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Fragment aus dem Zwinger. Text eines Gefangenen

28. Juni 2021

Gefangene der Justizvollzugsanstalt JVA Nord-Brandenburg, Teilanstalt Wulkow, haben eine Zeitung erstellt. Es sind erwachsene inhaftierte Männer, die mit diesem Medium über ihr Leben im Gefängnis nachdenken. Mit dem Gefängnisseelsorger Eckhard Häßler erstellen sie eine Gefangenenzeitung mit dem Namen ´PopEi´. „Das Ei im Namen der Zeitung steht für den Beginn und Ursprung einer Sache“, so der Gefängnisseelsorger. Dies kommt nicht überall gut an.  Die Beschreibungen und Zeichnungen geben die Blickwinkel der Gefangenen unverblümt wieder. Es wird ihnen vorgeworfen, die Texte und Bilder wären sexistisch. Hier ein Text eines Inhaftierten, der im „PopEi“ veröffentlicht wurde.

Ich bin gefangen. Mein Lebensraum, der Raum, der Zwinger. 2 x 4 Meter und ein roter Knopf. Wenn ich diesen drücke, kommt einer der Dienst hat. Dieser hat manchmal Charakter und manchmal auch nicht. Dieses Wesen hat auch Laune. Es sagt: dieser rote Knopf ist ein Notrufknopf. Welche Not ich denn habe, darf ich ihn drücken. Die Art der Frage unterstellt mir, dass ich diesen Knopf nicht sachgerecht betätigt habe und der Dienst nun völlig unangebracht vorbei kommen musste. Ich habe Angst und verstehe nicht warum ich hier bin und warum alles weg ist, was einst mein Leben ausmachte. Ich fühle mich falsch platziert, weiß nicht was ich sagen soll, denn „Es“ gibt mir das Gefühl, dass er Wichtigeres zu tun habe. Bis später, sagt „Es“ und ich weiß nicht, wie spät es ist.

Ich habe VG 51¹

Das ist hier die verordnete oder mögliche reduzierte amtliche Nichtkommunikation. Sorgenbriefe schreiben. Wenn ich etwas geschrieben habe, wird der VG 51 zum Gegenstand der Nachfrage und des Vorwurfes. „Was haben sie den? Ich versuche zu buchstabieren, was ich habe und merke beim Sprechen – es sind so viele Probleme von den Dingen die ich jetzt hier nicht mehr habe und eigentlich weiß ich nicht wie ich das sagen soll und wenn ich ein Wort gefunden habe kommt die Antwort: Das ist nicht relevant.

Das verstehe ich nicht. Der Dienst sagt etwas von Personenmangel und Krankheit. Eine Entschuldigung oder auch ein Verneinen der Möglichkeit jetzt etwas helfendes zu tun. Ich markiere meinen Zwinger und will hier nicht leben. Nicht gehört zu werden und reden zu können ist auch eine Art strukturierter Gewalt. Wie soll ich jetzt noch sagen, was hier für mich nicht verstehbar ist? Es gibt ein sozusagen die Dienstleistung, aber wenn ich sie nutzen will, werde ich klein und mundtot gemacht. Was bleibt? Mich einigeln, mit den Schwanz wedeln, bellen? Mich ritzen? Leckerlies essen, bis ich platze? Ich bin doch ein Hund und kein Ding.

Bin ich gut oder böse?

Es gibt noch andere Dienste. Einer für meinen Kopf und einen für mein Verhalten. Für die 120 Hunde gibt es 2 solcher Dienste. Die lassen uns Platz machen und schreiben ihr Notizen und stellen Protokolle her, die sie abgeben müssen. Sie sind immer das Urteil. Entweder gibt eine Veränderung oder aber die Erstarrung. Ich werde befragt, getestet. Bin ich gut und böse? Rede ich oder schweige ich? Schweigen ist immer verdächtig. Das Urteil ist immer gewiss. Die Frage ist: Wie gut funktioniere Ich? Belle ich angemessen? Höre ich auf die Anweisungen? Habe ich mich unter Kontrolle? Dann gibt es Lösungen. Und wenn das vorgeschriebene Bild nicht stimmt, gibt es Plattmacher-Antidepessivmacher, die mir meine Hund sein nehmen. Mein Hirn wird Matsch und hechelt nach der täglichen Dosis. Ich fühle mich abhängig. Ich funktioniere, aber in mir ist ein Vulkan ausgebrochen. Ich fühle mich kastriert – psychologisch. Mein inneres Hundedasein hebt sich auf. Ich werde gehalten. Abgerichtet?

In meinem Zwinger wird früh nachgesehen ob ich noch da bin oder ob ich mich schon aufgelöst habe. Waschen-Essen-Gassi gehen im Kreis für eine Stunde. Das nächste Leckerlie. Dann spielen mit Ball und dann Umschluss. Abschluss, Einschluss, Ausschluss… wie ich es auch nennen mag. Es zeichnet ein Ende aus. Es ist eben Schluss mit lustig. Der Anfang von etwas ist aufgehoben und verlorengegangen. Schluss. Schließen. Scheiße. Im Umschluss dürfen sich die Hunde beschnuppern, betteln, winseln, auch mal bellen, Kickern, sich unterwerfen – im Rudel bleiben. Ich fühle mich an die Kette gelegt, unterdrückt, domestiziert. Die Macht der Gewalt, andere nach unten halten, den Willen brechen. Die einzige Freiheit dagegen ist meinen Schwanz am Gitter zu reiben, mir meinen eigenen Frieden zu geben (oder stundenlang brrrrrr machen).

Irgendwann werde ich den Zwinger verlassen

Konferenzen finden statt – das magische Wort: Vollzugsplan. Er beinhaltet oder suggeriert, dass hier etwas vollzogen wird uns weitergeht. Dort werden Papiere beschrieben, Vorlagen ausgefühlt, mein Wesen wird katalogisiert. Die Abschlussentscheidungen vollziehen sich außerhalb meiner Einsicht. Meine Wünsche zu nennen ist nicht entscheidend. Meine Markierungen und Spuren in meinem Käfig sind die entscheidenden Merkmale für die Entscheidung. Mein Zwinger ist ein Wartesaal. Irgendwann werde ich den Zwinger verlassen. Ich werde ständig Türen auf und abschließen ohne zu wissen warum. Dass habe ich auf alle Fälle gelernt. Ich werde ein Herrchen suchen und unzufrieden sein über mich, da ich etwas geworden bin, was ich nicht sein wollte. Und eines ist immer klarer erkennbar… Viele kommen wieder und wissen nicht warum. Das aber weiß ich jetzt – aber ich verrate es nicht.

N.N.

¹ VG 51 ist die amtliche Bezeichung des Formulares „Antrag“. Im Vollzug müssen alle Gespräche und andere Anliegen durch dieses Formular mit der eigenen Buchnummer und den Namen schriftlich beantragt werden.

 

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