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Anstaltskirche wie in einem Kinosaal abgetrennt

7. Juli 2021

Im Film „Der Hauptmann von Köpenick“ von 1956 lässt der Gefängnispfarrer die Gefangenen den Choral anstimmen: „Bis hierher hat mich Gott gebracht“. Sehr fein ist die Doppelbödigkeit dieser Aussage in Szene gesetzt. Eine tolle Art der Situationskomik. Schauplatz dieser Szene dürfte die JVA Berlin-Moabit sein, die in panoptischer Bauweise erstellt ist. Die Anstaltskirche dort war, wie bei anderen preußischen Vollzugsbauten um 1880, im Innern wie ein Kinosaal aufgebaut. Die Gefangenen mussten in einem Art Mönchsgestühl sitzen. Sie sollten kein Kontakt zueinander haben dürfen.

Im Laufe der Geschichte wurden diese Kirchen baulich verändert. Meistens aus Platznot oder dem Zeitgeist entsprechend sind die Räume saniert, erweitert oder verkleinert worden. In der JVA Herford ist das Mönchsgestühl bei Baubeginn 1885 auf einer Ebene gewesen. Ein paar Jahre später wurde die Sitzordnung wie im Film vom Hauptmann von Köpenick angehoben. In der sächsischen JVA Bautzen und der JVA Bruchsal in Baden-Württemberg ist dies bis heute geblieben. Der Kirchenraum ist dem damaligen Strafvollzug angepasst. Der Alltag ähnelt dem des militärischen Lebens. Der Hofgang ist im Marschschritt hintereinander ausgeführt worden, die Gefangenen hatten sich in eine Reihe zu stellen. Die Uniform der Bediensteten ist dem des Militärs entnommen. Bis heute kommen militärische Wurzeln im Sprachgebrauch noch vor: „Revier“ für den medizinischen Dienst, zur „Arbeit ausrücken“ oder „Kalifaktor“ für die Hilfskraft des Gefangenen. Die „Menage“ ist der Ausdruck für die militärische Verpflegung. Sie wird im Knast für die Edelstahlbehältnisse zum Transport der Mittagskost in die Hafträume verwendet.

Schon in Karl Krohnes Lehrbuch der Gefängniskunde aus dem Jahre 1889 wurde den Aufsichtsbeamten eingeschärft, dass die Disziplin des Hauses höher steht als die Gesundheit des Rechtsbrechers. Welche Straftat ein Häftling begangen hatte, war völlig uninteressant. Wichtig war, dass er sich gehorsam jeder Anweisung unterwarf. Ein wichtiges Instrument zur Disziplinierung war die Sauberhaltung der Zellen und Gänge. Wascheimer, Klosettdeckel ebenso wie der Fußboden mussten blitzblank geputzt sein. Auch das Duschen einmal in der Woche stand unter militärischem Kommando: „Wasser marsch! Einseifen! Waschen! Wasser marsch!“ Im Film „Der Hauptmann von Köpenick“ wird der Schuster Wilhelm Voigt nach 15 Jahren Haft, zu der er wegen verschiedener Betrügereien verurteilt worden war, aus dem Strafgefängnis Berlin-Plötzensee entlassen. In der Gefängnisbibliothek entdeckt er die preußische Felddienstordnung. In einer der Szenen ist der Hofgang und die Anstaltskirche in der Zeit von 1906 zu sehen.


Zwischen Zuchthaus und (Zellen-)Gefängnis bestand ein Unterschied. Herrschten in Zuchthäusern harte Arbeit, strenge Isolierung und militärische Disziplin vor, so waren die Bedingungen der Gefängnisse an der Besserung des Straftäters ausgerichtet und damit für die Inhaftierten günstiger. Die Anstaltsgeistlichen beider Konfessionen hatten zur Kaiserzeit und später in der Weimarer Republik eine herausragende Stellung. Sie waren direkt neben der Anstaltsleitung angesiedelt. In der Moabiter Anstalt übernahm der Pfarrer gar die Leitung. Im Zuge der ersten Strafvollzugsreformen weg vom „Zuchthaus“ zur Fürsorge für Gefangene waren die Geistlichen die ersten Sozialarbeiter.

Die nationalsozialistisch Zeit machten alle Strafvollzugsreformen zunichte. Der strenge Vollzug wurde wieder eingeführt. Unliebsame Inhaftierte wurden nach Entlassung in polizeilicher Schutzhaft genommen und der Gestapo übergeben. Die Leitung der Gefängnisses ist in den Jahren 1933 bis 1945 den Generalstaatsanwaltschaften unterstellt worden. Ende 1941 wurde die Seelsorge beispielsweise an polnischen Gefangenen verboten. Die Gefangenen wurden bei ihrer Einlieferung weder nach ihrem Bekenntnis befragt noch auf die Möglichkeit von Gottesdiensten und Seelsorge hingewiesen. Die damals nebenamtlichen Seelsorger durften nur auf eine ausdrückliche Anfrage des Gefangenen hin tätig werden. Vom 12. Dezember 1944 datiert die reichsweite Verfügung: „Mit den Anforderungen des totalen Krieges sind die Gottesdienste zeitlich nicht vereinbar, wo und soweit sie eine Zeit für sich beanspruchen, die für Arbeitsleistungen des totalen Krieges zur Verfügung stehen muss.“ Wenn die Mauern erzählen könnten, würden sie viele Geschichten von Menschen erzählen, die sich dahinter aufgehalten haben.

Michael King

 

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