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Frieden schaffen mit immer mehr Waffen?

16. März 2022

Der oft zitierte Satz in der bundesdeutschen Öffentlichkeit ist: „Rüstungslieferungen an die Ukraine, die dazu dienen, dass das angegriffene Land sein völkerrechtlich verbrieftes und auch von der kirchlichen Friedensethik bejahtes Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen kann, halten wir für grundsätzlich legitim.“  Der Aggression widerstehen. Den Frieden gewinnen. Die Opfer unterstützen. So lauten die Sätze in der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz zum Krieg in der Ukraine. Wörtlich erklärten sie: „Alle spüren: Die Invasion in die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa und seine Werte.“

Dass diese Sätze mehr oder weniger isoliert aus der Erklärung herausgenommen und in der bundesdeutschen Presse zitiert und publiziert werden, sollte niemanden verwundern. Wir leben eben in Zeiten des Krieges, in denen es auf die Wahrheit nicht genau ankommt. Denn der folgende Satz gibt immerhin zu bedenken: „Es ist denjenigen, die die Entscheidung zu treffen haben, aber aufgetragen, präzise zu bedenken, was sie damit aus- und möglicherweise auch anrichten. Dies gilt gleichermaßen für die Befürworter wie für die Gegner von Waffenlieferungen.“

Muss der „Russe“ gestoppt werden?

Die Erklärung der Bischöfe ist etwas komplexer und zurückhaltender als es all die gerne hätten, für die die Dinge klar auf der Hand liegen: „Der Russe muss gestoppt werden!“ Gleichwohl liegt es in der Logik der Erklärung, dass solch eine Interpretation sich durchaus nahelegt. Tatsächlich ist es natürlich so, dass die kirchliche Friedensethik grundsätzlich eine bewaffnete Verteidigung für legitim hält. Dass es -insbesondere in der bundesdeutschen katholischen Kirche – dabei mit der Prüfung der Sachverhalte selbst nicht immer so ganz genau genommen wurde, wo es z.B. um die Verteidungssituationen der Befreiungskriege in Mittelamerika anging, sei hier nur in Erinnerung gerufen, nicht aber als Argument verwand.

Krieg als Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte?

Tatsächlich handelt es sich beim Krieg gegen die Ukraine um eine völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der auch aus der Perspektive christlicher Friedensethik prinzipiell ein Verteidigungsrecht impliziert. Ob die alte Forderung der Friedensethik, sich in den Entscheidungen auch auf die konkrete Situation zu beziehen, aber wirklich hinlänglich mitbedacht ist, wage ich zu bezweifeln. Ich möchte hier nur an die Enzyklika „Pacem in terris“ erinnern, wo es in Nr. 127 heißt: „Darum widerstrebt es in unserem Zeitalter, dass sich rühmt, Atomzeitalter zu sein, der Vernunft, den Krieg noch als das geeignete Mittel zur Wiederherstellung verletzter Rechte zu betrachten.“
Was ist eigentlich die konkrete Situation?

Nun ist diese Formulierung natürlich im Kontext der Hochrüstung des kalten Krieges zu verorten. Gleichwohl muss diese Problematik auch im gegenwärtigen Krieg mitbedacht werden. Es stehen sich ja hier in Nato und Russland nicht nur Atommächte gegenüber, sondern mit den jetzt schon bedrohlichen „Kollateralschäden“ von Tschernobyl und Saporischschja, aber auch den möglichen Zerstörungen von Chemiewaffenlaboratorien sind Bedrohungen möglich, die nicht nur die ukrainische Bevölkerung in einem unkalkulierbaren Maße bedrohen könnten, sondern auch weit über den lokalen Krieg gegen die Ukraine und dessen geographische Lokalisierung hinausgehen. Deshalb täten all die, die jetzt das Selbstverteidigungsrecht aufrufen, gut daran, die ethisch geforderte Analyse der „konkreten Situation“ grundlegend, und nicht auf der Grundlage von oberflächlichen Nachrichten-news produzierten Einsichten voranzutreiben. Emotionalität und Betroffenheit sind nicht immer die besten EntscheidungshelferInnen.

Imperialistische Großmächte

Dieser Krieg ist eben nicht einfach als ein Territorialkrieg zwischen Russland und der Ukraine zu denken. Dies gilt sowohl für seine Entstehungsgeschichte als auch für die sehr diversen Interessen an möglichen Szenarien für eine Beendigung des Krieges. Wir sollten uns daran erinnern, dass wir seit dem Ende der Blockkonfrontation nicht in einer Friedensdekade leben, die jetzt mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine zu Ende gegangen sei. Vielmehr leben wir in einer Epoche, die sich zunehmend durch die Ausweitung von Kriegen sehr unterschiedlicher Form auszeichnet. Seit mehr als 20 Jahren haben wir Kriege wie in Tschetschenien und Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak und in Syrien. Und nun zum zweiten Mal wieder einen Krieg in Europa. Diese Kriege und ihre Brutalität haben ihre Gründe in der Neukonstitutierung geopolitischer und geostrategischer Interessen, von denen bis heute nicht klar ist, wie sie ausgehen werden: Wir leben in einer Zeit zunehmender wachsender Rivalität imperialistischer Großmächte (wohlfein Globalisierung genannt). Dazu gehören die USA, Europa, China und eben auch Rußland. Es geht – wie immer – um Rohstoffe, um globale Wertschöpfungen und Lieferketten. Und unter diesen Interessen, machen wir uns nichts vor, leiden Menschen in Afrika, Lateinamerika, China, und auch der Ukraine und Russland.

Invasion: Ein Angriff auf europäische Werte?

Das ist das das Kritikwürdige, dass selbst die Kirchen und und ihre Bischöfe all dies nicht sehen wollen, und es auf einem tragisch unterkomplexen Niveau verhandeln, wie z.B. auf der Frühjahrsversammlung der römisch-katholischen Bischöfe, wenn sie schreiben: „Die Invasion in die Ukraine ist auch ein Angriff auf Europa und seine Werte.“ Damit verkennen sie m.E. nicht nur die Ursachen und die Geschichte dieses Krieges, sondern befeuern vor allem einen überkommenen Systemgegensatz, der eher denjenigen nützt, denen der Krieg nutzt, oder die nicht in den Kampf ziehen müssen, als das sie zu einer Deeskalation der Verhältnisse beitragen. Wir haben es hier nämlich nicht mit einem Verteidigungskrieg zu tun, der militärisch gewonnen werden kann. Oder vorsichtiger und friedensethisch bedenkenswert formuliert: Sind die möglichen Eskalationen und Ausweitungen zeitlicher und geografischer Natur dieses Krieges nicht derart, dass jede Rede von einem Verteidigungsrecht zum Gegenteil dessen führen wird, was es erhofft: nämlich zu einer Ausweitung, Verlängerung und noch weiteren Brutalisierung dieses Krieges?

In der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute auf dem II. Vatikanischen Konzil Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte die katholische Kirche ebenfalls ein Selbstverteidigungsrecht bestätigt. Vor dem Hintergrund einer Welt, „… in der der Krieg in irgendeinem Teil der Welt seine Verwüstungen fortsetzt, drohe eine Barbarei der Kriegsführung.“ Der moderne Krieg, so die Konzilsväter, tragen die Logik einer unkontrollierbaren Zerstörung mit sich, die die Grenzen einer gerechten Verteidigung weit überschreiten. Deshalb sei der moderne Krieg zu verurteilen und ein Verbrechen gegen die Menschen und gegen Gott.

Prophetische Verantwortung

Fragen wir uns vor diesem Hintergrund noch einmal nachdenklich, ob Christentum, christliche Friedensforscher und deutsche Bischöfe ihrer prophetishen Verantwortung wirklich schon gerecht geworden sind, wenn sie sich mehr oder weniger zu Stichwortgebern politischer Führungen machen lassen, von denen vieles zu erwarten ist, aber nicht das Eine. Eine nachdenkliche Kontextualisierung dieses Krieges (im Kontext der kriegerischen Welt insgesamt) würde vielleicht zu einem anderen Ergebnis führen, als zur nackten Parteilichkeit für die Angegriffenen. Ich meine, es bräuchte jetzt eine globale Anstrengung im Sinne Berta von Suttners: „Die Waffen nieder“, der einzig realistischen friedensethischen Perspektive in einer Zeit, in der Kriege längst schon wieder zur Normalität geworden sind, und in der eine friedensethische Perspektive, die einfach jeweils das „Selbstverteidigungsrecht“ feststellt, entschieden zu kurz greift. Im übrigen hat es auch etwas Absurdes, wenn die friedensethische Beurteilung der Situation aus der Perspektive von Nationalstaaten gestellt wird.

Ob die Bischöfe wirklich glauben, dass ihr Rat bei der eigenen oder bei anderen Regierungen wirklich gefragt ist? In einer solchen Einschätzung spiegelt sich doch einmal mehr der völlige Realitätsverlust einer ehemaligen Volkskirche, die immer noch von den fünfziger Jahren träumt, als sie eine gesellschaftliche Kraft darstellte, deren Wort Gewicht hatte. Heute dagegen reicht es doch maximal für eine Instrumentalisierung ihrer „Worte zum Sonntag“. Wie wäre es denn, wenn man die friedensethischen Fragen, vor die man gestellt wird, zunächst z.B. mal gemeinsam mit den ukrainischen KriegsdienstverweigerInnen und Deserteuren entwickelt, die auf internationale Unterstützung hoffen und in ihrer Erklärung schreiben: „Die Ukrainische Pazifistische Bewegung verurteilt alle militärischen Aktionen auf Seiten Russlands und der Ukraine im Rahmen des aktuellen Konflikts. Wir verurteilen die militärische Mobilisierung und Eskalation innerhalb und außerhalb der Ukraine, einschließlich der Androhung eines Atomkrieges. Wir fordern die Führungen beider Staaten und die militärischen Kräfte auf, einen Schritt zurückzutreten und sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Frieden in der Ukraine und in der ganzen Welt kann nur auf gewaltfreiem Wege erreicht werden. Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Deshalb sind wir entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und uns für die Beseitigung aller Kriegsursachen einzusetzen.“ Ich würde mir von den bundesdeutschen Kirchen ein wenig solchen Mutes erwarten, statt den westlichen Herrschern ihre Interpretation und ihre Vorstellung von „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen“ nachzuplappern.

Michael Ramminger

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