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Brasilien hat dritthöchste Gefangenenquote

14. Mai 2019

Die Wahl des rechtspopulistischen Präsidenten Bolsonaro in Brasilien macht das Leben nicht leichter, im Gegenteil. Es trifft wieder die armen Menschen. Der Präsident und seine Anhänger schüren Angst, legitimieren ein Feindbild, das mit allen Mitteln bekämpft werden muss. Dies heißt noch mehr Ausgrenzung und Verfolgung für die schwarzen Bevölkerung, Homosexuelle, Frauen und Favelados. Die Polizei hat einen Freibrief bekommen, um die „schlechten Bürger“ zu erschießen und die „guten Bürger“ bekamen eine neue Gesetzesvorlage, um sich leichter bewaffnen zu können um sich zu verteidigen. Zweidrittel der Regierungsposten sind mit Militärs besetzt.

Es gibt in Brasilien den Begriff der „demokratisch gewählten Militärdiktatur.“ Die Gewalt wird mit mehr Gewalt und Repression bekämpft – eine Strategie, die noch nie Erfolg hatte und nur noch mehr Leid, Ausbeutung und Tod als Konsequenz hat. Viele soziale Projekte wurden gestrichen und gekürzt, so wie auch die Investitionen für das Erziehungs- und Gesundheitswesen. Die schon jahrelangen verheerenden Zustände in den Gefängnissen werden immer schlimmer, jeden Tag gibt es Nachrichten von Gefängnisrevolten – Aufstände gegen die unmenschlichen Bedingungen. Die jetzige Regierung reagiert mit neuen Gesetzesvorschlägen: noch längere Strafen, Abschaffung des halboffenen Strafvollzug, Besuchsverbot für Familien, Einzelhaft, Privatisierungen der Gefängnisse (was ein gutes Geschäft ist) etc. Und es trifft wieder hauptsächlich die schwarze Bevölkerung, Jugendliche, Menschen aus den Armenvierteln… Die Kriminalisierung der armen Menschen wird stärker.

Ein Beispiel ist der Fall von Rafael Braga, ein schwarzer Jugendlicher aus den Favelas von São Paulo, er wurde mit einer kleinen Flasche „Pinho Sol“ (Art Spiritus) bei einer Demo gegen die Regierung in der Innenstadt von São Paulo verhaftet, als Terrorist zu 11 Jahren Haft verurteilt. Und da ist Breno Borges, ein weißer junger Mann, Sohn eines hohen Richters – er wurde mit schweren Waffen und einer großen Menge Drogen erwischt und ist bis heute auf freiem Fuß, der Prozess geht so gut wie gar nicht voran und er wird als kranker, drogensüchtiger, hilfloser Jugendlicher eingeschätzt. Die Frage stellt sich ganz von selbst: Wieso sind die Gefängnisse voll von schwarzen Jugendlichen aus den Favelas, die als ganz gefährliche Drogenhändler schwere Strafen bekommen?

Hinter Gittern: Jugendlicher im „Centro de Socioeducacao Dom Bosco“, einem Untersuchungsgefängnis für Straftäter unter 18 Jahren. Foto: Adveniat.

Brasilien ist jetzt schon das Land mit der dritthöchsten Gefangenenquote (gleich hinter den USA und China) und trotzdem steigt die Gewalt in Brasilien ständig. Viele Länder sind dabei, andere politische Konzepte der Strafverfolgung einzuführen und nicht nur Wegsperren als die magische Lösung zu sehen. So haben zum Beispiel die USA und China ihre Haftquote schon sichtlich verringert – nur in Brasilien ist sie am Steigen. So gibt es viel Arbeit für uns in der Gefängnisseelsorge. Noch dazu habe ich nun mehr Verantwortung übernommen. Am 1. Dezember 2018 bin ich bei der Jahreshauptversammlung zur 1. Vorsitzenden der brasilianischen Gefängnisseelsorge gewählt worden. In diesem riesigen Land gibt es mehr als 260 Diözesen und fast alle haben eine Gefängnisseelsorge, die regelmäßig die über 700.000 Männer und Frauen hinter Gittern besucht. Viele Reisen zu Ausbildungskursen und Gefängnisbesuchen, Interviews, Begleitung von Einzelfälle, Anklagen, interne organisatorische Arbeiten…

Die Arbeit wird schwieriger in den Gefängnissen. Mehr und mehr schließen sich die Tore, damit wir keinen Zugang zu den Gefangenen haben. Immer wieder wird uns gesagt, dass die Gefängnisse zu voll sind, es zu gefährlich sei, zu wenig Strafvollzugsbeamte da wären… Aber interessant ist, dass andere religiöse Gruppen viel einfacher rein kommen. Es liegt wohl daran, dass wir nicht nur Assistenzialismus betreiben und religiöse Betreuung machen, sondern auch die unmenschlichen Situationen anklagen und somit anecken. Wir werden trotz aller Schwierigkeiten weiter unserem Auftrag treu bleiben, präsent hinter den Gittern zu sein, Beistand und Trost zu leisten, miteinander zu beten, den liebenden und verzeihenden Gott verkünden, Ungerechtigkeiten und Folterungen anklagen – sich für das Leben und die Versöhnung einsetzen.

Bischof Henrique, Sr. Petra, Pfr. Almir (2. Vorsitzende) und Rosilda (Frauenseelsorge im Gefängnis). Foto: Petra Pfaller.

In den letzten zwei Jahren sind wir mehr mit den Familienangehörigen der Gefangenen verbunden; vor allem die Mütter leiden wegen den schlimmen Situationen in den Gefängnissen. So lernte ich Frauen kennen, die sich mit viel Engagement, Kraft und Glauben für bessere Haftbedingungen und Haftentlassungen einsetzen, Folterungen anklagen und dies ohne all die Mitteln, die uns als Kirche zur Verfügung stehen. Ich habe viel Respekt vor diesen armen und einfachen Frauen in ihrem unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit und das Leben ihrer Kinder; da sind wir ganz klein und schwach. Wir versuchen uns gegenseitig zu stärken und knüpfen viele Netzverbindungen, so sind wir gemeinsam unterwegs.

Wenn ich ins Gefängnis gehe und die vielen Hilferufe höre und in die ängstlichen Augen schaue, bin ich immer davon überzeugt, dass wir diese Menschen nicht alleine lassen können, egal wessen sie anklagt werden. Mit Wegsperren wird die Welt nicht besser. Unsere Kursangebote „Schule der Verzeihung und Versöhnung“ mit der Methode der „Restaurativen Gerechtigkeit“ sind sehr gefragt. Inzwischen gibt nun auch meine Mitschwester Barbara Kiener diese Kurse. Gerade ist sie in São Paulo unterwegs bei einem Kurs, den sie leitet. Die „Schule der Verzeihung und Versöhnung“ stößt viele Veränderungen in Familien, Schulen, Pfarreigruppen an. Wir bieten sie auch in den Gefängnissen an. Sogar manche Strafrichter sind nun davon überzeugt und organisieren sogenannte „Friedenkreise“, eine Art Gruppentherapie als Alternative für die Untersuchungshaft für Menschen, die das erste Mal bei Kleindelikten erwischt wurden. Im nächsten Brief schreibe ich mehr davon. Versprochen. Es ist eine echt interessante Sache, um konkret mit Gewalt und Versöhnung umgehen zu lernen. Und dieser Prozess beginnt in uns.

Petra Silvia Pfaller | Irmãs Missionárias de Cristo

 

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