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Seelsorge ist Korrekturinstanz für verhärtete Fronten

25. Juli 2021

Die Gefängnisseelsorge ist eines der ältesten pastoralen Felder der Kirche(n). Sie ist sich der Verantwortung für den Rechtsstaat und der Loyalität ihm gegenüber bewusst. Die Länder als Justizorgane in den staatlichen Einrichtungen erachten die Gefängnisseelsorge als ein unersetzlichen Teil der gemeinsamen Aufgabe zur Resozialisierung. Der Fachdienst „Seelsorge“ hat eine wichtige Aufgabe inne. Die folgenden Ausführungen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Berln-Plötzensee aus dem Jahre 1985 könnten heute geschrieben sein. Die Sichtweise des damaligen Leiters der JVA im Jugendvollzug ist nach wie vor aktuell.

Als Leiter der Justizvollzugsanstalt Plötzensee möchte ich einige Worte sagen, die in Erinnerung rufen sollen, welchen wichtigen und unverzichtbaren Auftrag die Kirchen in dieser totalen Institution wie sie der Strafvollzug nun einmal darstellt haben. Der Dienst an den Gefangenen gründet sich auf den Auftrag, der der Kirche für ihr gesamtes Wirken vorgegeben ist, so habe ich in einer kleinen Schrift gelesen und weiter steht dort geschrieben „die Kirche schuldet die gute Botschaft vom Anbruch der Herrschaft Gottes in dieser Welt, von Gericht und Gnade, von der Versöhnung mit Gott und den Menschen, von der Vergebung der Sünden und der Erneuerung zur Liebe allen Menschen.“

Gewissen schärfen, mahnen und kritisch hinterfragen

Erneuerung ist jedoch nicht möglich, ohne Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft entsteht vor allem durch Beteiligung. Die Institutionen Strafvollzug schränkt die Ausübung der Gemeinschaft in begrenztem Maße zwar ein, darf sie aber weder grundsätzlich noch tatsächlich völlig aufheben. Bei der Sicherung dieses Anspruches kommt den seelsorgerischen Diensten in einer Vollzugsanstalt eine besondere Bedeutung zu. Auch für die in einer Vollzugsanstalt untergebrachten Menschen ist das Grundrecht auf ungestörte Religionsausübung nicht eingeschränkt. Diesem Grundrecht hat der Gesetzgeber i m Strafvollzugsgesetz und in den Verwaltungsvorschriften zum Jugendvollzug mit zwei eigenen Paragraphen Rechnung getragen. Bewusst wurde aber der Begriff Seelsorge in diesen Vorschriften nicht definiert. Das Gesetz garantiert die rechtliche Sicherung und die personelle Realisierung des Rechts auf freie Religionsausübung.

Dies ist auch gut so, denn die Religionsgemeinschaften dürfen sich das Seelsorgeverständnis im Interesse der Menschen nicht vom Staat bestimmen lassen. Die Kirchen haben auch die Aufgabe, Gewissen zu schärfen, zu mahnen und kritisch zu hinterfragen. Allein den Kirchen obliegt es daher, im Strafvollzug den Inhalt des Begriffs Seelsorge zu beschreiben. Nach meinem Verständnis darf sich der seelsorgerische Dienst hier in der Jugendstrafanstalt nicht nur auf eine rein religiöse Betreuung, die sich nur auf kultische Handlungen und den geistigen Zuspruch erstreckt, beschränken. Nein, es muss mehr sein. Es gilt auch während des Freiheitszuges den gesamten Menschen zu erfassen und es muss versucht werden, Ursachen und Folgen der Tat sowie die alltäglichen Probleme des Gefangenenlebens mit einzubeziehen.

Arbeiten unter widersprüchlichen menschlichen und institutionellen Gegebenheiten

Zu diesem diakonischen Dienst gehört nicht nur die Betreuung der Inhaftierten, sondern auch die Hinwendung zu den im Vollzug tätigen Mitarbeitern. Gefängnisseelsorge vollzieht sich unter Menschen, die durch ihr persönliches Schicksal, durch ihr Verhalten, durch die Verurteilung und den Freiheitsentzug geprägt, gekennzeichnet und abgesondert wird. Die persönliche Entwicklung des inhaftierten Menschen hat sich oft unter besonders schwierigen Bedingungen vollzogen. Sehnsucht nach Anerkennung und Geborgenheit verbinden sich mit der Ablehnung der Gesellschaft und teilweise heftiger Aggressivität gegen ihre Einrichtungen. Die Beziehungen zur Gemeinschaft sind in den meisten Fällen gestört oder überhaupt nicht vorhanden.

Zusätzliche Belastungen für den einzelnen entstehen durch die weitgehende Reglementierung und Entpersönlichung im Justizvollzug. Die Lebensbedingungen in den Anstalten wirken sich häufig reduzierend auf die Persönlichkeit des Inhaftierten aus. Dazu kommt aber auch noch der Druck der unter den Gefangenen herrschenden Rangordnung. Gefängnisseelsorger arbeiten unter besonders oft widersprüchlichen menschlichen und institutionellen Gegebenheiten. Doch hier stehen sie nicht allein. Dies gilt auch für alle im Vollzug tätigen Beamten und Angestellten gleichermaßen. Wie der Seelsorger sind auch die Mitarbeiter häufig hin und hergerissen zwischen notwendigen therapeutischen und pädagogischen Entscheidungen für den einzelnen Gefangenen und den in vielen Fällen dagegen stehenden Vorschriften, die dem Schutz der Allgemeinheit und dem Strafanspruch dienen.

„Gefangenenseelsorger“ oder „Lückenbüßer“

Auf diesem Hintergrund entstehen regelmäßig für die Mitarbeiter Konflikte, die nicht immer leicht aufzuarbeiten sind. Vielfach geraten Mitarbeiter in Gewissensnot, die sie nicht wegen der unterschiedlichsten Gründe mit der Institution, vertreten durch den Anstaltsleiter oder anderen Vorgesetzten oder gar Kollegen besprechen wollen. Hier können Seelsorger der Religionsgemeinschaften zu ein positiven Verarbeitung der Konflikte beitragen, weil sie eben nicht unmittelbar zur Institution gehören und durch die Ordination mit ihrer engen Bindung an den Auftrag der jeweiligen Kirche in schwierigen Situationen sogar Schutz bieten können. Aus meiner Sicht sollte sich der Seelsorger in dieser Anstalt nicht nur als „Gefangenenseelsorger“ oder gar als „Lückenbüßer“ empfinden. Der Anstaltsseelsorger, so würde ich ihn bezeichnen wollen, ist eine wichtige informelle Korrekturinstanz für bürokratische Härten, festgeschriebene Vorurteile, eingefrorene Maßnahmen, therapeutische Missgriffe und verhärtete Fronten. In der Wahrnehmung seines täglichen Dienstes und vom gesetzlichen Auftrag her ist er zur Zusammenarbeit mit fachfremden Diensten angewiesen. Er muss aber dabei ständig seine Abhängigkeit kritisch kontrollieren, ohne dabei die Kooperationsfähigkeit aufzugeben…

Ansprache von Anstaltsleiter Grunow, 22. September 1985 bei der Einführung von Gefängnispfarrern | Quelle: Mitteilungen 1985 II

 

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