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Eigenes Gefängnis wird überall mitgenommen

14. März 2019

Um zu Gefangenen auf dem Hohenasperg ins Justizvollzugskrankenhaus bei Stuttgart zu gehen, musste ich morgens kein Opfer bringen. Ich bin gerne zu den Gefangenen gegangen. Was ist es, was mich zu Menschen hinzieht, die andere abstoßen? Wie kann ich mich wohl fühlen unter Kriminellen? Das mag kein gutes Licht auf mich werfen, aber zu mir gehören auch dunkle Seiten. Wenn ich meine Fantasien, heimlichen Wünsche anschaue, sehe ich, dass ich eine Menge krimineller Energie in mir habe.

In meiner Fantasie habe ich auch schon das eine oder andere Ding gedreht, eine Bank überfallen. Und ich habe auch schon ein paar Leichen im Keller. Nun gibt es Menschen, die das getan haben, was ich manchmal auch gerne tun möchte. Heimlich sympathisiere ich mit ihnen, bewundere sie vielleicht sogar, weil sie das tun, wozu ich viel zu viel Angst habe. Aufgrund meiner Sozialisation und Erziehung sind bei mir Sicherungen und Bremsen eingebaut, die mich daran hindern, mein kriminelles Ich auszuleben.

In manchem Straftäter begegne ich meinem nicht gelebten Leben. Und das kann durchaus anziehend sein. Manche Tat mag noch so verwerflich sein, sie zeigt aber, wozu wir Menschen fähig sind. Kinderschänder, Frauenmörder sind keine Bestien, sondern Menschen. In ihre tiefsten Abgründe zu schauen, hat nicht nur etwas Furchterregen des, sondern ebenso etwas Faszinierendes. Vielleicht hat das Gefängnis mich auch so angezogen, weil ich selbst in einem Käfig sitze. Aber wenn das so ist, warum zieht es mich dann noch zu anderen Gefangenen hin? Gehe ich zu den Inhaftierten, um aus meiner eigenen Zelle herauszukommen? Solche Fragen mögen fremd erscheinen, aber es sind wohl nicht nur edle Motive, die mich dazu bewogen haben, 17 Jahre lang jeden Tag neu für die Inhaftierten da zu sein.

Möglicherweise bin ich auch ins Gefängnis gegangen, um meine Schuldgefühle abzutragen. Ich fühle mich den Pechvögeln gegenüber schuldig, die in der Lebenslotterie nicht so viel Glück hatten wie ich. Es ist nicht mein Verdienst, dass ich ein so gutes Los gezogen habe. Indem ich Straffälligen helfe, hoffe ich – vielleicht unbewusst – mich von der Last des unverdienten Glücks zu entlasten. Ein wichtiger Beweggrund, die Inhaftierten in ihren Zellen aufzusuchen, war für mich sicher auch Jesus. So wie der Freund der Sünder wollte auch ich unvoreingenommen auf die Gefangenen zugehen, ohne Berührungsangst, und ohne die Absicht, sie bekehren zu wollen. Ich selbst bin durch die so genannten Gottlosen Jesus näher gekommen als durch mein Theologiestudium. Bei meinen Zellenbesuchen habe ich Jesus selbst sagen hören: „Ich war im Gefängnis, und du bist zu mir gekommen.“ (frei nach Matthäus 25,36)

Auch wenn ich schon lange nicht mehr im Knast bin, ist Gefangensein für mich ein Bild für unser aller Leben. Wir mauern uns selbst ein, schließen uns selbst ein. Und noch ein Sicherheitsschloss und noch eine Alarmanlage und noch ein Warnsystem. Unsere Zellen sind schön tapeziert, wir haben Bier und Wein im Kühlschrank und dürfen sogar im eigenen Auto unsere Runden drehen. Wie weit wir auch fahren, wir nehmen unser Gefängnis überall mit. Wir können nicht aus unserer Haut, nicht ausbrechen aus unserem Ich. Wir können nicht so, wie wir wollen. Pflichtgefühl und Moral engen uns ein. Wir sind eingeengt durch unsere Rollen, eingezwängt durch Zwänge und Verpflichtungen. Wir stoßen auf unsichtbare Mauern und Gitter. Ob wir deshalb so viel von Freiheit reden? Ja, wir sind frei, Ja zu sagen oder Nein.

Petrus Ceelen

 

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