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Nur eine Frau – Ein Film über „Ehrenmord“

6. Mai 2019

Am 7. Februar 2005 wird Hatun Aynur Sürücü auf offener Straße in Berlin mit drei Kopfschüssen aus nächster Nähe hingerichtet. Sie ist 23 Jahre alt und Mutter eines fünfjährigen Sohnes, der zur Tatzeit allein in seinem Bett liegt und schläft. Der Mörder kommt aus der eigenen Familie. Es ist ihr jüngster Bruder, der mit der Tat die „Ehre der Familie“ wieder herstellen will: ein „Ehrenmord“. Der erste, der bundesweit für Bestürzung sorgt.

Jetzt erzählt in einem Kinofilm. Aus der Sicht der Frau. Dazu die Regisseurin Sherry Hormann: „Für mich war es ganz wichtig, dieser Frau endlich mal eine Stimme zu geben. Wenn jemand ermordet wird, entstehen immer jede Menge Gerüchte. Warum ist jemand ermordet worden? Das kann ich alles nicht erklären. Der Trick bei uns war: Wir geben dieser Frau eine Stimme. Weil, die gibt es nicht mehr.“ Sieben Jahre vor ihrem Tod geht Sürücü in die achte Klasse des Robert-Koch-Gymnasiums in Kreuzberg. Das ist der Zeitpunkt, an dem das normale Leben der lebenslustigen Schülerin zu Ende ist. Die Eltern arrangieren eine Zwangshochzeit, in der Türkei. Hochschwanger kehrt sie zurück, auf der Flucht vor dem prügelnden Ehemann. Für die strenggläubige Familie, mit ihrem vormodernen Frauenbild, ein Akt des Ungehorsams.

Ein Familienbild, in dem Frauen tun, was Männer wollen Hormanns Film basiert auf Gerichtsakten und Zeugenaussagen. Erfunden ist hier nichts. Auch nicht ein mit unserer (aufgeklärten) Welt fatal koexistierendes Familienbild, in dem Frauen das tun, was Männer wollen, und sonst keine Rechte haben. Nach der Geburt des Kindes sucht Sürücü Hilfe beim Jugendamt. Sie will die Schule nachholen, eine Ausbildung beginnen. Doch damit geht sie ein hohes Risiko ein. Eine Textpassage aus dem Film: „Meine Eltern kamen in den 70-ern aus Ostanatolien nach Berlin. Hier fanden sie Arbeit und einen Platz für ihre Familie. Sie ließen die alte Welt hinter sich. So wie ich jetzt. Es gibt nur einen Unterschied. Ich bin eine Frau. Eine, die sich nicht vorschreiben lassen will, wie sie und ihr Kind zu leben haben. Weder von Männern noch von irgendeiner Tradition. Damit habe ich den Tod verdient.“

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„Diese Fälle werden Ehrenmorde genannt“, erklärt die Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin Seyran Ateş. „Aus dem Türkischen ´namus cinayeti´, namus ist die Ehre, weil die Männer, die Täter, die Frauen, die Familien sich auf die Ehre berufen, wenn sie Menschen hinrichten. An diesem Fall wurde auch deutlich, dass nicht nur die Brüder sich zusammengeschlossen hatten, um ein Urteil zu fällen über die Schwester, sondern eventuell die ganze Familie“, so Ateş. Der Film wirkt manchmal wie ein böses Märchen, das man gern beiseiteschieben würde. Und Almila Bagriacik spielt, als sei es ihr eigenes Leben, Sürücüs Versuch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen mit umwerfender und beklemmender Authentizität. Eine starke, lebenshungrige Frau, mit Wünschen und Sehnsüchten, wie Hunderttausend andere in diesem Land.

Der Film endet, wie er beginnt, mit ihrem Tod. Und mit der Frage an uns alle, ob das wirklich wahr sein kann, was wahr ist. 2017 gab es in Deutschland über 50 Ehrenmorde und Ehrenmordversuche. Die Deutschen halten sich da gern heraus. Doch: Das ist keine Frage von Kultur oder Religionsfreiheit, hier geht es um elementare Menschenrechte.

So beschreibt es auch Ateş: „Die deutsche Mehrheitsgesellschaft und leider auch sehr viele Menschen aus der Politik haben nicht nur die Augen verschlossen, sondern, wohl wissend, dass das stattfindet, es heruntergespielt. Und das machen sie heute noch teilweise, 2019. Es sind sehr viele junge Frauen, mitten in Deutschland, in unserer Mitte, in großer Angst, frei zu leben, in großer Angst und Unterdrückung, ihr eigenes Leben zu führen.“ Und auch sie selbst lebt in Gefahr: Die vielfach ausgezeichnete Anwältin und Frauenrechtlerin kann sich seit Jahren nur mit Polizeischutz bewegen, nach zahllosen Morddrohungen wegen ihres Engagements für muslimische Frauen.

Das ist Normalität in Deutschland – und Normalität ist auch: Nach langem Hin und Her entschloss sich das Land Berlin, Hatun Sürücü mit einem Straßennamen zu ehren. Eine normale Straße ließ sich dafür leider nicht finden. So wurde jetzt ohne feierliche Namensgebung eine Autobahnbrücke nach ihr benannt.

Rayk Wieland | ttt – Das Erste – mdr

 

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