Zwei Gefängnisseelsorger-Unikate können erzählen aus dieser Zeit: Der Theologe Petrus Ceelen aus Ludwigsburg und Johannes Drews, DDR Pfarrer und Gefängnisseelsorger in der JVA Brandenburg. Beide arbeiteten sie schon vor Jahrzehnten als Seelsorger an den Rändern der Gesellschaft – in Ost und West. Im Gefängniskrankenhaus sprach Ceelen mit RAF-Mitgliedern, und er betreute Aidskranke. Drews hat im Osten die Wende im Strafvollzug erlebt und vermittelt.

 

Petrus Ceelen

Weil der Gefängnisseelsorger Petrus Ceelen aus dem baden-württembergischen Ludwigsburg das Gefühl hatte, dass der Hohenasperg nördlich von Stuttgart, in dem später Steffi Grafs Vater Peter im Justizvollzugskrankenhaus (JVK) inhaftiert war, für ihn „genau der richtige Ort war“, blieb er 17 Jahre, sprach fast täglich mit Junkies, Mördern, Vergewaltigern, aber auch mit Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt, den beiden Schlüsselfiguren der zweiten Generation der RAF, die nach einem Hungerstreik von der JVA Stuttgart-Stammheim auf den Hohenasperg verlegt worden waren.

Sie konfrontierten ihn damit, dass er in seiner Rolle als kirchlicher Angestellter und Seelsorger im Gefängnis letztlich ein Unterstützer des verhassten Systems sei. „Höchst unangenehm“ war ihm das, zumal er seine Helferrolle im Knast selbst immer kritisch sah. Er trug auch dazu bei, so schreibt er es in seinem Erinnerungsbuch zum 75., „dass die Vollzugsmaschinerie wie geschmiert läuft.“ Irgendwann war es dann genug. Ceelen wollte gehen, wollte sich um Aidskranke kümmern. 1992 hatte er seinen Willen durchgesetzt. Der damalige württembergische Bischof und heutige Kardinal Walter Kasper ernannte den Vater zweier Töchter gegen das Votum der Rottenburger Personalverwaltung zum Aids-Seelsorger in Stuttgart. Und Ceelen konnte wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Widerstände überwinden.

Denn in der Szene war er alles andere als willkommen. Katholisch und Aids – das wurde wie Himmel und Hölle wahrgenommen. Die Kirche galt als die Institution, die den Erkrankten noch mit einer moralischen Keule begegnete. Hinzu kam, dass HIV-Infizierten medizinisch damals kaum geholfen werden konnte. Ceelen musste viele jüngere Frauen und Männer beerdigen, musste „trösten, wo kein Trost möglich war“. Doch ihm gelang es, Vertrauen auf- und Vorurteile abzubauen, er schuf Beziehungen. Die Aidshilfe ernannte ihn später zum Ehrenmitglied. Er selbst haderte mit seiner Rolle, hatte nach eigenem Bekunden oft sogar ein schlechtes Gewissen, nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein. Deren Umgang mit Lesben und Schwulen empfand er als unerträglich. Und auch, dass er sich von einer Institution bezahlen ließ, die den Gebrauch von Kondomen verdammte, bereitete ihm einige schlaflose Nächte.

 

Archiv

Strafvollzug und Seelsorge ab 1978

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Mitteilungen ab 1985

Johannes Drews

Mit dem Jahr 1989 kam die friedliche Revolution in der DDR und der damit verbundene Mauerfall zwischen den beiden deutschen Staaten. Einer, der dies hautnah miterlebte ist Johannes Drews. Er hat unzählige Gefangene kommen und gehen gesehen, hat die Wende im Strafvollzug erlebt. Er erinnert sich an die 1980er Jahre, als im DDR Gefängnis Brandenburg anfing. Damals waren es 3.000 Gefangene, denn in der DDR wurden Haftstrafen schnell und oft verhängt. Und Drews wollte Gefängnisseelsorger werden, weil er wusste, welcher Willkür die Häftlinge ausgesetzt waren. „Es war für die DDR wie ein Alibi, Seelsorge dort zuzulassen“, sagt Drews. Er habe aber nur einmal im Monat Gottesdienst feiern und nicht einmal die Namen der Gefangenen wissen dürfen, die zum Gottesdienst kamen. „Ich durfte keinen Kontakt mit ihnen haben.“ Drews aber wollte keine Alibi-Funktion haben. Lieber habe er rausgeschmissen werden wollen, weil er sich nicht an die Regeln halte, sagt er, als dort nur hinzugehen, um Gottesdienste anonym zu feiern.

Mit dem Fall der Mauer kam die Wende in der Strafjustiz. Allerdings zunächst nicht für die Häftlinge. Die Urteile, die in der DDR oft politisch motiviert waren, sollten mit dem Einheitsvertrag als rechtskräftige Urteile übernommen werden. Dagegen protestierten die Häftlinge und besetzten das Dach der JVA 10 Tage lang. Mit Johannes Drews als ihrem Sprecher erreichten sie eine Gesetzesänderung und die Urteile mussten überprüft werden. Am wichtigsten, sagt er, sind ihm die Einzelgespräche: „Wenn ein Gefangener Stress hat mit Entscheidungen, die über ihn getroffen werden oder wenn jemand draußen gestorben ist – dann versuchen wir, in diesen Krisensituationen da zu sein.“

Die Gefangenen wissen genau, dass sie sich darauf verlassen können, dass der Seelsorger keine Informationen weitergibt. Auch nicht vor Gericht. Denn für den Gefängnisseelsorger gilt das Zeugnisverweigerungsrecht. „Wir haben auch eine besondere Rolle, denn wir sind nicht beim Justizministerium angestellt, sondern bei der Kirche.“ Deshalb könnten die Seelsorger ihre Arbeit eigenverantwortlich gestalten, so Drews, und müssten verschiedene Vorgänge auch mal kritisch hinterfragen. Etwa als vor 13 Jahren gegen Bedienstete der JVA Brandenburg wegen Körperverletzung an Inhaftierten ermittelt wurde und das Gefängnis in die Schlagzeilen geriet. Johannes Drews distanziert sich von der damaligen Berichterstattung.

 

31. August 2023
Widerstand gegen NS-Regime führte zu hohen Zuchthausstrafen
Die Umwandlung des Herforder Zellengefängnisses in ein Zuchthaus im Jahre 1934. Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 3). „Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten stieg die Zahl der Häftlinge insgesamt rasch an. Betrug die durchschnittliche Tagesbelegung der Vollzugsanstalten in Deutschland im Jahre 1932 ca. 63 […]
2. April 2021
Gefängnisseelsorge und Friedliche Revolution 1989/90
Als sich im Sommer 1989 die Ausreiseproblematik in der DDR dramatisch verschärfte, machte sich dies auch im Strafvollzug deutlich bemerkbar, denn viele DDR-Flüchtlinge, die über die ČSSR oder Ungarn in den Westen fliehen wollten, wurden bereits im Grenzvorland oder an den Grenzübergangsstellen aufgegriffen und verhaftet. „Die […]
23. November 2023
Über Ort und Dauer der Inhaftierung keine Informationen
Das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge 1934–1939 (Folge 6). Bereits in Folge 2 der Artikelserie über das Zuchthaus Herford und seine Häftlinge wurde darauf hingewiesen, dass es zwar in den Printmedien und vor allem im Internet zahlreiche Beiträge über politische Häftlinge gibt, die in den Jahren […]
10. November 2019
Persönliche Geschichten um den Mauerfall
30 Jahre Mauerfall – ein emotionales, geschichtliches Datum. Wo waren Sie am Donnerstag, 9. November 1989? Das Bistum Magdeburg hat persönliche Erinnerungen an den Mauerfall 1989 gesammelt und zu einem Band zusammengestellt. Sehr individuelle Geschichten aus Ost- und West-Perspektive sind entstanden, die den Geist des Herbstes […]
27. September 2019
Das DDR-Gefängnis konnte uns nicht brechen
Das Ehepaar Grote im Gespräch mit Gefängnisseelsorger Tobias Scherbaum von der JVA Burg in einer der Freistunden-Zellen des ehemaligen Gefängnisses. Foto: Ulrike Hagemann. Die 1990 gegründete Gedenkstätte Moritzplatz Magdeburg erinnert an die in den Jahren 1945 bis 1989 inhaftierten Opfer politischer Verfolgung an diesem Ort. Der Besuch […]
2. Oktober 2019
Friedliche Revolution und Wendezeit im Gefängnis
Als ich meinen Dienst in der Stravfvollzugseinrichtung (StVE) Brandenburg 1988 antrat, bestand meine seelsorgerische Tätigkeit nur darin, alle vier Wochen einen Gottesdienst zu halten. Ich wurde bewacht, durfte keinen Kontakt zu den Gefangenen haben. Ich suchte ihn dennoch, begrüßte sie mit Handschlag, bat sie, mir ihre […]
Knastschlüssel