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Wie sich die Gerichte gegen rechte Schöffen schützen

29. Januar 2020

Rechte versuchen, mit Laienrichtern die Justiz zu unterwandern – bisher offenbar erfolglos. Wachsam sind die Profis in den Gerichten trotzdem.

Im Frühjahr 2018 kursierten in den sozialen Medien ein paar Aufrufe, die normalerweise als Beitrag zum bürgerschaftlichen Engagement gelobt werden. „Liebe Leute, werdet Schöffen und sorgt für Gerechtigkeit in Strafprozessen!“, lautete einer dieser Twitter-Slogans. Alarmiert war die Öffentlichkeit allerdings, als sie den Absender las – der Tweet stammte von der AfD. Auch Pegida und die fast vergessene NPD versuchten, ihre Leute zu motivieren, sich für die fünfjährige Schöffen-Wahlperiode ab 2019 zu ehrenamtlichen Richtern wählen zu lassen. Im Dienste einer sehr speziellen Version von Gerechtigkeit, die dann – so hatte es die NPD intoniert – im Umgang mit straffälligen Migranten schon den rechten Ton treffen würde.

Tatsächlich gibt es für Nichtjuristen kein Amt, das einen direkteren Einfluss auf Urteile erlaubt. Zwei Laien, die einen Profi überstimmen können, so ist die Konstellation im Schöffengericht wie auch in der kleinen Strafkammer am Landgericht. Und selbst im Schwurgericht (drei Berufsrichter, zwei Schöffen), wo die schweren Fälle landen, können die Laienrichter gemeinsam zwar keinen Freispruch, wohl aber eine Verurteilung verhindern; denn dafür ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, das sind vier von fünf Richterstimmen. Mehr Justizmacht geht kaum. Kein Wunder also, dass das Amt die Fantasien der Systemgegner beflügelt. Inzwischen sind die damals nach dem Twitter-Vorspiel gewählten Schöffen ein Jahr im Amt. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass die Unterwanderungsstrategie Erfolg gehabt hätte. Eine Abfrage der Süddeutschen Zeitung bei den Justizministerien der Länder ergab keine Auffälligkeiten, zumindest, was das große Bild angeht. Das spricht dafür, dass der Filtermechanismus einigermaßen funktioniert. Schöffen werden von den Gemeindevertretungen vorgeschlagen und von Wahlausschüssen unter Beteiligung der Justiz gewählt. Weil das Radikalenproblem schon länger existiert, ist man vorsichtig geworden.

Ein machtvolles Ehrenamt

In Brandenburg beispielsweise hatte das Innenministerium schon bei der Schöffenwahl 2013 zur Umsicht bei der Listenaufstellung aufgerufen. Dennoch sind immer wieder Kandidaten ins Räderwerk der Justiz gelangt, die dort nicht hingehören. Mit Beschluss vom 12. März 2019 hat das Oberlandesgericht Hamm einen Schöffen des Amtsgerichts Essen seines Amtes enthoben, weil er Mitglied in der NPD war. Nur war das keiner, der die Justiz infiltrieren wollte; auf seine NPD-Mitgliedschaft hatte er selbst hingewiesen. Sein Rauswurf bereitete dem OLG deshalb keine Probleme, weil das Bundesverfassungsgericht Anfang 2017 die NPD zwar nicht verboten, aber ausdrücklich deren Verfassungsfeindlichkeit festgestellt hat. Amtlich beglaubigte Verfassungsfeinde muss die Justiz nun wirklich nicht dulden. Ähnlich entschieden geht die Justiz mit sogenannten Reichsbürgern um.

Mehr als 38 000 Schöffen gibt es in der Strafjustiz (hinzukommen Hilfsschöffen sowie ehrenamtliche Richter anderer Gerichtszweige). Das Schöffenamt ist ein staatsbürgerliches Ehrenamt, zu dessen Übernahme und Ausübung jeder Deutsche, der die Voraussetzungen erfüllt, verpflichtet ist. Schöffen müssen bei ihrem Amtsantritt mindestens 25 Jahre alt und dürfen nicht älter als 69 Jahre sein. „Die Bewerber dürfen nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben“ oder etwa als hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR tätig gewesen sein, heißt es im Gesetz. SZ

Das Schöffenamt ist ein staatsbürgerliches Ehrenamt, zu dessen Übernahme und Ausübung jeder Deutsche, der die Voraussetzungen erfüllt, verpflichtet ist.

Einfach ist die Amtsenthebung nicht

Das Oberlandesgericht (OLG) München schasste 2016 einen Schöffen einer Münchner Strafkammer, der auf der Terrasse seiner Eigentumswohnung die schwarz-weiß-rote frühere Reichsflagge gehisst hatte – nach seinem Verständnis die „offizielle Nationalflagge Deutschlands seit 1892“. Die „Ansiedlung artfremder Ausländer“ nannte er „Völkermord“. Eine derartige Nazisprache, so fand das OLG, sei unvereinbar mit der Garantie der Menschenwürde. Auch das OLG Hamm verabschiedete 2017 einen Hilfsschöffen, der nach Reichsbürgerart der Bundesrepublik die staatliche Existenz absprach und von Privat- oder Ausnahmegerichten sprach.

Einfach ist eine Amtsenthebung trotzdem nicht, denn sie setzt eine grobe Verletzung der Amtspflichten voraus. Eine einmalige verbale Entgleisung wird dafür kaum reichen, auch die bloße Mitgliedschaft in der AfD wäre mit Sicherheit zu wenig. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht 2008 klargestellt, dass sich die Treuepflicht zur Verfassung „über die eigentliche Richtertätigkeit hinaus auf das Verhalten außerhalb der Teilnahme an Gerichtsverhandlungen“ erstrecken könne.

Womit man bei Facebook wäre, wo der Mensch erstaunlich oft das Innerste nach außen kehrt. Eine Berliner Schöffin postete vor wenigen Jahren auf ihrem teilweise unter Klarnamen betriebenen Account wüste Tötungsfantasien gegen „Kinderschänder“; Asylbewerber nannte sie „Halbwilde“ und „Tiere“. Und ein Leipziger Ehrenamtler hetzte 2017 unter seinem Profilbild gegen Politiker („Faschistenpack“) sowie Flüchtlinge, denen er die SS-Division Totenkopf an den Hals wünschte. Die Meinungsfreiheit, die sonst auch manch üble Pöbelei erlaubt, half beiden nicht; hier habe die „Verfassungstreue des ehrenamtlichen Richters“ Vorrang, fanden die zuständigen Gerichte.

Aber die förmliche Amtsenthebung bleibt die Ausnahme. In der Praxis sehr viel relevanter ist eine andere Frage: Wie geht man mit, sagen wir, problematischen Einstellungen der Laienrichter um? Fragt man in der Richterschaft nach, dann hört man zum Beispiel von einem Schöffen, der sich sehr empfänglich zeigte für die Behauptung des Angeklagten, er habe das für Asylbewerber hergerichtete Einfamilienhaus nur deshalb angezündet, um seine Familie und die Nachbarn zu schützen. Nur ein besorgter Bürger? Oder ein Ausländerfeind, der besser nicht über andere zu Gericht sitzen sollte?

Ist der Ton in der Gesellschaft rau, ist dies bei Gericht zu spüren

Kompliziert ist die Sache auch deshalb, weil es im Schöffenwesen nun mal angelegt ist, dass Meinungen „von der Straße“ ins Gericht getragen werden. Liberale Weltoffenheit ist daher kein Auswahlkriterium; wer Laienrichter ist, darf eine Politik der offenen Grenzen für falsch halten. Wenn die Stimmung im Volk feindseliger gegen Migranten wird, wenn die Ressentiments zunehmen und die Rufe nach Härte lauter werden, dann diffundieren solche Tendenzen auch in die Gerichte hinein, übrigens nicht nur über die Laien, sondern auch über die Berufsrichter. Trotzdem – oder deswegen – muss es Grenzen geben. Ohne Achtung der Menschenwürde, ohne Bereitschaft zur unparteiischen Urteilsfindung gegenüber jedermann kann niemand Richter sein.

Ein weiterer Weg, um fragwürdige Richter loszuwerden, ist der Befangenheitsantrag. Für Strafverteidiger gehört das jedenfalls zum Standardrepertoire – nur müssen sie davor überhaupt von der Befangenheit erfahren haben. Wenn ein Schöffe aber im Gerichtssaal eisern schweigt und seine rassistischen Positionen nur in der internen Beratung preisgibt, dann ist er nicht so leicht zu packen – es gilt das Beratungsgeheimnis. Das führt zu einer heiklen Frage: Darf ein Berufsrichter das Beratungsgeheimnis brechen und dem Verteidiger offenbaren, wer da über seinen Mandanten entscheiden soll? Muss er das vielleicht sogar?

Das OLG Naumburg hat im Jahr 2008 entschieden, dass das Beratungsgeheimnis jedenfalls nicht absolut gilt; wo es um Rechtsbeugung geht, dürfen Richter die vertraulichen Diskussionen offenbaren – weil das Beratungsgeheimnis nicht als „Schutzschild“ dienen dürfe, sich der persönlichen Verantwortung zu entziehen, so die Entscheidung. Es spricht viel dafür, dass man dieses Prinzip in krassen Fällen auch auf Schöffen anwenden kann. Vertraulichkeit ist ein hohes Gut, aber noch gewichtiger kann die Richterpflicht sein, Angeklagte vor rechtsstaatswidrig agierenden Schöffen zu schützen. Anders ausgedrückt: Den besten Schutz gegen Rassisten und Reichsbürger im Schöffenamt bietet eine wache, aufmerksame Richterschaft.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe | Text lizenziert: Süddeutsche Zeitung

 

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