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Gefängnisseelsorger Drews als Vermittler in der DDR

10. Oktober 2019

Er hat unzählige Gefangene kommen und gehen gesehen, hat die Wende im Strafvollzug erlebt. Johannes Drews ist seit 30 Jahren Gefängnisseelsorger in der JVA Brandenburg und wurde 2019 in den Ruhestand verabschiedet. Johannes Drews trägt einen schwarzen Pullover und Jeans, sein Blick hinter den Brillengläsern ist klar und freundlich. Er ist 70 und hat – wie viele Priester im Rentenalter – einfach weitergearbeitet.

Heute sei er für 270 Gefangene in der JVA Brandenburg zuständig, erzählt er bei einer Zigarette. Und er erinnert sich an die 1980er Jahre, als er hier anfing. Damals waren es 3.000 Gefangene, denn in der DDR wurden Haftstrafen schnell und oft verhängt. Und Drews wollte Gefängnisseelsorger werden, weil er wusste, welcher Willkür die Häftlinge ausgesetzt waren. „Es war für die DDR wie ein Alibi, Seelsorge dort zuzulassen“, sagt Drews. Er habe aber nur einmal im Monat Gottesdienst feiern und nicht einmal die Namen der Gefangenen wissen dürfen, die zum Gottesdienst kamen. „Ich durfte keinen Kontakt mit ihnen haben.“ Drews aber wollte keine Alibi-Funktion haben. Lieber habe er rausgeschmissen werden wollen, weil er sich nicht an die Regeln halte, sagt er, als dort nur hinzugehen, um Gottesdienste anonym zu feiern.

In Krisensituationen für die Gefangenen da sein

Mit dem Fall der Mauer kam die Wende in der Strafjustiz. Allerdings zunächst nicht für die Häftlinge. Die Urteile, die in der DDR oft politisch motiviert waren, sollten mit dem Einheitsvertrag als rechtskräftige Urteile übernommen werden. Dagegen protestierten die Häftlinge und besetzten das Dach der JVA – 10 Tage lang. Mit Johannes Drews als ihrem Sprecher erreichten sie eine Gesetzesänderung und die Urteile mussten überprüft werden. Inzwischen ist die Kriminalitätsrate in Deutschland stark gesunken: Laut Statistik ist sie heute so niedrig wie schon seit 25 Jahren nicht mehr. Jeden Samstag gibt es einen Gottesdienst, den Drews im Wechsel mit seinem evangelischen Kollegen leitet. Aber am wichtigsten, sagt er, sind ihm die Einzelgespräche: „Wenn ein Gefangener Stress hat mit Entscheidungen, die über ihn getroffen werden oder wenn jemand draußen gestorben ist – dann versuchen wir, in diesen Krisensituationen da zu sein.“

Der Seelsorger gibt keine Informationen weiter

Anders als bei Sozialarbeitern und Psychologen werden die Gefangenen von dem Gefängnisseelsorger nicht bewertet. „Ich führe viele der Einzelgespräche oft in Zellen, weil die Wege bei uns sehr weit sind“, erklärt Drews. „Wenn man sie dort besucht, sind sie sehr dankbar und sprechen sehr offen über all ihre Probleme. Sie wissen dabei genau, dass sie sich darauf verlassen können, dass der Seelsorger keine Informationen weitergibt.“ Auch nicht vor Gericht. Denn für den Gefängnisseelsorger gilt das Zeugnisverweigerungsrecht. „Wir haben auch eine besondere Rolle, denn wir sind nicht beim Justizministerium angestellt, sondern bei der Kirche.“ Deshalb könnten die Seelsorger ihre Arbeit eigenverantwortlich gestalten, so Drews, und müssten verschiedene Vorgänge auch mal kritisch hinterfragen.

Etwa als vor 13 Jahren gegen Bedienstete der JVA Brandenburg wegen Körperverletzung an Inhaftierten ermittelt wurde und das Gefängnis in die Schlagzeilen geriet. Johannes Drews distanziert sich von der damaligen Berichterstattung. Das aufzuwühlen bringe nichts, meint er knapp, steckt sich die nächste Zigarette an und erzählt lieber, wie einer der Gefangenen ein Jahr lang an einem Kreuzweg gemalt hat, der jetzt in einer Kirche zu sehen ist. Oder dass er sich Sorgen macht um die Inhaftierten.

So ganz in den Ruhestand geht Drews nicht

Etwa wenn sich jemand das Leben nehmen wolle, weil er mit seiner Schuld nicht mehr leben könne. Oder weil er verzweifelt sei. „In der Gesellschaft wird oft jemand, der eine schwere Tat begangen hat, fast als Bestie gesehen und ausgegrenzt. Aber er ist ein wertvoller Mensch“, sagt Drews über die Gefangenen. „Wenn dann solche sich öffnen, wenn dann bei ihnen Tränen fließen, ganz echt und tief, dann berührt einen das, dann nehme ich das mit, dann mache ich mir Sorgen um ihn.“

In drei Jahrzehnten hat Drews von schweren Schicksalen und grauenhaften Verbrechen gehört, von Menschen, die ihm selbstgemalte Postkarten oder kleine Kreuze schenkten. Er versuche in jedem, der ihm begegnet, erst einmal das Positive zu sehen, sagt er. Die jungen Gefängnisseelsorger haben ihn gebeten, auch im Ruhestand bei ihren wöchentlichen Dienstbesprechungen dabei zu sein und sie zu beraten. Einzelne Gefangene, mit denen Johannes Drews über Jahre hinweg Kontakt hatte, will er auch weiterhin begleiten.

Carmen Gräf | Mit freundlicher Genehmigung der Autorin und rbb24  

 

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