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Es gibt Hoffnung, dass hier nicht wirklich das Ende ist

31. März 2020

Mörder, Vergewaltiger und Diebe gehören ins Gefängnis. Sie sind eine Gefahr für die Allgemeinheit. Und dennoch sind es Menschen. Menschen mit Gefühlen, Ängsten und Sehnsüchten. Die JVA Essen wird durch ihren Gefängnisseelsorger Klaus Schütz für Viele zum Hoffnungsort. Dieser Ort hat viele Namen: Gefängnis, Knast, Zuchthaus, Justizvollzugsanstalt. Er ist ein Ort für schwere Jungs, ein Ort für Verbrecher, die man weggesperrt. Als Bestrafung und zu unser aller Schutz. Diese Männer verschwinden hinter hohen Mauern und damit aus unserer Wahrnehmung. Weil die Gesellschaft sich draußen vor ihnen fürchtet.

Holger ist 47. Seit Januar 2019 bewohnt er eine Einzelzelle in der Krawehlstraße 59, dem Männerknast im Essener Süden. Ein sympathischer Mann, frisch rasiert, die dunklen Haare kurz geschnitten. Man sieht dem ehemaligen Besitzer eines Kurierdienstes seine kriminelle Energie nicht an. Und doch sitzt er noch bis Mitte Oktober eine Strafe wegen Drogenhandels ab, war selber heroinabhängig.

Patrick hat noch zehn Jahre vor sich. Er ist wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt worden. Schwer zu glauben, dass er anderen Menschen Gewalt angetan hat, wenn man in die grau-blauen Augen des 29-Jährigen schaut, seinem offenen, wachen Blick begegnet. Und doch atmen beide Männer gesiebte Luft. Ihr Leben ist fremdbestimmt, ihr Alltag geprägt von Verzicht, Einsamkeit und Kontrolle. Sie sind angewiesen auf das Wohlwollen der Bediensteten.

Klaus Schütz sieht erst den Menschen und dann den Täter. Im Gespräch mit dem Gefangenen Patrick.

Klaus Schütz als Türöffner an einer Haftraumtür, die er überall mit seinem Schlüssel öffnen kann.

Das Gefängnis in Essen bietet Platz für 528 Gefangene. Zeit, um einmal Luft zu holen.


Die Hoffnung ist hier allgegenwärtig

„Und gerade deswegen ist dies hier ein Ort der Hoffnung“, betont Klaus Schütz, der Gefängnis-Seelsorger. „Was bleibt ihnen denn sonst noch?“ Wer hier keine Hoffnung mehr habe, der habe sich aufgegeben. „Selbst lebenslänglich Verurteilte haben die Hoffnung, dass das hier nicht wirklich das Ende ist. Das danach noch was kommt“, erzählt der 52-Jährige. „Die Hoffnung ist hier allgegenwärtig.“ Darauf, wieder raus zu kommen, dass die Familie dann noch da ist, dass die Freundin treu bleibt, ein neues Leben gelingen kann.

„Und täglich grüßt das Murmeltier“, fasst Patrick den Knastalltag zusammen. Ein Tag gleicht dem anderen in dem 110 Jahre alten Bauwerk: Wecken um 5.40 Uhr, Frühstück um 6. Eine Stunde später geht es an die Arbeit, sofern man denn eine bekommt. „Im Knast herrscht Arbeitspflicht. Aber es gibt nicht so viele Jobs wie Leute, die arbeiten wollen“, weiß der ehemalige Controller zu berichten. Er war der Medienwart der JVA, hat Bücher und CDs auf die Zellen gebracht. Doch nach einem Vorfall ist er jetzt arbeitslos. Um 12 Uhr gibt’s Mittagessen, nachmittags um fünf Abendbrot. Dann schließen sich die Zellen-Türen wieder über Nacht.

Holger ist froh, dass er den Job als Putzmann hat. „Das erleichtert den Tag ungemein. Ich habe was zu tun. Und sitze nicht 23 Stunden in meiner neun Quadratmeter-Zelle rum.“ Und er verdient etwas Geld. Der Stundenlohn schwankt zwischen einem und drei Euro. „Ich lerne hier gerade, mit wenig Geld auszukommen“, erzählt er lachend. „Draußen habe ich auf sehr großem Fuß gelebt. Das ist Geschichte. Denn ich bin definitiv den Rest meines Lebens verschuldet.“ Neben der Haftstrafe wurde er auch zur Zahlung von einer Million Euro verurteilt. „Das macht mich fertig. Ich möchte gerne in einem vernünftigen Job arbeiten. Das ist aber ein zweischneidiges Schwert, denn alles, was ich über Summe X verdiene, wird gepfändet.“ Vermögensabschöpfungsgesetz nennt sich das in Beamtendeutsch. „Ich habe Mist gebaut und muss die Suppe auslöffeln.“

Im Gespräch mit dem Bediensteten Marc Marin, JVA-Pressesprecher, im Büro des Gefängnisseelsorgers.

Wenn die Gitter und Nummern nicht wären, könnte die JVA Essen auch ein Mietshaus sein.

Sauber und steril wirken die Flure und Stockwerke der über 110 Jahre alten Justizvollzugsanstalt.


Papst Johannes Paul II hat seinem Attentäter vergeben

Im Büro von Klaus Schütz hängt ein Bild an der Wand, das Johannes Paul II zusammen mit Mehmet Ali Ağca zeigt. Dem Mann, der im Mai 1982 auf dem Peterplatz in Rom einen Anschlag auf den Papst verübt hat. Dass der Papst noch im Krankenhaus seinem Attentäter vergeben hat, hat damals für einiges Aufsehen gesorgt. „Das Bild stammt von meinem Vorgänger“, erzählt der gebürtige Essener und streicht sich dabei über seinen weißen Vollbart. „Und ich habe es bewusst hängen gelassen. Denn es zeigt mir, dass da auch menschlich Vergebung möglich ist, wo man es nicht erwarten würde. Egal wie schlimm die Tat war, egal was der Mensch auch getan hat, Vergebung ist möglich. Was für ein starkes Zeichen.“

Wenn die Gefangenen dann sehen, dass selbst so eine Tat vergeben werde, könne es sie darin bestärken, dass auch ihnen vergeben werde. „Wenn der Mensch es nicht kann, Gott tut es auf jeden Fall. Dafür stehe ich“, betont Schütz. „Gefängnisseelsorger gibt es, weil Jesus sich denen zugewandt hat, die Fehler gemacht haben, in der Hoffnung, dass sie besser, anders werden. Denn der Mensch ist nicht statisch, er kann sich ändern“, ist er sich sicher. Es sei aber wichtig, dass er zuerst den Menschen sehe, der zu ihm kommt. Nicht den Vergewaltiger, Dieb oder Mörder. „Die Straftat spielt in der Knasthierarchie eine Rolle, nicht bei mir. Ich will ihn nicht darauf reduzieren. Ich möchte dem Menschen begegnen, nicht dem Täter.“ Ein hehrer Anspruch, dem er selbst nicht immer gerecht wird. „Wenn ich dann mitbekomme, wozu Menschen fähig sind, ekelts mich an.“ Deswegen liest er im Vorfeld auch nicht die Akten der Männer.

„Bevor ich hierherkam, war ich nicht gläubig“, gesteht Holger. „Ich bin es geworden. Vielleicht durch die Hoffnungslosigkeit des Anfangs“, als er allein auf sich gestellt war, mit sich selbst und seiner Tat konfrontiert. Er habe von den Gottesdiensten gehört und sie besucht. „Da habe ich gehört, dass ich, auch wenn ich Mist gebaut habe, trotzdem ein toller Mensch sein kann. Dieser Zuspruch hat mir sehr geholfen.“

Jürgen Flatken | Fotos: Achim Pohl – Bistum Essen

Die Serie „SchattenLicht“ stellt Orte im Bistum Essen vor, die auf den ersten Blick nichts mit Hoffnung zu tun haben.

 

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