mädchen, die er kaum kennt. Er beschreibt sein Heimatland, die klaren Bergseen am Himalaya und die Probleme mit der Infrastruktur. Von seinem Heimatdorf geht man einen Tag lang zu Fuß bis in die Hauptstadt Katmandu.

Es ist die Sehnsucht nach Zuwendung, nach etwas Liebe und Verständnis, das diese Menschen sich wünschen. Martin Luther King sagte: „I have a dream!“ Auch wir beide haben einen immer wiederkehrenden Traum, nämlich, dass die Gesellschaft die Gefangenen in den Strafanstalten dieser Welt als das ansieht, was sie immer noch sind: als Menschen.

Monika und Henry Toedt

 

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