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Ein Himmelskomiker: Grüß Gott, Herr Pfarrer!

5. Januar 2021

Immer wieder werde ich nach der Herkunft und Bedeutung meines Namens gefragt. Und jedes Mal sage ich augenzwinkernd: Ceelen kommt vom lateinischen coelum = Himmel. Der Himmlische heißt Coelestinus. Petrus Coelestinus war der himmlische Papst Cölestin V. Nach nur fünf Monaten dankte er ab „aus mangelndem Wissen über die Lehre der Kirche.“ Nach seiner Rücktrittserklärung vor den versammelten Kardinälen stieg der 85-jährige vom Thron, legte Tiara, Mantel und Ring ab und zog wieder die Eremitenkutte an, die er bis zu seiner Papstwahl 1294 getragen hatte.

Ein paar Monate wäre ich auch mal gern Papst gewesen, aber ich habe es nicht einmal bis zum Priester geschafft, obwohl ich einer werden wollte. Mit der Zeit wurde mir aber immer klarer, dass ich für den Zölibat nicht geschaffen bin. So habe ich zwar ein abgeschlossenes Theologiestudium, aber keinerlei Weihe. Trotzdem halten mich manche für einen abgefallenen Priester. Und für Google bin ich ein belgischer „Geistlicher“. Ich schreibe zwar geistliche Texte, mitunter auch geistreiche Aphorismen, aber ich bin ein Laie, ein Laientheologe, wenn auch kein theologischer Laie. Alles nicht so einfach. Und dann komme ich zwar aus Belgien, bin aber kein Belgier. Ich bin ein Flame, der mit einer Wallonin verheiratet ist. Das ist auch in Belgien nicht leicht zu verstehen. Wir mussten zwar nicht fliehen, aber wir haben uns 1969 doch in der Kapelle vom Flüchtlingslager Marienfelde in Berlin das Ja-Wort gegeben. Ein Kapitel für sich – das steht auf einem anderen Blatt.

Ein-geknickter Mensch in der Türöffnung des Denk-Mal´s in der JVA Herford.

Pfarrer im Schwabenländle

Von Berlin kam ich am 1. April 1971 ins Schwabenländle als Mitarbeiter von Pfarrer Walter Stöffelmaier, der die Gemeinden Schwieberdingen und Möglingen bei Ludwigsburg zu betreuen hatte. Er wohnte in Schwieberdingen und ich zog nach Möglingen. In dem überwiegend evangelischen Ort war ich der „Herr Pfarrer“ und meine bessere Hälfte „Frau Pfarrerin“. Und als die Leute dann laufend noch „Grüß Gott“ zu uns sagten, trauten wir unseren Ohren nicht. Wie bitte? Grüß Gott! „Grüß Gott Herr Pfarrer!“ Naja, immerhin wurde ich, Nicht Kleriker von der Pfarrbesoldungskasse bezahlt. Es gab noch keine eigene Berufsgruppe der Pastoralassistenten bzw. – referenten und *Innen. „Grüß Gott, Herr Pfarrer!“ Auch im Gefängnis auf dem Hohenasperg musste ich mir diese Anrede gefallen lassen. Unzählige Male habe ich versucht, Bediensteten und Häftlingen klar zu machen, dass ich kein „richtiger“ Pfarrer sei, doch mit der Zeit habe ich es bleiben lassen. Für die Gefangenen war ich der „Himmelskomiker“. Ist ja auch komisch, vom Himmel in der Hölle zu reden.

Jeden Tag wird gebeichtet

Mein Gottesdienst sonntags war zwar keine Messe, aber das war den Inhaftierten egal. Hauptsache: eine gute halbe Stunde weniger in der Zelle eingeschlossen. Ein offene Knastkirche: auch konfessionslose und muslimische Gefangene waren willkommen. Dass die Gefangenen bei mir nicht beichten konnten, war ihnen auch nur schwer zu vermitteln. Denn viele Gespräche unter vier Augen waren ja richtige Beichtgespräche. Da kamen Mord und Totschlag zur Sprache und so manches, was sonst keiner wissen durfte. Schweigepflicht, Verschwiegenheit des Seelsorgers haben einen ganz hohen Stellenwert in einer Institution, in der alles öffentlich ist und jede Kleinigkeit aktenkundig gemacht wird. Die Aussprache bei einer Vertrauensperson ist wie ein Glas Wasser in der wüsten Welt des gläsernen Knastes.

Im seelsorglichen Gespräch mit Gefangenen geht es um Leben und Tod, um Schuld und Vergebung. Da fließen Tränen über ein verpfuschtes Leben. Tränen um die begangene „Missetat“. Tränen der versäumten Chancen. Bittere Tränen der Reue. Auch die täglichen Sorgen und Nöte im Knast kommen zur Sprache. Mancher Insasse bittet um ein dringendes Gespräch, weil er „Stier“ ist und keinen Tabak mehr hat. Rauchen bedeutet für viele das letzte Stückchen Freiheit im Knast. Manchmal konnte ich das Wort „Tabak“ nicht mehr hören. Oft konnte ich nicht länger mit ansehen, wie Menschen sich erniedrigen und um ein paar Krümel Tabak betteln. Manche bücken sich und sammeln die Kippen auf dem Hof. Den einzelnen Menschen in seiner umfassenden Not wahrnehmen und ernst nehmen, das ist Seelsorge, Leib-Seelsorge.

Mit den Aussätzigen

Als ich im Gefängniskrankenhaus auf dem Hohenasperg in Baden-Württemberg sah, wie groß die körperlichen und seelischen Leiden der Aidskranken und HIV-Infizierten waren, wollte ich mich der „Aussätzigen“ draußen annehmen. Doch davon wollte die Kirchenleitung in Rottenburg nichts wissen. Durch die Schaffung einer eigenen Seelsorge-Stelle würde man die Krankheit nur aufwerten. Im Übrigen hätte auch die evangelische Kirche keinen eigenen Aidsseelsorger. Wozu Ökumene doch gut sein kann! Doch ich ließ nicht locker, bis der damalige Bischof Kardinal Walter Kasper den Knoten durchhackte und er mich Anfang 1992 zum ersten Aidsseelsorger einer deutschen Diözese ernannte. Ich galt als Pionier: ich war 1971 doch der erste Pastoralreferent im Bistum Rottenburg-Stuttgart und 1975 auch der erste Nichtpriester als Gefangenenseelsorger.

Für die Aids-Kranken und HIV-Infizierten war es „umwerfend“ dass ich ausgerechnet von der katholischen Kirche kam. Denn Katholisch und Aids, „Schwulenpest“ – wie Himmel und Hölle. Wie oft wurde ich gefragt, ob ich auch wirklich katholisch sei. Die Aids-Hilfe und Schwule standen mir anfangs sehr ablehnend gegenüber: „Typisch katholisch“, sagten sie mir. „Erst werden wir Schwule von Rom als Sünder abgestempelt. Doch wenn wir dann Aids haben und sterben müssen, kommt die Mutter Kirche mit ihrer Barmherzigkeit und erbarmt sich unser. Nein Danke!“ Es gab viele Widerstände zu überwinden. Schließlich kam ich von der katholischen Kirche, die das einzige Mittel zur Verhütung von HIV, das Kondom, verbietet. Auch in der eigenen Kirche gab es Kopfschütteln und Verdächtigungen: „Wer sich um Solche kümmert, kann doch selbst nicht sauber sein. Der hat wohl selber Aids.“

Ist der etwa selbst…?

Manchen war es schon verdächtig genug vorgekommen, dass einer freiwillig in den Knast geht. Und jetzt geht er auch noch zu “Solchen“. Aber es gab auch viel Zustimmung. Zusammen mit Angehörigen von Aidskranken und engagierten Christen gründete ich „die Brücke“, den Förderverein für Menschen am Rande. Dadurch war es mir möglich, die vielfältige materielle Not vieler Betroffenen zu lindern. Denn die meisten lebten von der Sozialhilfe, von der Hand in den Mund. Jeder vierte „meiner Gemeinde“ war schwerst drogenabhängig, lag buchstäblich auf der Straße. Aber von Aids waren nicht nur „Randgruppen“ betroffen. Auch „normale“ Männer und Frauen, angesehene Familienväter, Kirchengemeinderäte, Pater, Priester… Sie mussten noch mehr Angst als andere haben, dass „es“ herauskommt. Für die Medien war ich der „Stuttgarter Aidspfarrer“. Die Stuttgarter Zeitung schrieb in einem Porträt, dass ich verheirateter Familienvater und Priester sei. Na bitte! Grüß Gott, Herr Pfarrer!

Petrus Ceelen | Foto: King. Priestergewänder im Schaufenster in Paderborn

 

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