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Zwischen den Welten auf einem Containerschiff

18. Januar 2019

Nach über 3 Jahren Einsatztätigkeit als Fachperson im Entwicklungsdienst im bolivianischen Tiefland trete ich die Rückkehr nach Deutschland an. Den Wechsel der Welten möchte ich langsam gestalten. Mit dem Flugzeug wäre ich in 15 Stunden wieder in der Heimat. Mit dem Frachtschiff bekomme ich fast 3 Wochen Zeit. Bolivien hat keinen Meerzugang, daher geht es zuerst mit einem kurzen Flug vom bolivianischen Santa Cruz de la Sierra ins brasilianische Sao Paulo.

Das Containerschiff mit Namen „Cap Ferrato“ legt im Hafen von Guarujá bei Santos ab, dem größten Frachthafen in Brasilien. Mit einer Schrittgeschwindigkeit von 40 Knoten (ca. 60 h/km) knattern wir nach den Formailitäten und dem Beziehen der Eigner-Kabine auf dem weiten Meer. Direkter Kurs Richtung Europa. Nächster Hafen: Rotterdam. 21300 Kilometer. Seemöwen eskortieren den Transport der 2600 Container. Sie sind gestapelt bis zum 4. Aufbaudeck, etwa 50 Meter hoch.

Atemberaubend, aber auch gefährlich

Manchmal ist das Leben wie auf den mit zwei Seilen befestigten Brettern, mit der die philippinischen Seeleute den Schiffskörper (die Bug), von außen streichen. Aufgrund der Einwirkung des Meersalzes wird dies gemacht, wenn das Schiff auf Reede, sprich auf See vor Anker liegt. Auf das wackelige Brett abzusteigen braucht Anstrengung, Mut und Gleichgewichtssinn. Der Anstrich des Lebens wird nicht von alleine aufgetragen. Da braucht es Gottvertrauen.
Ich denke an die Flüchtlinge, die in den großen Meeren ihr Leben lassen mussten. Sie überqueren die Welten nicht in der Sicherheit wie ich, sondern kämpfen ums Überleben. Nach den aufkommenden Wellen zu urteilen müssten wir rasen. Der Wind ist so stark, dass es einem fast den Schutzhelm vom Kopf nimmt. Der Chief auf der Kommandobrücke informiert, dass Wale zu sehen sind. Tatsächlich, einen Wal kann ich erkennen. Eine kleine Fontäne steigt auf. Ein Wunder der Natur.

Ausgesetzt wie in einem Knast

Die Uhr an Bord wird nachts um eine Stunde nach vorne gestellt. Früh gehe ich ans Deck und beobachte den Sonnenaufgang. Dunkle, dicke Wolken überdecken die Strahlen. Goldene und rote Wolkenränder. Ein schönes Bild und Schauspiel zwischen hell und dunkel, zwischen Himmel und Meer. Ich kann nicht einfach von Bord gehen und kann keine Kommunikation per Smartphone nutzen. Ich bin gefangen und ausgesetzt wie in einem Knast und doch fühle mich frei im großen Weltenmeer. Die Erfahrung, in der Weite des atlantischen Ozeans unterwegs zu sein, um Europa zu erreichen, verdeutlicht mir die Entfernung und Trennung der Welten. Abgetrennt ist ein Stück Leben, das ich mir in der anderen Kultur vertraut gemacht habe.

Eintritt in die europäische Zeitzone mit der Winterzeit. Nun muss ich den Pullover auspacken. Der an Bord gekommene Lotse lässt an der Elbe-Einmündung Richtung Hamburg den tonnenschweren Koloss navigieren. Die Überquerung der Welten hinterlässt Spuren.

Michael King

 

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