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Angst besiegen, indem wir über sie reden

17. März 2020

Blick in den Horizont mit einem Fernrohr in Überlingen am Bodensee. Im Hintergrund die anscheinend „heile Welt“ der Alpenberge. Das optische Instrument kann Symbol für den Blick in die Ferne und die Zukunft nach der „Krise“ sein.

Mit Sicherheit ist noch nicht alles zum Coronavirus gesagt. Weitere Vorschriften, Aufrufe, Hamsterkäufe zu unterlassen, Mahnung, an die Risikogruppen in unserer Gesellschaft zu denken, Aufmunterungen und Dankesworte an die, die den direkten Kontakt zu schwer Erkrankten haben, und nicht zuletzt die Appelle an unsere Vernunft und Besonnenheit, all das wird es noch viele Tage und Wochen geben. Aber vielleicht darf bei all den klugen Worten und Reden ein Satz nie nicht fehlen: Es ist genug für alle da!

„Es ist genug für alle da.“ Dieser Satz ist auf so vielen Ebnen wichtig: Auf der Sachebene stellt er ganz nüchtern fest, dass wir gerüstet und vorbereitet sind. Auf der Beziehungsebene ist es beruhigend zu wissen, dass jeder und jede das bekommt, was er oder sie gerade jetzt braucht. Das wir geben und nehmen können, so wie es gerade erforderlich ist. Auf der Apellebene wird von uns allen Solidarität verlangt, gerade mit Blick auf die Risikogruppen. Aber irgendwann auch mit denen, die sozial und wirtschaftlich am stärksten betroffen sind. Gewinner und Verlierer darf es nicht geben. Und als Selbstaussage über mich merke ich, dass sich mein Leben gerade radikal entschleunigt. Mir tut das gut. Die Zeit, die mir gerade geschenkt wird, lässt mich sagen: Es ist jetzt genug für ALLES da.

Mit Eilmeldungen bombardiert

Das Smartphone gibt ständig Töne von sich. Wieder eine neue Eilmeldung im Liveticker. So schnell kann ich diese gar nicht lesen. Abends, wenn ich aus der handyfreien Zone im Gefängnis komme, sind alle News gelistet. Alle Nachrichten geben keine Entwarnung, keine Lichtblicke zu sehen – es wird alles schlimmer. Zumindest verlauten die Titel und der Inhalt nichts Gutes. Wir wollen informiert sein und werden doch immer mehr in unserer Angst bestätigt. Sogar die Aufhebung der „Sonntagspflicht“ und das Verbot der Mundkommunion liest man als „Eilmeldung“. Wie es keine anderen Probleme zu geben scheint.

Nun sind nicht nur alle Gottesdienste draußen abgesagt. Das öffentliche Leben steht still. Gut so in dieser Situation, aber was machen wir mit unserer Angst? „Etwas Routine ist in diesen bewegten Zeiten fast schon erholsam“, sagt mein Kollege. Ja, warum dürfen wir uns nicht erholen in dieser angespannten Lage, in der jeden Tag neue Eilmeldungen produziert werden? Ich werde regelrecht mit schlechten Nachrichten bombardiert, wenn ich diese nicht irgendwie selbst abschalte. Informiert zu sein ist das eine. Das andere ist, die Angst nicht weiter zu schüren. Und  – entgegengesetzt – auch nicht sorglos durchs Leben zu gehen. Ja, es ist eine außerordentliche Lage. Ja, es ist ein Einschnitt. Ja, es ist zum Wohl unserer Gesundheit. Wie oft bekomme ich dies in den letzten Tagen als Wunsch zugesagt: „Bleib gesund“. Ich hoffe und wünsche es für mich und alle anderen.

Über Ängste reden

Ein Telefonat mit einer Freundin beruhigt mich ein wenig in meiner Angst. Angst ist ein schlechter Berater, sagt man. Stimmt, aber indem ich von meinen Ängsten rede, wird es mir plötzlich etwas leichter. Mit Ängsten versuche ich umzugehen, indem ich sie zur Sprache bringe. Eine „Unfassbarkeit der Gefährdung angesichts der Ausbreitung des Coronavirus sei das Hauptproblem. Das permanente Informationsbombardement durch Eilmeldungen führt nicht dazu, dass wir uns sicherer fühlen – im Gegenteil, bei vielen Menschen verstärkt es das Gefühl der Unsicherheit“, sagt der Soziologe Heinz Bude in einem Interview in der Tagesanbruch-Meldung von t-online. „Es ist genug für alle da“ besiegt die Angst nicht, kann aber ein Trost und ein Lichtblick sein, vor allem in Zeiten der ständig neuen Meldungen und ungewissen Entwicklungen.

Stefan Thünemann | Michael King

 

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