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Eros und Sexualität sind Quellen von Spiritualität

21. Juli 2021

Erotik und Sexualität sind für Pierre Stutz spirituelle Quellen. Im Gespräch erläutert er, weshalb er seine Partnerschaft als Sakrament bezeichnet. „In der Mitte der hebräischen Bibel gibt es faszinierend-erotische Liebeslieder, in denen eine wunderbare Wertschätzung der sexuellen Liebeskraft ausgedrückt wird. Obwohl sie aus einer ländlichen Lebenswelt und aus einer orientalischen Kultur stammen, können sie inspirieren zu einer geglückten Integration des Erotischen in spirituellen Alltagsgestaltung“, so Stutz.

Durchgeimpft in Zeiten von Corona für Liebe und Zärtlichkeit?

In welcher Beziehung stehen Erotik und Sexualität einerseits und Spiritualität andererseits zueinander?

Eros verstehe ich als eine göttliche Gabe, durch die wir als sinnliche Menschen voll in unserem Element, im Fluss sein können. Jede Woche kaufe ich Rosen für unsere Wohnung, das ist ein erotischer Akt! Liebevoll-leidenschaftlich zu kochen oder im Garten tätig zu sein und in der Musik, der Kunst können wir die erotische Kraft unseres Daseins lebensbunt erfahren. Eine der stärksten Ausdrucksweisen von Eros ist unsere Sexualität, die nicht nur eine genitale, sondern auch eine personale, soziale und spirituelle Dimension hat. Eros und Sexualität sind besondere Quellen von Spiritualität, weil sie uns in Berührung bringen mit unserer Lebendigkeit, mit unserer göttlichen Quelle in uns.

Erotik und Sexualität wurden in der christlichen Tradition oft negativ bewertet. Warum hat das Christentum Mühe mit der körperlichen Liebe?

Weil unsere erotisch-sexuelle Kraft sehr prägend und stark ist, kann sie missbraucht werden. Deshalb wurde sie leider vorschnell angstbesetzt, was eine lebensbejahende Integration verhindert hat. Friedrich Nietzsche brachte es treffend auf den Punkt: „Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete zum Laster.“ Unsere Aufgabe besteht darin, Eros zu entgiften, in dem wir dieses Geschenk des Himmels dankbar genießen, ohne die dunkle Seite, die zu allen Gaben gehört, naiv auszuklammern.

Worin liegen die positiven, stärkenden Kräfte von Erotik und Sexualität?

Das Religiöse und das Geschlechtliche sind unsere stärksten Lebenskräfte, wer sie trennt, zerreißt unser Herz. Wenn wir uns wie unser Lebensfreund aus Nazareth dem Leben „liebend in die Armen werfen“, wie die Basler Theologin Luzia Sutter-Rehmann sagt, dann werden wir das Schöne, das Sinnliche, das Erotische dankbar auskosten und bis in die Zehenspitzen genießen. So können wir Kraft schöpfen für unser Engagement für eine Welt, die zärtlicher und gerechter wird. Wir werden befreit zu einem einfachen Lebensstil, in dem wir Zärtlichkeit auch als ökologische Grundhaltung vertiefen können.

Liebesbeziehungen außerhalb der Ehe, insbesondere homosexuelle Beziehungen, wurden und werden von den meisten christlichen Kirchen kritisch oder gar als „sündhaft“ beurteilt. Kann die katholische Kirche einen Wandel hin zu einer bejahenden Sicht durchmachen?

Sexualität im Sinne von Erotik und Liebe kann man nicht unterdrücken.

Wenn ich das Wort „Kirche“ höre, unterscheide ich ganz bewusst zwischen einer offiziellen Leitung – zum Beispiel die Verlautbarungen aus dem Vatikan – und dem Veränderungspotential, das sich durch eine Mehrheit der TheologieprofessorInnen, wie auch schon in der Synode 1972 und vor allem in einem menschenfreundlichen Engagement in vielen Pfarreien entfaltet. Der Herbert-Haag-Preis, der jedes Jahr in Luzern verliehen wird, zeigt durch seine PreisträgerInnen, wie offen-lebensbejahend eine christliche Sexualethik sein kann. Ich schöpfe seit 30 Jahren aus den Quellen der mystischen Tradition, in der eine Widerstandskultur sichtbar ist, die sich seit dem Urchristentum gewehrt hat, wenn das wunderbare Geschenk der Sexualität verteufelt wurde. So kann eine Hildegard von Bingen (1098–1179) schreiben, dass auch die Geschlechtsorgane wie das Gehirn mit Vernunft begabt sind, weil sie im Geschlechtsakt „die Kraft der Ewigkeit“ erahnt. Originell wehrt sie sich gegen einen leibfeindlichen Glauben.

Im März hat die vatikanische Glaubenskongregation die Segnung homosexueller Paare verboten. Wie kommt dieses Verbot bei Ihnen an?

Heiliger Zorn wird bei mir durch dieses diskriminierend-homophobe Dokument ausgelöst. Himmelschreiend, dass ein Teil einer Glaubensgemeinschaft sich immer noch anmaßt, wissen zu können, wo und wie der Segen Gottes, der immer Gnade, ein Geschenk bleibt, spürbar wird. Zum Glück zeigt sich in der großen Welle der Empörung, wie groß der Riss zwischen einer Lehre ist, die die Liebe Gottes einengen will und der Solidarität in den Gemeinden, die unaufhaltsam bleibt. Ganz persönlich empfinde ich die Liebe, die mir seit 18 Jahren mit meinem Lebenspartner geschenkt wird, als großen Segen, mehr noch, als ökumenischer Christ habe ich dafür kein anders Wort als „Sakrament“. Ich vertraue, dass sich auch in unsere Liebe, mit all ihren Herausforderungen, die Liebe Gottes ereignet.

Was kann ein Segen bei Liebenden bewirken?

Einer unsere Urwünsche heißt, gesegnet zu sein vor allem Tun. Diesen Zuspruch, mehr zu sein als Leistung und Erfolg, weil wir immer schon bewohnt sind von einem zärtlich-göttlichen Segen, können wir nie genug hören. Deshalb ist es wohltuend auch in der Öffentlichkeit miteinander zu feiern, einmalig und einzigartig zu sein, um im Dreiklang der Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe wachsen und reifen zu können.

In Ihren Impulsen lassen Sie sich inspirieren vom Hohelied der Liebe. Was macht diese biblische Liebespoesie heute aktuell?

In der Mitte der hebräischen Bibel finden wir faszinierend-erotische Liebeslieder, in denen eine wunderbare Wertschätzung unserer sexuellen Liebeskraft ausgedrückt wird. Obwohl sie aus einer ländlichen Lebenswelt und aus einer orientalischen Kultur stammen, können sie uns inspirieren zu einer geglückten Integration des Erotischen in unserer spirituellen Alltagsgestaltung. Erstaunlich, dass sie in die Bibel aufgenommen wurden. Ein schönes Beispiel, was die List unserer heiligen Geistkraft bewirken kann.

Das Interview mit Pierre Stutz führte Urban Schwegler | Pfarreiblatt Katholische Kirche Stadt Luzern

 

1 Rückmeldung

  1. Aldeberan sagt:

    Ich habe selten ein so treffendes und gut geschriebenes Interview zum Thema Sexualität und Spiritualität gelesen.

    Dafür Danke.

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